Gleichheitsideologie im Bildungswesen?

Philologen-Spitze: Keine Einheitsschule, sondern gegliedertes Schulsystem

Anna Nüchte, Maximilian Manns und Bastian Michel: "Keine Einheitsschule, sondern gegliedertes Schulsystem"
Fotos: Hannes Mayer

22.12.2024 / FULDA - "Das Gymnasium ist keine Schule für alle." Das sagen Maximilian Manns (41), Anna Nüchter (37) und Bastian Michel (46) mit aller Deutlichkeit, als sie zum OSTHESSEN|NEWS-Gespräch in unsere Redaktion kommen. Alle drei sind Gymnasiallehrer und bilden die neue Führungsriege des Hessischen Philologenverbands (hphv) in Osthessen. Sie berichten von fehlender Leistungsbereitschaft und Disziplin, einer Überforderung des Systems und Lehrkräftemangel.


Ihre klare Forderung: Die Gymnasien entlasten und andere Schulformen wie etwa die Real- oder Hauptschule stärken. "Das dreigliedrige Schulsystem ist elementar. Der Übergang von der Grundschule zu einer weiterführenden Schule muss neu geregelt werden, vor allem durch eine verbindlichere Übergangsempfehlung. Liegt beispielsweise eine Hauptschulempfehlung vor, lehnen wir das Überspringen einer Schulform hin zum Gymnasium ab. Bei Realschulempfehlungen soll im Zweifel ein Eignungstest zum Einsatz kommen."

Heterogenität in den Lerngruppen sei laut hphv ein zentrales Problem im deutschen Bildungswesen. Auch der Druck auf die Gymnasien wachse zunehmend und wurde in den letzten Jahren durch Integration und Inklusion verstärkt. "Ich finde es problematisch, dass viele Eltern ihre Kinder unbedingt auf das Gymnasium schicken wollen. Es spielt für sie scheinbar keine Rolle, ob sie für diese Schulform geeignet sind oder nicht. Das kann zu Überforderung führen und belastet dadurch sowohl die Kinder als auch die Schulen", berichtet hphv-Bezirkschef Maximilian Manns. Er ist Oberstudienrat an der Ulstertalschule in Hilders für die Fächer Englisch und Sport. "Wir setzten uns für eine talentgerechte Förderung aller Schülerinnen und Schüler ein. Deshalb braucht es verbindlichere Grundschulempfehlungen und vielleicht sogar einen Eignungstest, der die kognitiven Fähigkeiten misst." Eine Studie belege diese Erkenntnis. Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) kommen zu dem Ergebnis, dass sich eine "leistungsbasierte Aufteilung der Schülerschaft in verschiedene Schulformen vorteilhaft auf das allgemeine Leistungsniveau, aber auch die Bildungsgerechtigkeit auswirkt. Vor allem schwächere Schülerinnen und Schüler profitieren von einer strikten Differenzierung".

Halten ideologische Grundzüge Einzug im Bildungswesen?

Der Philologenverband widerspricht mit seiner Meinung auch deutlich den Forderungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die - wie jüngst in der Fuldaer Zeitung über zwei Lehrkräfte zu lesen - ein längeres gemeinsames Lernen und die Einheitsschule fordert. "Von einer derartigen Schulorganisation profitieren, wie wissenschaftliche Studien schon lange belegen, weder die leistungsschwachen noch die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler", macht das Bezirksvorstands-Team des Philologenverbands deutlich und spricht von der "Gleichheitsideologie", die auf das Bildungswesen übergreife. So müsse es etwa auch bei den Bundesjugendspielen um individuelle Leistung gehen und nicht um Einheitsbewertungen. Generell hemme die permanente Orientierung an den schwächsten Lernenden die Entfaltung des Potentials der Leistungsträger. Unter den herrschenden Bedingungen sei es kaum möglich, der Vielfalt der Schülerschaft gerecht zu werden. Forderungen nach weniger Differenzierung und mehr Heterogenität seien daher absurd.

Zu großer Leistungsdruck gepaart mit Überforderung sorge für Lernfrust und psychische Probleme, wie es das jüngste Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung zeige. Das gelte auch für die Lehrkräfte, die sich mit der zunehmenden Heterogenität und den vielfältigen Zusatzaufgaben, die auf sie übertragen würden, überfordert fühlten.

"Deshalb wollen wir, dass jeder die persönliche Förderung bekommt, die er braucht, um bestmögliche Leistungen zu erzielen. Das geht nur mit dem gegliederten Bildungssystem", betont Bastian Michel, Studiendirektor für Geschichte und Sport am Domgymnasium in Fulda. "Es sollte kein Makel sein, auf die Realschule oder Hauptschule zu gehen. Eltern sollten diese Schulformen nicht mehr meiden, sondern wieder schätzen lernen. Dies geht aber nur, indem die Politik diese Bildungsgänge gezielt stärkt." Nicht jeder müsse Abitur machen, auch wenn das von vielen gewollt sei, denn so könne die Gesellschaft nicht funktionieren. "Das ist wie mit dem Bachelor-Studium. Viele studieren, damit sie studiert haben."

Für Studienrätin Anna Nüchter, die an der Gesamtschule Niederaula tätig ist und die Fächer Englisch, Biologie sowie katholische Religion unterrichtet, ist es dringend geboten, nicht über die Abschaffung des Fehlerquotienten der zweiten Fremdsprache und des bewährten Notensystems nachzudenken, wie es aktuell von mancher Seite gefordert wird.

Denn die Schulen und das Gymnasium passten sich schon seit längerer Zeit der schwächer werdenden Schülerschaft an, indem sie Leistungsanforderungen nach unten korrigierten. Zudem liegen Nüchter die Themen Handy- und Mediennutzung am Herzen: "Viele Lernende fühlen sich stark belastet und berichten davon, kaum Zeit zu haben. Wenn man genauer nachfragt, zeigt sich oft, wie viel Zeit für Medienkonsum verwendet wird. Unsere Kinder und Jugendlichen müssen besser geschützt werden, damit sie wieder mehr Kapazitäten zur freien Entwicklung eigener Potentiale bekommen. Das ständige Konsumieren von Bildinformationen überfordert das jugendliche Gehirn und hemme die Bereitschaft wichtige Fähigkeiten wie Lesen und kritisches Denken zu entwickeln." Der hphv fordert deshalb eine neue und landeseinheitliche Regelung der Smartphonenutzung in den Schulen, die die Heranwachsenden dabei unterstützt, sich während des Schultags voll auf das Lernen zu konzentrieren.

Die regionale Spitze des Philologenverbands betont abschließend noch einmal: "Unsere Gesellschaft braucht wieder Einsatzbereitschaft, Leistung und Disziplin. Diese drei Punkte sehen wir schon seit längerem zu wenig berücksichtigt." (Christian P. Stadtfeld) +++

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