Prof. Dr. med. Robert Schier berichtet

Der Anästhesiechef als Brückenbauer eines Krankenhauses

Prof. Dr. med. Robert Schier ist seit Sommer 2023 als Anästhesiechef am Klinikum Fulda tätig. Zeit für eine erste Bilanz.
Fotos: Christian P. Stadtfeld

28.12.2024 / FULDA - Wenn man zu einer OP abgeholt wird, ist ein mulmiges Gefühl im Bauch die Regel. Beim Blick an die Decke während des Transports gehen einem viele Gedanken durch den Kopf. Neonlicht, piepende Geräte und fremde Gerüche können Stress verursachen. Viele Patienten haben Angst, dass der Eingriff nicht glückt oder sie nicht mehr aus der Narkose aufwachen. Die Aufgabe eines Anästhesisten ist es daher, neben der sicheren Durchführung der Narkose in diesem Moment Wärme und Ruhe zu vermitteln, um die Patienten zu beruhigen und zu begleiten.



So ein Mensch ist Prof. Dr. med. Robert Schier. Seit mehr als einem Jahr ist er nun Klinikdirektor der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin am Klinikum Fulda.

Das erste Jahr Anästhesie am Klinikum Fulda

Die Jahresbilanz sieht Schier sehr positiv. Seit August 2023 arbeitet und lebt der Mediziner in der Domstadt. "Ich habe ein aufregendes Jahr hinter mir. In einem tollen Team konnte ich die neue, verantwortungsvolle Position wahrnehmen und wurde auf diesem – auch für mich neuen – Weg prima begleitet. Die Anästhesie am Klinikum Fulda ist schlagkräftig und dynamisch. Sie besteht aus einer Mischung aus vielen motivierten und jungen Kolleginnen und Kollegen sowie einer hohen Anzahl an sehr erfahrenen Ärztinnen und Ärzten, die das Bild abrunden."

Für Prof. Schier, für den ein Dom in einer Stadt als langjährig in Köln tätiger Arzt nichts Ungewöhnliches ist, war es ein großer Schritt, als Klinikdirektor an einen Maximalversorger wie das Klinikum Fulda zu wechseln. In den ersten hundert Tagen beobachtete er die Prozesse, ohne einzugreifen, und kam zu dem Schluss, dass die Anästhesie eine gut eingespielte und funktionierende Abteilung ist. Die Vorarbeit seines Vorgängers, Prof. Dr. med. Clemens Alexander Greim, machte Schier den Einstieg leicht.

Der Landkreis Fulda: Eine Region mit hohem Freizeitwert

"Die Wahl, nach Fulda zu kommen, war eine primär berufliche Entscheidung. Natürlich kennt man die Stadt, insbesondere von Zugreisen. Fachlich ist das Klinikum als Maximalversorger mit dem vollen Spektrum der Anästhesie, inklusive Herz-Thorax-Chirurgie, Regionalanästhesie, der 18-Betten-Intensivstation und der Luftrettungsstation mit dem Rettungshubschrauber Christoph 28 spannend.

Tatsächlich gefällt meiner Familie und mir die Region sehr gut. Hier ist es manchmal wie im Urlaub. Wir genießen das Wandern und die Ruhe in der Rhön sehr, und unsere Kinder sind von der Sommerrodelbahn eigentlich nicht mehr herunterzukriegen. Unterhalb der Tageskarte habe ich bei Besuchen der Wasserkuppe wenig Verhandlungsspielraum."

Leider ist Prof. Schier auch bei regionsspezifischen Fragen nicht aus der Reserve zu locken. Selbst der "Schwaddemagen" ist ihm ein Begriff: "Meine Frau stammt aus Kleinostheim. Bei den Schwiegereltern ist dementsprechend ein Schwartenmagen immer im Haus", gibt der Familienvater lachend zu. "Wenn ich das nicht wüsste, hätte ich ein Problem."

Anästhesiechef: Brückenbauer eines Krankenhauses

Die Anästhesie ist ein Dreh- und Angelpunkt jedes Krankenhauses. Im OP und in den Funktionsabteilungen läuft nichts ohne die Anästhesie. Auch die Intensivstation ist ein zentrales Instrument und Schnittpunkt aller Abteilungen. "Im Klinikum läuft die Kommunikation wertschätzend und kooperativ ab. Ein Vorteil: Im INO ist fast alles unter einem Dach. In der Uni waren die OP der einzelnen Abteilungen teilweise in unterschiedlichen Gebäuden. Hier haben wir kurze Wege. Das erleichtert viele Arbeitsabläufe enorm.

Man sieht andere Klinikdirektoren nahezu jeden Tag. Im persönlichen Gespräch lässt sich vieles schnell und besser klären als schriftlich. Zudem stauen sich Kritik und Verbesserungsvorschläge nicht auf, sondern können sofort umgesetzt werden. Wir versuchen gemeinsam, jeden Tag konstruktive Lösungen zu finden. Unsere knappste Ressource ist nämlich das Personal. Krankenhäuser stehen unter enormem wirtschaftlichem Druck. Der OP bringt der Klinik den größten Erlös. Ein gut laufender OP sichert das Fortbestehen des Krankenhauses und ist somit täglich die größte Herausforderung."

Laut Schier entsteht hier zwangsläufig täglich Reibung. Diese wird vom Anästhesie-Chef geschickt gelöst. Schier weiß auch, dass ein Maximalversorger liefern muss. Die Patienten verlassen sich auf das Klinikum und dessen Versorgungsauftrag.

AINS

Die moderne Anästhesie besteht aus vier Säulen: Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie. Das Fachgebiet selbst hat mit seinem Selbstverständnis, all diese Themen abzubilden, eine Mammutaufgabe zu bewältigen.

"Alle vier Säulen können nur wenige Allrounder abbilden. In einem Haus wie dem Klinikum geht es meist nicht ohne Subspezialisierung. Eine Expertin in der herzchirurgischen Anästhesie muss nicht zeitgleich die perfekte Notärztin sein – und umgekehrt. Was uns als Fach vielmehr auszeichnet, ist die hohe Sicherheitskultur.

Wie Piloten nutzen wir Standards und Checklisten und trainieren in Simulatoren. Die Narkose ist auf maximale Sicherheit ausgelegt. Zudem benötigt ein guter Anästhesist viel Empathie, denn die Patienten haben in den meisten Fällen natürlich Angst. Außerdem benötigt man handwerkliches und technisches Geschick. Das fängt bei der Sicherung des Atemwegs an und hört bei der Punktion zentraler Gefäße sowie Regionalanästhesien auf. Nach dem Facharzt spezialisieren sich die Kollegen dann in einem Bereich, um hier wirklich Experten zu werden."

Ab 2025 wird Prof. Schier am Rettungshubschrauber Christoph 28 als Notarzt fliegen. Er möchte dies tun, um alle Bereiche seiner Kollegen zu kennen. Dazu gehört auch der Rettungsdienst. "Der Hubschrauber ist etwas ganz Besonderes. Das Projekt Christoph 28 ist organisch gewachsen und der ADAC ein verlässlicher Partner. Die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz in Fulda ist herausragend und basiert auf einem hohen Vertrauen. Aus unserer Klinik werden erfahrene Fach- und Oberärzte am Hubschrauber eingesetzt. Das ist auch notwendig, denn häufig wird man zu schwierigen Lagen oder zur Unterstützung angefordert."

Laut Schier wird sich der Rettungsdienst der Zukunft ändern. Expertise kann dann auch per Telenotarzt angefordert werden. Dabei kann der Notfallsanitäter am Einsatzort einen speziell geschulten Notarzt zur Videoberatung hinzuziehen. Dadurch kann der Notfallsanitäter sein Maßnahmenspektrum erweitern, während gleichzeitig Notarzteinsätze eingespart werden.

Schiers Plan für die Zukunft am Klinikum

"Die Anästhesie hat eine koordinierende und vermittelnde Rolle im Krankenhaus. In Zukunft versuchen wir, zusammen mit moderaten Veränderungen, Abläufe zu optimieren. Die Prozesse im OP, aber auch außerhalb, haben das Potenzial, noch weiter verbessert zu werden. Mein Ziel sind schnellere Abläufe mit hoher Qualität. Unser Ziel muss es sein, mit perfekten Prozessen noch mehr Patienten versorgen zu können. Für dieses Projekt ist der Neubau gut geplant, und der Vorstand hat ein offenes Ohr für Verbesserungsvorschläge."

Schier hat die Veränderungen durch die 2025 anstehende Krankenhausstrukturreform bereits in NRW erlebt und erwartet in Hessen ähnliche Herausforderungen. Spezialisierte Eingriffe werden am Klinikum zu einer erhöhten Patientenanzahl führen. Schon jetzt hat man laut Schier Probleme, bei aktuell hohen Krankenständen und in Zeiten des Personalmangels alle Patienten zeitgerecht zu versorgen. Die Zukunft sieht Schier daher in einer Vernetzung von großen und kleinen Häusern sowie in Kooperationen.

Uniklinikum Fulda: Nicht notwendig

"Der Campus Fulda ist ein großartiges Konzept. Unser Lehrsystem ist hervorragend auf die Studierenden angepasst worden. Unsere Tutoren sind bemüht, und die Lehre in Fulda hat eine persönliche Note. Auch neben der Uni werden Aktivitäten wie Wanderungen und sogar besondere Aktivitäten wie Lasertag angeboten. Zu Beginn wollte keiner zu uns nach Fulda, weil man sich für ein Studium in der Universitätsstadt Marburg entschieden hat. Es spricht sich aber unter den Studierenden herum, welche Mühe man sich bei uns in der Ausbildung gibt.

Viele Professoren betreiben zudem klinische Forschung und werben hierfür zahlreiche Drittmittel ein. In Fulda fehlt aktuell allerdings eine Nassforschung – das ist Forschung im Reagenzglas. "Ich halte aus diesen Gründen den Campus Fulda für ein der Uniklinik in Qualität und Ausbildung gleichwertiges Konzept."

Eine weitere Besonderheit ist laut dem Mediziner die Finanzierung. Uniklinika werden aus Landesmitteln finanziert. Das Klinikum Fulda befindet sich hingegen in kommunaler Trägerschaft, was vieles vereinfacht. Die Stadt Fulda steht politisch felsenfest hinter dem Klinikum Fulda. "Die Krankenhausstrukturreform wird uns in eine bessere Position bringen. Kommunale Krankenhäuser sind systemrelevant und daher unverzichtbar. Auch wir haben aktuell ein großes Defizit im Haushalt, stehen allerdings bundesweit mit am besten da."

Auf dem Weg zur "grünen Abteilung"

Ein weiteres Thema auf Schiers Agenda ist die grüne Anästhesie. Die Rhön hat er bislang selten schneeüberzogen erlebt – der Klimawandel ist auch in Krankenhäusern ein wichtiges Thema. Der CO₂-Fußabdruck deutscher Kliniken ist schlecht. Besonders schädlich: Narkosegase.

"Das CO₂-Äquivalent von Narkosegasen ist immens. Das Medikament Desfluran wurde daher komplett gestrichen. Sevofluran wird lediglich mit strenger Indikation, beispielsweise bei Herz-OP oder bei Kindern, eingesetzt. Der Trend geht zur TIVA. Hier wird das Narkosemedikament Propofol mit einer Pumpe über die Vene verabreicht. Allerdings entsteht dabei mehr Verpackungsmüll."

Das Müllproblem wird im Klinikum durch Mülltrennung angegangen. Man glaubt es kaum, aber in den meisten deutschen Krankenhäusern ist Mülltrennung im Jahr 2024 noch ein Randthema. Dabei sind die Mengen, insbesondere an Plastikmüll durch Einwegprodukte und sterile Verpackungen, enorm.

Krankenhausstrukturreform vor der Brust

"Kein Krankenhaus muss Sorge vor der Reform haben. Kleine Häuser werden genauso eine Daseinsberechtigung haben wie große Krankenhäuser. Die Geschäftsführer müssen jedoch nun entscheiden, welches Versorgungslevel sie anbieten wollen.

Die Reform war dringend nötig. 20 Jahre "Diagnosis Related Group" (ein System zur Abrechnung von Krankenhausleistungen) haben gezeigt, dass das mengenabhängige System in der aktuellen Form nicht funktioniert. Ein solches System schafft Fehlanreize. Es entsteht der Druck, mehr Eingriffe zu generieren. Im Moment werden die erwirtschafteten Gewinne von hohen Energie- und Materialkosten aufgefressen." Deutschland hat mit die höchsten Gesundheitskosten weltweit, die Lebenserwartung ist 2024 allerdings etwas unter dem europäischen Durchschnitt.

"In Ballungsräumen haben wir aktuell eine medizinische Überversorgung. Im ländlichen Raum fehlen jedoch Ärzte. Die Reform will hier neu sortieren und Zentren bilden. Die Grundversorgung auf dem Land muss genauso gewährleistet sein wie die Notfallversorgung. Spezielle Fälle kommen in Zukunft in große Zentren. In solchen Fällen muss man als Patient eine längere Anreise in Kauf nehmen."

Besonders wichtig ist es Schier, zu betonen, dass alle Player – und insbesondere die hessische Landesregierung – Mut benötigen, die Klinikstrukturreform anzupacken. Dabei sollte nicht verpasst werden, die im System arbeitenden Expertinnen und Experten als Ressource zu nutzen und in die Entscheidungen einzubeziehen.

"Wir in Fulda stehen dazu gerne bereit. Wir müssen nur Gas geben. Am 01.01.2027 muss das Konzept stehen. Mit unserem Vorstand PD Dr. Menzel und unseren Klinikdirektoren sind wir dafür personell hervorragend aufgestellt." (Adrian Böhm) +++

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