Insolvenzverfahren wird eröffnet
Lauterbacher Firma Hut Wegener eine von 30 Briefkastenfirmen
Archivfotos: ON
09.11.2024 / LAUTERBACH/GIESSEN -
Nachdem das vorläufige Insolvenzverfahren über die Lauterbacher Firma Hut Wegener bereits vor rund zwei Jahren eröffnet worden war, steht nun die eigentliche Insolvenzeröffnung bevor. "Das Verfahren hat durchaus das Prädikat ,außergewöhnlich‘ verdient", hatte Insolvenzverwalter Tim Schneider damals gesagt und vermutet, dass das Unternehmen vorsätzlich zu Grabe getragen wurde.
Eine in einer Nacht-und-Nebel-Aktion leergeräumte Hutfabrik, ein neuer Firmensitz in einem Gebäude in der sächsischen Provinz, in dem neben der Wegener GmbH 29 weitere Firmen aus unterschiedlichen Branchen angemeldet sind, und ein untergetauchter Geschäftsführer, der nur ein Strohmann war: Die Hintergründe der Insolvenz von Hut Wegener, nachdem eine Rettung des Lauterbacher Betriebs mittels Crowdfunding im Jahr 2020 gescheitert war, sind mehr als merkwürdig. Der Gießener Rechtsanwalt Tim Schneider ging schon damals von einer illegalen Firmenbeerdigung aus, bei der ein Unternehmen absichtlich in die Insolvenz geführt wird.
Nun erklärt der Insolvenzverwalter auf Anfrage, er plane, sein Gutachten zu dem Verfahren noch in diesem Jahr vorzulegen. "Das wird allerdings lückenhaft ausfallen", kündigt Schneider an und erklärt: "Es wird schwer, ein Gutachten anzufertigen, wenn ich keine Unterlagen habe; und die sind eben nun einmal nicht vorhanden."
Immobilie in Blitzenrod leergeräumt
Bereits zu Beginn des "Alptraumverfahrens" – so der O-Ton des Juristen im November 2022 – war bekannt geworden, dass der Firmensitz kurz nach der Unternehmensveräußerung in die Nähe von Zwickau verlegt und die Immobilie in Lauterbach-Blitzenrod leergeräumt worden war. Zeitgleich war der neue Geschäftsführer Daniel Stanislav Wlodarczak untergetaucht, der mit der Unternehmensveräußerung im Jahr 2022 auf den Plan getreten war. Der, so die Vermutungen des Gießener Juristen, soll ohnehin nur als Strohmann für eine Gruppe gedient haben, die sich auf illegale Firmenbeerdigungen spezialisiert hat.Ein anonymer Tippgeber behauptete kurz darauf der Fuldaer Zeitung gegenüber, der Drahtzieher unterhalte über ebensolche Strohmänner mehrere Briefkastenfirmen unterschiedlicher Branchen wie Groß- und Einzelhandel, IT, Hotels und Gastronomie, Kraftfahrzeughandel, Transport, Bau und Sicherheitsdienste. 30 davon – darunter auch Wegener – sollen in der Gemeinde Hohenstein-Ernstthal im Landkreis Zwickau angesiedelt sein – an einer einzigen Adresse. Tatsächlich tauchen im Amtsblatt der Gemeinde über Monate hinweg diverse öffentliche Zustellungen gemäß Paragraf 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes auf, die auf die Adresse der mutmaßlichen Briefkastenfirma entfallen. Der Paragraf besagt, dass, sollte etwa bei einem Zusendeversuch eines Schreibens einer Behörde an eine Firma der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt sein, diese Zusendung auch durch eine öffentliche Bekanntmachung erfolgen kann. Ein solcher Vorgang kann ein Hinweis auf eine Briefkastenfirma sein.
Der Hinweisgeber nennt uns außerdem die Firma, über welche die illegalen Firmenbestattungen laufen sollen. Eine entsprechende Website, auf der mit Übernahme, Ankauf oder Auflösung von GmbHs geworben wird, existiert tatsächlich. Bei näherem Hinsehen erscheint der Internetauftritt wenig seriös: Die angebliche Geschäftsführerin ist im Netz quasi unbekannt. Die Fotos der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – darauf deuten Dateinamen und eine Suche im Internet hin – scheinen aus einem Bild-Generator zu stammen.
Stichwort
Sogenannte Firmenbestattungen sind kein neuer Trend. Sie dienen als Mittel zur Liquidation eines Unternehmens – zumeist bei Kapitalgesellschaften wie einer GmbH oder AG. Für die Insolvenz wird ein neuer Gesellschafter oder Vorstand berufen sowie der Sitz der Gesellschaft – und somit auch der Gerichtsstand – verlegt. Ziel ist es, dass bisherige Gesellschafter oder Vorstände keine beruflichen oder privaten Konsequenzen – wie Eintragungen bei Auskunfteien und eine Beschädigung der Kreditwürdigkeit – befürchten müssen.
Wenn bei der Firmenbestattung die gesetzlichen Vorschriften wie die Insolvenzantragspflicht eingehalten werden, ist sie laut Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe nicht zu beanstanden. Wenn jedoch strafrechtlich relevante Praktiken zur Anwendungen kommen – etwa die Einsetzung eines Strohmanns im Ausland, der nicht in der Lage ist, ein Insolvenzverfahren ordnungsgemäß abzuwickeln – spricht man von illegalen Firmenbestattungen. Liegt eine solche vor, geht sie oft einher mit Insolvenzstraftaten wie Verschleppung oder betrügerischem Bankrott. Das Unternehmen, das bestattet werden soll, wird mitunter dann mit der Verlegung des Geschäftssitzes ausgeräumt. Die (gewerblichen) Bestatter nutzen mit der Verlegung des Firmensitzes die unterschiedlichen Zuständigkeiten der Insolvenzgerichte aus, indem sie das Verfahren noch unter der alten Adresse beantragen. Die Klärung der Zuständigkeiten zieht dann Verzögerungen im Verfahren nach sich.
Illegale Firmenbestattungen führen bei den Gläubigern häufig zu erheblichen Problemen. Der finanzielle Schaden durch Zahlungsausfälle kann in beträchtliche Höhen gehen. (Andreas Ungermann und Marcus Lotz) +++