Der Avantasia-Sänger im O|N-Interview
Tobias Sammet über seine Heimat: "Ich finde hier eigentlich alles ganz geil"
Fotos: Carina Jirsch/ Archiv
22.03.2025 / FULDA -
Er ist wohl der erfolgreichste Musiker aus der Domstadt: Tobias Sammet von Avantasia. Mit diesem einzigartigen Projekt geht der 47-jährige nun wieder auf Tour. Mit im Gepäck hat er sein neues Album "Here Be Dragons". Im Interview mit OSTHESSEN|NEWS erzählt er Spannendes über die Entstehung des Albums, die Entwicklung von Avantasia und, warum es bei dieser Tour kein Konzert in seiner Heimat Fulda gibt.
Wie würdest du das neue Album "Here Be Dragons" beschreiben?
"Ich finde das Album sehr kurzweilig, und viele sagen mir, dass es leichter zugänglich ist, als die beiden Vorgängeralben. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich auf dem Album keine durchgängige Geschichte erzähle, sondern jeder Song für sich steht. Dazu kommt, dass ich mir auf den beiden Alben davor viele Dinge von der Seele schreiben und in mir aufräumen musste, während Here Be Dragons wieder etwas unbelasteter und positiver ist, was man dem Album glaube ich an allen Ecken und Enden anhört. Es ist ein Album mit zehn sehr unterschiedlichen Songs, da sind eingängige Rocknummern drauf, eine melancholische Ballade und auch einige klassische Metal-Songs, wo wir ganz gut aufs Gaspedal drücken."
"Wie gesagt, nachdem ich auf der Platte zuvor in mir aufgeräumt hatte, konnte ich sehr befreit zu Werke gehen, und mir war es wichtig, nicht wie bei einem Musical - wie ich es vorher ja oft gemacht habe - mich mit einer Story zu befassen, in die dann jeder Song thematisch eingewoben werden muss. Ich wollte einfach wieder wie bei einem klassischen Bandalbum Song für Song ganz unabhängig voneinander gestalten können, ohne dabei die Welt von Avantasia zu verlassen. Natürlich sind die Songs alle in irgendeiner Form eskapistisch, aber egal wie märchenhaft die Sprache an mancher Stelle ist: jedem Stück liegen meine Erfahrungen und Dinge, die mich beschäftigen zugrunde. Einige Songs setzen sich damit auseinander, seinen Weg zu gehen, ganz egal was um einen herum passiert. Und in einer Welt, die permanent etwas anderes aus einem machen möchte, als man selbst ist, bei sich zu bleiben. Und ich hoffe, dass das Album dem ein oder anderen Fan gerade in diesen Zeiten die Kraft gibt, die es mir gegeben hat, das Album zu schreiben."
"Ich finde sie alle gut, denn Schreiben ist für mich wie Therapie, ich verarbeite damit Dinge aus meinem Leben, so wie andere das beim Drüber-Reden oder Tagebuchschreiben tun. Klar wächst einem dann auch jedes Stück ans Herz. Aber die Themenbereiche sind sehr unterschiedlich, ein Stück ist einfach ein Tim-Burton-mäßiger Partysong der etwas anderen Art, bei einem Stück rede ich über mein nach wie vor sehr enges Verhältnis zu meinem vor 11 Jahren verstorbenen Vater. Ein Song heißt The Witch und behandelt unsere Urängste vor dem Unbekannten. Er entstand, als ich durch den Wald lief und mich an die Zeit erinnerte, als man als Kind im dunklen hinter jedem Baum oder jeder Tür eine Gefahr in Form von Gespenstern witterte. Und dabei war es egal, ob einem andere sagten, dass es keine Gespenster gebe, Gefühle sind nicht immer rational, und das was wir spüren ist unsere Realität. Ähnlich verhält es sich doch mit Gefühlen wie Depressionen oder nennen wir es einfach nur Schwermütigkeit. Es hilft nichts, wenn andere das als Hirngespinst abtun. Andere Songs wie Against The Wind oder Unleash The Kraken sind schnelle Songs, die die Macht der Selbstkonditionierung thematisieren. Sie strotzen vor Kraft und bei aller Härte von Positivität."
Avantasia wird 25 Jahre alt. Hättest du je gedacht, dass dich dieses Projekt so lange begleitet?
"Zumindest nicht vor 25 Jahren, denn da war das als einmaliger Ausflug abseits von Edguy angedacht. Da war ich Anfang 20 und wollte einfach mal was alleine machen, mit meinen damaligen Helden wie zB den Leuten von Helloween. Aber irgendwann hatte ich die Sehnsucht, wieder was alleine zu machen, und was als Soloprojekt gedacht war, wurde dann wieder unter dem Avantasia-Banner umgesetzt. Das war damals mit Alice Cooper, Rudolf von den Scorpions und Eric Singer von Kiss so groß, dass das Wacken Open Air uns als Freitags-Hauptact haben wollte. Ich wollte das erst nicht tun, aber dann sagte ich mir damals: du machst jetzt seit 15 Jahren Musik, du kannst da vor 80.000 Menschen ein Konzert spielen, das in was weiß ich wie vielen Ländern im Fernsehen übertragen wird, wenn du diese Chance liegen lässt, wird das wovon du immer geträumt hast, vielleicht nie eintreten. Also haben wir es zugesagt, und nach der Pressekonferenz im Vorfeld hagelte es Angebote von überall auf der Welt, zuerst vom größten Festival in Schweden, dann Ungarn, Moskau, Tokio, Südeuropa, Südamerika. Und dann bin ich da so reingerutscht..."
Wie hat sich deine persönliche Weiterentwicklung der letzten 25 Jahre auf die Texte und Musik von Avantasia ausgewirkt? Wie viel aus deinem Leben steckt in Avantasia?
"Sehr viel. Avantasia ist mein Leben. Ich verarbeite da thematisch sehr viel, wenn auch manchmal in Fantasy versteckt. Naja, und ansonsten beschäftigt mich das Ding rund um die Uhr. Ich habe keinen Manager, und dann bleibt viel an einem selbst hängen. Ich gehe mit Gedanken an meine Musik und das Business drumherum ins Bett und stehe damit wieder auf. Das ist der Fluch der Selbstständigkeit, aber auch der Segen, sein eigener Chef zu sein. Natürlich habe ich inzwischen ein Team und Agenturen um mich herum, die mich entlasten, aber ich habe nie das Angebot von einem klassischen Management angenommen. Die erzählen einem jungen Musiker immer, was er hören will und was alles passieren wird, aber in erster Linie nehmen sie 20 Prozent vom Umsatz und damit haben sie schon einen sehr guten Deal, selbst wenn sie rein gar nichts bewirken. Der Nachteil ohne klassischen Manager ist dann halt, dass man auch Samstagabends manchmal Bauchweh hat, wenn gerade ein Shitstorm wegen irgendwas im Netz über einen hereinbricht, haha."
"Ich finde hier eigentlich alles ganz geil. Die Natur, die Rhön, viel Wald und auch die oft etwas kauzigen Leute. Und ich bin in drei Stunden überall in ganz Deutschland und in einer Stunde am Flughafen. Klar ist in Fulda manches etwas klein und eng, aber ich mag das. Ich bin gerne in London und war früher auch gerne in den USA auf Tour, wie sich das entwickelt, muss man sehen. Trump und Musk drehen da ja gerade etwas am Rad, da sind Rhöner vielleicht nicht mehr so gerne gesehen. Aber ich wohne sehr gerne im Kreis Fulda. Die Welt ist so klein geworden, ich muss in keiner Metropole wohnen um Anschluss im Musikgeschäft zu haben. Ich hatte mal einen Pressemenschen, der arbeitet auch für die Scorpions und Lindenberg. Der meinte: "die Scorpions wohnen in Hannover, das ist Großstadt, aber nicht Weltmetropole wie LA, Hamburg oder London, das ist nichts Außergewöhnliches. Fulda ist so weit draußen, das ist für einen Rockstar skurril." Ok, ich bin kein Rockstar, und ich weiß nicht, ob das ein Kompliment an Fulda war, aber ich verstehe was er meint, haha!"
Was erwartet die Fans auf der diesjährigen Tour? Welche Gäste sind mit dabei?
"Wir spielen lange Shows, und wir bringen eine große Bühnenproduktion mit. Früher habe ich mich gegen Feuer, Special Effects und große Aufbauten auf der Bühne gesträubt, weil das manchmal von der Musik ablenkt und so teuer ist, dass die Ticketpreise davon in die Höhe schießen. Aber irgendwie soll ein Avantasia-Konzert auch sowas wie ein Ausflug in eine andere Welt sein. Und als wir erstmal angefangen haben, rumzuspinnen, wurde mir bewusst, wie groß man das aufziehen könnte. Und das machen wir jetzt.
Es wird Eric Martin von Mr Big dabei sein, Ronnie Atkins von den Pretty Maids. Und mit Kenny Leckremo von H.e.at., Tommy Karevik von Kamelot und Adrienne Cowan, Herbie Langhans und Chiara Tricarico auch ein paar jüngere Sänger und Sängerinnen, die z.T. auf der letzten Festival-Tour schon dabei waren. Bob Catley von Magnum erholt sich gerade von einer OP, er wird dazustoßen, sobald er seine Arzttermine in England durch hat."
"Da gibt es einen so banalen wie unglaublichen Grund. Ich habe meine Agentur gewechselt, und die haben die Tour gebucht. Und irgendwann merkte ich: halt, da fehlt Fulda. Da war es aber schon zu spät. Wir werden das sicher in Zukunft wieder machen, aber deren Strategie war, in Hessen auf die Jahrhunderthalle in Frankfurt zu gehen, statt zwei Shows innerhalb von 100km zu machen. Ich finde das auch schade, für dieses Jahr bleibt den Fans zuhause wohl nur ein Ausflug nach Bamberg oder Frankfurt. Ich finde das selbst auch etwas schade."
Sehen wir Avantasia irgendwann mal wieder auf dem Domplatz in Fulda?
"Das will ich doch schwer hoffen. Es ist bei uns halt nicht ganz so einfach, ich habe 13 Musiker dabei, eine große Crew, und niemand von denen arbeitet ausschließlich für Avantasia. Wenn ich denen keine 20 Sommertermine anbieten kann, können die sich nicht für einen Termin committen, und man kann auch nicht für ein einziges Konzert 2 Wochen mit Leuten aus der ganzen Welt proben. Also müssen wir warten, bis wir wieder mal im Sommer unterwegs sind. Es wäre jetzt im März auch recht kalt geworden, auf dem Domplatz. Aber ich habe das damals unheimlich genossen. Ich liebe es, hier zu spielen, wo alles anfing."
Was sind deine Pläne für die Zukunft? Können wir uns noch auf weitere Alben freuen oder denkst du schon ans aufhören?
"Nein, natürlich nicht. Ich bin mit 47 im besten Fußballeralter. Die Gelenke mögen etwas rostiger sein als mit 21, aber die Stimme funktioniert besser als je zuvor. Dazu schreibe ich gerne Songs und liebe es, auf die Bühne zu gehen und Platten zu machen. Mal ganz abgesehen davon, kann ich auch nichts anderes. Mit 49 noch als freier Vermögensberater den Bekanntenkreis gegen mich aufbringen oder eine Ausbildung zum Installateur? Und zum Vollzeit-Gartenvogel-Beobachter fühl ich mich noch nicht bereit. Nein, ich will morgens aufstehen, mich über schlechte Kritiken ärgern, meinen Presseberater anrufen, Lieder schreiben, nach Sydney fliegen und einfach ein bisschen Gute Laune verbreiten. Da kommt hoffentlich noch sehr viel." (Moritz Pappert) +++