Der Weg aus der Krise

Zwei Gipfel mit der Wirtschaft und eine Ampel am Abgrund

Kurz vor dem Industriegipfel im Kanzleramt hat die FDP-Fraktion sich mit Wirtschaftsverbänden getroffen.
Foto: Kay Nietfeld/dpa

29.10.2024 / BERLIN - Immerhin im Ziel sind sich die Ampel-Partner noch einig: Sie wollen die Wirtschaftskrise beenden. Daran arbeitet jetzt aber erst einmal jeder für sich. Finden die Koalitionäre noch einmal zusammen?



Mit zwei getrennten Gipfeltreffen haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) unabhängig voneinander auf die Suche nach Wegen aus der Wirtschaftskrise gemacht. Lindner mahnte nach Gesprächen mit dem Arbeitgeberverband und Vertretern von Mittelstand und Handwerk gemeinsame Richtungsentscheidungen der Ampel-Regierung in den nächsten Wochen an.

Spekulationen über ein nahendes Aus der Koalition mit SPD und Grünen wies er zurück. «Es gibt auch so etwas wie eine Regierungsverpflichtung, und für Deutschland ist es allemal besser, wenn eine Regierung eine gemeinsame Richtung findet, sie beschreibt und umsetzt», sagte er.

Scholz will «neue industriepolitische Agenda»

Nur dreieinhalb Stunden nach dem von der FDP-Bundestagsfraktion organisierten Treffen im «Clubraum» des Reichstagsgebäudes kam Scholz nur wenige hundert Meter entfernt im Kanzleramt mit Industrieverbänden, Gewerkschaften und ausgewählten Großunternehmen zu einem vertraulichen Gespräch zusammen. Sein Ziel: Eine «neue industriepolitische Agenda» mit konkreten Maßnahmen für mehr Wachstum und für die Sicherung von Arbeitsplätzen.

Konkrete Ergebnisse waren für beide Treffen von vorneherein nicht geplant. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte die Regierung nach dem FDP-Gipfel eindringlich auf, ihre Differenzen zu überwinden und eine gemeinsame Strategie für alle Wirtschaftsbereiche zu entwickeln. «Sie muss gemeinsam – und ich betone gemeinsam – die richtige Wirtschaftspolitik machen, diesen Standort wieder wettbewerbsfähig zu machen.»

Scholz, Habeck, Lindner: Jeder macht sein eigenes Ding

Der Industriegipfel, den Scholz vor zwei Wochen im Alleingang ohne seine Koalitionspartner in die Spur brachte, hat für viel Wirbel gesorgt. Die Reaktionen von Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) offenbarten, wie tief die Risse in der Koalition inzwischen sind.

Habeck legte ein Impulspapier vor, in dem er einen milliardenschweren Fonds für mehr Investitionen fordert, der mit Lindner und Scholz kaum zu realisieren ist. Lindners FDP-Fraktion stellte kurzerhand den Gegengipfel auf die Beine.

Dürr: Deutschland soll wieder in die Champions League

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte anschließend: «Ich glaube, Deutschland sollte wieder in der Champions League spielen. Das sollte unser Anspruch sein.» Dulger betonte, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland müsse wieder in den Mittelpunkt des politischen Handelns der Koalition rücken. «Wir müssen jetzt nach dem politischen Schaulauf ins Handeln kommen, und es muss geliefert werden.»

Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise, laut Prognosen wird 2024 das zweite Rezessionsjahr in Folge. Wirtschaftsverbände fordern seit langem umfassende strukturelle Reformen: niedrigere Energiepreise, weniger Bürokratie, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, runter mit den Sozialabgaben, mehr Geld für die teils marode Infrastruktur. Die Ampel-Koalition hat zwar eine «Wachstumsinitiative» mit vielen Maßnahmen angekündigt. Davon ist aber bisher nichts umgesetzt und einiges strittig. Wirtschaftsverbände halten die Pläne für nicht ausreichend.

Scholz will «neue industriepolitische Agenda»

Um ein Ergebnis zu erzielen, müssten sich Scholz, Habeck und Lindner am Ende wieder zusammenraufen. «Klar ist, dass wir in den nächsten Wochen alleine schon aufgrund der Zeitplanung für den Bundeshaushalt 2025 ja auch zu einer gemeinsamen Position werden finden müssen», sagte Lindner. Auf die Frage nach gemeinsamen Beratungen mit Habeck und Scholz, sagte er nur, er komme mit beiden regelmäßig zusammen - auch demnächst wieder.

Ob die Koalitionäre sich bis zur Entscheidung über den Haushalt auf eine gemeinsame wirtschaftspolitische Linie einigen können, ist fraglich. Schon am 14. November ist die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, bei der die Abgeordneten den Etat für das kommende Jahr festzurren wollen. Wenn sich die Koalition dann nicht darauf verständigt, wie sie die noch offenen Milliardenlücken stopfen will, steht sie am Abgrund.

Leuchtet die Ampel Weihnachten noch?

Bei einem Termin in Köln wich Lindner am Nachmittag einer Journalistenfrage danach aus, ob die Koalition Weihnachten noch steht. «Ich glaube, die Zeiten sind zu ernst, als dass wir Koalitionsspekulationen vorantreiben sollten», sagte er. «Es geht um Lösungen in der Sache. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die Regierungen Lösungen liefern.»

Scholz hatte sich am Wochenende auf seiner Indien-Reise bei einer ähnlichen Frage auch nicht festlegt. Ob die Koalition zusammen Weihnachten feiert, wollte eine Journalistin wissen. «Weihnachten wird immer gefeiert», sagte er. (Von Michael Fischer und Andreas Hoenig, dpa)+++

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