O|N-Arzt Adrian Böhm klärt auf

Wenn das Vertraute fremd wird: Die stille Gefahr des Delirs

Ein Delir erhöht die Komplikationsrate und Sterblichkeit bei Krankenhausaufenthalten und tritt besonders häufig auf der Intensivstation auf.
Symbolfoto: ON/Carina Jirsch

06.11.2024 / REGION - Verwandte und Freunde sind meist sprachlos. Sie haben den Eindruck, ihren Angehörigen oder Freund nicht mehr wiederzuerkennen. Ein Delir erhöht die Komplikationsrate und Sterblichkeit bei Krankenhausaufenthalten und tritt besonders häufig auf der Intensivstation auf.



Delir ist ein Symptomkomplex, der im Rahmen schwerer Erkrankungen auftreten kann und betrifft etwa ein Drittel der stationär aufgenommenen Patienten über 65 Jahren.

Die Ursachen für ein Delir sind vielfältig und reichen von Infektionen und Medikamentenüberdosierungen bis hin zu Flüssigkeitsmangel oder Stoffwechselstörungen. Fieber und größere Operationen sind Hauptauslöser im Krankenhaus. Oft liegt eine Kombination mehrerer Faktoren vor. Neben bestehenden Vorerkrankungen können akute Störungen und zusätzliche Belastungen wie Schmerzen, häufige Raum- und Personalwechsel, Stress und Schlafstörungen dazu beitragen, dass ein Delir entsteht.

Was sind die Symptome eines Delirs?

Bei einem Delir fallen zunächst Verwirrtheit und auffällige Verhaltensänderungen auf. Angehörige haben oft den Eindruck, eine veränderte Person vor sich zu sehen. Aufmerksamkeit und Bewusstsein sind eingeschränkt, wobei die Symptome plötzlich auftreten und in ihrer Ausprägung schwanken können. Zusätzlich zu diesen Phänomenen kann es zu optischen und akustischen Halluzinationen kommen. Die Bandbreite reicht von der Wahrnehmung "krabbelnder Spinnen" an der Zimmerdecke bis hin zur Vorstellung, im Krankenhaus misshandelt und festgehalten zu werden. Auch Auffassungsgabe und Denkvermögen sind inkohärent. Ein Delir kann Stunden bis Tage andauern und den Krankheitsverlauf erheblich verschlechtern.

Delirtherapie geht alle an

Ein Delir zu behandeln, ist anspruchsvoll. Es gibt jedoch viele Ansätze, die eine Verbesserung oder Prävention unterstützen können. Dabei sind Maßnahmen wichtig, die nicht nur vom medizinischen und pflegerischen Personal, sondern auch von Familie, Angehörigen und Freunden des Patienten begleitet werden. Die wichtigste Maßnahme ist, dem Betroffenen Orientierung zu geben. Dazu gehören die Einhaltung des Tag- und Nachtrhythmus, die konsequente Nutzung von Hörgeräten und Brillen, falls diese nötig sind, sowie Gespräche über den aktuellen Kontext, etwa, wo der Patient sich befindet und welches Datum gerade ist. Eine gute Wasserversorgung und ausreichende Nährstoffzufuhr sind ebenfalls essenziell, um ein Delir zu vermeiden. Auch persönliche Gegenstände wie Fotos von Familie, Freunden oder Haustieren können zur Beruhigung beitragen.

Um ein Delir zu bekämpfen, gilt es zudem, mögliche Ursachen wie Schmerzen und Fieber zu behandeln. Die behandelnden Ärzte sollten Medikamente auf ihr delir-auslösendes Potenzial überprüfen und Wechselwirkungen ausschließen. Helfen all diese Maßnahmen nicht, kann der Einsatz von antideliranten Medikamenten und, bei akuter Eigengefährdung, eine vorübergehende Fixierung des Patienten erforderlich werden.

Es bedarf also vieler Beteiligter und gezielter Schritte, um ein Delir zu bekämpfen – denn die Therapie ist so vielfältig wie die Ursachen. (Adrian Böhm) +++

Nach einer Vollnarkose kann es zum Delir kommen
Symbolfoto: ON/Hendrik Urbin
Angehörige machen sich große Sorgen, wenn sie die Ursache für die Verwirrtheit nicht kennen
Symbolbild: pixabay

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