Wusste er was er tut?

Verfassungswidrigen Satz auf X geteilt - Rentner erneut vor Gericht

Wusste der 76-jährige Rentner aus Neuhof, was er tut, als er "Deutschland erwache" auf X postete?
Fotos: Katharina Geppert

14.11.2024 / FULDA - Zwei Worte auf Twitter (X) geteilt: dafür steht er jetzt schon zum zweiten Mal vor Gericht. Am Mittwochvormittag fand der Berufungsprozess gegen einen 76-jährigen Rentner vor dem Landgericht Fulda statt. Zuvor hatte er einen verfassungswidrigen Satz auf X geteilt, wurde angeklagt und freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein, woraufhin der Rentner am Mittwoch wieder vor Gericht stand.

Was ist passiert?

Am 25. März 2023 twitterte der 76-jährige Angeklagte aus Neuhof unter seinem Accountnamen die zwei Worte "Deutschland erwache". Dabei handelt es sich um die nationalsozialistische Parole der SA, die in Deutschland verboten ist. Er twitterte sie als Reaktion auf einen anderen Tweet, der sich auf die damaligen Demonstrationen in Frankreich bezog.


Daraufhin wurde er angezeigt - in diesem Jahr erfolgte der Prozess gegen ihn. Das Fuldaer Amtsgericht war der Überzeugung, dass der Angeklagte keine Kenntnisse über die Wörter "Deutschland erwache" als Parole einer verbotenen Organisation hatte. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Wusste der Rentner, was er tut? Dieser Frage ging das Fuldaer Landgericht bei der Berufungsverhandlung am Mittwochmorgen nach.

Warum hat der Rentner die Parole gepostet?

Den zentralen Punkt in der Berufungsverhandlung stellte natürlich die Frage dar, ob der Angeklagte wusste, was die zwei Wörter bedeuten oder ob er sie bewusst als Parole einer verbotenen Organisation twitterte. Der Angeklagte behauptete steif und fest, er habe nicht gewusst, wofür "Deutschland erwache" stehe. Laut dem 76-Jährigen aus dem Neuhofer Stadtteil Giesel (Landkreis Fulda) habe er das "erwache" nur durch eine Arbeitskollegin im Kopf gehabt, die Zeugin Jehovas gewesen sei.

Richter in dem Prozess, Fuldas Landgerichtspräsident Dr. Jochen Müller, hielt diese Begründung für unglaubwürdig. Die Erklärung im Zusammenhang mit den Zeugen Jehovas bezeichnete er als "Schutzbehauptung" des Angeklagten. Im späteren Verlauf sagte Müller: "Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie davon keine Kenntnis hatten." Außerdem erklärte er die genaue Bedeutung der Parole noch einmal. Dieser Satz war Teil einer Hymne der Sturmabteilung (SA) der NSDAP.

"Null Unrechtsbewusstsein"

Müller stellte klar: "Die Verbreitung ist ein Tabubruch." Dennoch: die Schuldfrage lasse sich nur auf Grundlage der Frage nach dem Kontext beantworten. Der Richter legte dem Angeklagten nahe zuzugeben, dass es ein Fehler gewesen sei. Im Falle eines Schuldeingeständnisses des Angeklagten könne er mit einer Geldbuße davon kommen. Das Geld werde der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt zugutekommen.

Dem Angeklagten war es wichtig, noch vor Rücksprache mit seinem Anwalt über diese Option einiges klarzustellen. "Ich habe mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun", sagte er sichtlich spannungsgeladen. Er habe auch jetzt "null Unrechtsbewusstsein". Mit dem Nationalsozialismus habe sein Post nichts zu tun. Anschließend beriet sich der Rentner mit seinem Anwalt und kam zu dem Entschluss, der Geldstrafe zuzustimmen und seinen Fehler einzuräumen.

1.000 Euro Geldstrafe

Damit muss der gelernte Diplomkaufmann bis zum 15. Dezember 2024 1.000 Euro an die Anne-Frank-Stiftung in Frankfurt am Main spenden. Staatsanwalt Axel Becker wertete das als Schuldeingeständnis des Angeklagten, erklärte aber, dass eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen eher unüblich sei. Richter Müller sagte zu Ende des Prozesses, dass es trotz der voraussichtlichen Einstellung des Verfahrens wichtig sei, dass die Grenzen zwischen dem, was man sagen kann und was nicht, nicht wieder verschoben werden dürfen. (kg) +++

X