Im Kanzlerpalais

Vorstellung des Protokollbuchs der Fuldaer jüdischen Gemeinde 1731-1786

Sie strahlen über das druckfrische Protokollbuch – Dr. Stephan Wendehorst, Paual Somogyi, Dr. Thomas Heiler und Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld.
Fotos: Jutta Hamberger

13.12.2024 / FULDA - So gut wie alle in Fulda Stadt und Land, die sich für jüdische Geschichte und Kultur interessieren, waren zur Buchvorstellung "Das Protokollbuch der Fuldaer jüdischen Gemeinde 1731-1786" ins Kanzlerpalais gekommen. Der von Herausgeberin Paula Somogyi präsentierte Pinkas (= Protokollbuch) ist mit dem Begriff "einzigartig" ziemlich präzise umschrieben.


Erinnern, um Orientierung zu geben

Unter den Gästen, die der Oberbürgermeister begrüßte, waren u.a. die Vorstandsmitglieder und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde sowie der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ, Autor Dr. Michael Imhof mit seiner Frau, Dr. Albert Post, der Vorsitzende des Schul- und Kulturausschusses, Anja Listmann, die Beauftragte für Jüdisches Leben, Hartmut Zimmermann von der Landessynagoge Heubach, das Team des Kulturamts und Dr. Yochai Ben Ghedalia, der Direktor der Jerusalemer "Central Archives for the History of the Jewish People" (CAHJP).

Es gibt zwar viele Publikationen über jüdische Gemeinden, deren Fokus aber liegt im 19. Jahrhundert. Es handelt sich dabei in der Regel um Schriften der jeweiligen Verwaltung, es ist ihr Blick auf die jüdische Gemeinde ihrer Stadt. Innerjüdische Dokumente sind bisher kaum aufbereitet worden. Das liegt auch an der teils sehr schwierigen Quellenlage. Denn nach 1945 gingen die betreffenden Dokumente fast komplett an das "Centrum Judaicum" in Berlin und die "Central Archives for the History of the Jewish People" (CAHJP) in Jerusalem. In seiner Begrüßung brachte Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld es auf den Punkt: "Diese Publikation leistet einen wesentlichen Beitrag, um den Blick der breiten Bevölkerung dafür zu schärfen, wie zentral jüdisches Leben seit 1.000 Jahren in Fulda war und wie stark es unsere Stadt geprägt hat." Das Buch sei Ausdruck des klaren Bekenntnisses der Stadt, zu ihrer Geschichte zu stehen: "Wir rufen in Erinnerung, um Orientierung zu geben."

"Ich dachte, Fulda ist so groß wie Berlin"

Dr. Yochai Ben Ghedalia war der Buchvorstellung per Zoom zugeschaltet. In seinem auf englisch gehaltenen Grußwort sagte er: "Ich wusste, Fulda hatte eine bedeutende jüdische Gemeinde. Ich wusste, hier engagieren sich viele für jüdische Geschichte. Nach dem Grad der Aktivitäten – Konferenzen, Workshops, Tagungen, Publikationen und Symposien – dachte ich, Fulda ist so groß wie Berlin oder Frankfurt."

Dass Fuldas Umgang mit seiner Jüdischen Geschichte besonders ist, betonte auch Dr. Stephan Wendehorst von der Universität Wien. "Ich habe erlebt, wie andere Städte mit ihrer jüdischen Geschichte umgehen – Fulda ist wirklich exzeptionell." Wendehorst leitet das Projekt mit dem etwas umständlichen Titel "Die regestenmäßige Erschließung der Fuldaer Betreffe in den CAHJP" und berichtete, wie aus der ursprünglich geplanten ‚nur‘ regestenmäßigen Erfassung der Dokumente das Projekt Protokollbuch entstand.

Fuldas Juden sprachen deutsch, nicht jiddisch

"Ohne mein Team in Wien wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Am dortigen Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte verbinden sich Know-how aus der Rechtsgeschichte, der Judaistik und der allgemeinen Geschichte." Sein Team habe ursprünglich den Namen "Juden im Heiligen Römischen Reich" gehabt. Der Name sollte die einzigartige Situation Deutschlands widerspiegeln: anders als in anderen europäischen Ländern waren Juden hier seit dem Mittelalter kontinuierlich präsent.

Das Protokollbuch enthülle, dass die Fuldaer Juden deutsch sprachen und schrieben, oft in hebräischen Buchstaben (= Judendeutsch). "Im gesamten Pinkas gibt es keine einzige jiddische Quelle!", so Wendehorst. Das stünde konträr zur weit verbreiteten Annahme, alle Juden hätten damals jiddisch gesprochen: "Die Juden v.a. der Oberschicht waren sprachlich sehr versiert und sind auch mit der juristischen Sprache höchstkompetent umgegangen. Sie waren weder auf eigens ausgebildete Schreiber angewiesen noch auf Christen angewiesen, sie beherrschten sogar den lokalen Dialekt". Dies sei ein deutlicher Hinweis darauf, dass "die Fuldaer jüdische Gemeinde in die Gesamtkultur Fuldas eingebunden gewesen sei".

Herausgeberin Paula Somogyi erzählte von ihrer Faszination angesichts der Quellen, weil diese plastisch erlebbar machten, wie in der hiesigen jüdischen Gemeinde Probleme gelöst worden seien. Finden könne man in den Regesten Sitzungsprotokolle und Beschlüsse des jüdischen Gemeindevorstands. Man könne den Grad der Autonomie ablesen, den die Jüdische Gemeinde hatte. Man könne sehen, was alles intern geregelt wurde – bis hin zur Verpflegung und Unterbringung durchreisender Juden oder zur Schaffung von Übergangswohnungen. Das Buch präsentiert die faksimilierten Originaldokumente und ihre Übersetzung ins Deutsche und ins Hebräische. Das macht es zu einem Nachschlagewerk für alle an fuldisch-jüdischer Geschichte Interessierten, und zum Lehrwerk für alle, die diese Dokumente im Original lesen wollen.

Ein sprachloser Kulturamtsleiter

Vermutlich hat man in der Stadtverwaltung Herrn Dr. Heiler so gut wie nie sprachlos erlebt – heute war er es. Denn Team Wien und Team Fulda hatten es geschafft, eine schöne Überraschung vor ihm geheim zu halten: Sie widmeten ihm das Protokollbuch.

Die Geschichte des Protokollbuchs habe bei seinem ersten Besuch im CAHJP 2017 begonnen, erzählte ein sichtlich gerührter Kulturamtsleiter. In Jerusalem Fuldaer Akten zu lesen, habe ihn tief bewegt. Er sei dabei auch auf einen Plan der Synagoge aus dem späten 18. Jahrhundert gestoßen. Ihm sei schnell klar gewesen, dass eine reine Digitalisierung der Dokumente nicht ausreichen würde. Um die 120 Akten mit rund 6.500 Seiten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, müssen sie editiert und im Kontext erläutert werden.

"Wir haben so wenig aus dem 18. Jahrhundert", so Dr. Heiler. Die Jerusalemer Bestände seien ein Schatz, den es zu heben gelte – weitere Publikationen sind bereits angedacht.

"Und wenn Sie mich jetzt fragen, wieso macht eine Kommune Grundlagenforschung, dann ist meine Antwort: Weil Hochschulen das kaum noch machen oder machen können. In Fulda sind wir uns einig, dass das Judentum ein elementarer und genuiner Teil Deutschlands und der deutschen Geschichte ist. Ich danke dem Oberbürgermeister und den städtischen Gremien, dass sie es uns ermöglichen, unsere eigene Geschichte besser zu verstehen." (Jutta Hamberger) +++

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