Erinnern, gedenken, versöhnen

Volksbund Kriegsgräberfürsorge forscht zu den hessischen Kriegsgräberstätten

Von links: Karl Starzacher, Marvin Lange, Ob Dr. Wingenfeld und der stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher Dr. Thomas Bobke
Fotos: Jutta Hamberger

25.11.2024 / FULDA - Gesehen haben wir die oft namenlosen Kreuze schon oft, sicherlich auch flüchtig ‚Kriegsgräber‘ gedacht. Aber haben wir uns wirklich für die Menschen interessiert, die hier liegen? Wissen wir etwas über sie? Fast 80 Jahre nach Kriegsende ist dies ein seltsam blinder Fleck in unser aller Gedenken. Genau das ist der Dreh- und Angelpunkt der historischen Forschung, die der Volksbund für Kriegsgräberfürsorge betreibt.


Neue Wege im Erinnern gehen

"Es ist notwendig, dass wir im Erinnern neue Wege gehen, es ist möglich, Versöhnung zu gestalten und zu leben", so Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld in seinem Grußwort. Das sei zwar zuvörderst staatliche oder kommunale Aufgabe, böte aber die Chance für zivilgesellschaftliches Engagement. Dafür stünden exemplarisch der Einsatz der Fuldaer Rotarier und das Engagement der Katholischen Akademie des Bistums Fulda: gemeinsam mit der Richard-Müller-Schule sei so im vergangenen Jahr ein Projekt Kriegsgräberfürsorge aufgesetzt worden. Jörg Demuth, der Schulleiter der Richard-Müller-Schule, war genauso anwesend wie Gunter Geiger, der Leiter der Katholischen Akademie. Er gehöre einer Generation an, die das Glück gehabt habe, keinen Krieg erlebt zu haben, sondern in einer Wohlstandsgesellschaft aufgewachsen zu sein, so der Oberbürgermeister. Und auch wenn er schon als Jugendlicher geschichtsinteressiert gewesen sei, sei er damals achtlos an Kriegsgräbern vorbeigegangen. "In der Schule wurde darüber nicht gesprochen, wir haben nicht gefragt: Wo kamen die Toten her?, was war ihre Geschichte?, und was bedeutet das für uns?", so der Oberbürgermeister weiter.

Auch Karl Starzacher, der Vorsitzende des Hessischen Volksbunds, ging in seiner berührenden Rede auf die sich verändernde Erinnerungskultur und die Kernaufgaben ein, die der Verein habe: "Wir wollen die Erinnerung an Krieg und Gewaltherrschaft wachhalten und Verständnis und Versöhnung unter den Menschen und Völkern fördern". Heute, 80 Jahre nach Kriegsende, sei das Erinnern unwiderruflich anders, so Starzacher, und es sei eine Herausforderung, es lebendig zu halten.

Kriegsgräber sind Überreste der Gewalt

In der Feierstunde übergab der Volksbund der Stadt Fulda und allen hier lebenden Menschen die Informationstafeln, die das Schicksal der Gräber und der Toten dokumentieren. Jede Tafel ist zusätzlich mit einem QR-Code versehen, über den weitere Informationen zugänglich werden. Der Fuldaer Zentralfriedhof ist eine von 16 hessischen Kriegsgräberstätten, die in das Forschungsprojekt aufgenommen worden sind. Auf den 1.052 Kriegsgräberstätten Hessens ruhen mehr als 70.000 Menschen – knapp 1.000 davon in Fulda, eine angesichts der Einwohnerzahl der Stadt hohe Zahl. 50% dieser Toten stammen nicht aus Fulda.

Im Krätzbachtunnel starben nicht nur Fuldaer

Beim Spaziergang mit Historiker Dr. Götz Hartmann, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an diesem Forschungsprojekt arbeitet, konnte man die Kriegsgräber dann aus anderer Perspektive erleben. Aus der knappen Inschrift "Hier ruhen unbekannte Tote des Zweiten Weltkriegs 1939-1945" wird dann die Geschichte von ca. 250 ausländischen Opfern des Bombenangriffs auf Fulda am 27. Dezember 1944. "Man kennt die Toten, sie sind nicht unbekannt", so Hartmann. Das Stichwort Krätzbachtunnel sei wohl allen Fuldaern geläufig, dass dabei aber auch 250 Fremdarbeiter den Tod fanden, eher weniger. Dank alliierter Luftaufklärung habe man gestochen scharfe Fotos des Zentralfriedhofs, auf denen die Bombenkrater gut erkennbar seien. In diesen habe man die Toten unter die Erde gebracht – "ohne Särge, man hat sie nur mit Kalk übergossen, es musste ja schnell gehen".

Ebenso berührte uns das Kriegsgräberdenkmal für polnische Tote, die namentlich auf dem Stein aufgeführt sind. "Za wasza i nasza wolnośc rodacy" steht unter den Namen, "für eure und unsere Freiheit". Das ist das inoffizielle Motto Polens und wird mit den vielen Kämpfen Polens um seine Unabhängigkeit assoziiert. "Als im Februar 2022 viele Flüchtlinge aus der Ukraine nach Polen kamen, war es vielfach zu hören", so Dr. Hartmann.

Am unteren Ende des Friedhofs gibt es ein weiteres Gräberfeld, auf dem ca. 200 ausländische Tote liegen. Die heutige Gestaltung stammt aus den 1960-er Jahren. 56 symbolische Kreuze stehen auf dem Feld, 27 davon tragen Namen. Fast immer sind die Todesursachen überliefert: Schwerstarbeit, Mangelernährung, fehlende Gesundheitsfürsorge und die Unterbringung in Massenquartieren führten zu hohen Sterblichkeitsraten.

Den Kriegstoten ihre Geschichte zurückgeben

Es war eine erhellende Feierstunde, die den Blick scharfstellte. Was man vorher vielleicht nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen hat, wird durch dieses Projekt des Volksbunds ins Licht gerückt. Nein, dort liegen nicht einfach ‚unbekannte Tote‘, dort liegen Menschen mit ihren Lebensläufen und Geschichten, die es zu erzählen und zu erinnern gilt. Sie alle starben als Opfer von Krieg und NS-Diktatur, sie starben in der Fremde, wo man sie ausbeutete und ihnen mit kaltherzigem Rassismus begegnete. Von über 90% ist der genaue Grabplatz nicht bekannt, weil die NS-Bürokratie ihnen eine dauerhafte Kennzeichnung der Grabstätten verweigerte. Im Dritten Reich endete Rassismus nicht am Grab. Wenn Sie das nächste Mal über den Zentralfriedhof gehen und die Gräber Ihrer Lieben besuchen, ehren Sie bitte auch diese 1.000 Menschen, die hier starben, weil ihr Leben im Nationalsozialismus nichts wert war. (Jutta Hamberger) +++

X