Ein traumatisiertes Land

Vortrag von Dr. Martin Kloke: "Israel, der 7. Oktober 2023 und wir"

Martin Kloke hielt einen so klugen wie bewegenden Vortrag über Israel und unser Verhältnis zu Israel nach dem 7. Oktober 2023
Fotos: GCJZ

08.10.2024 / FULDA - Über 100 Besucher waren ins Kanzlerpalais gekommen, um dem Vortrag des Politikwissenschaftlers und Publizisten Dr. Martin Kloke zu lauschen. "Sie setzen mit Ihrem Hiersein heute ein Zeichen", begrüßte Jutta Hamberger, Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ das Publikum, "laut einer Spiegel-Umfrage von heute gehören Sie damit zu den 50 Prozent Deutschen, die das für wichtig halten – eigentlich eine erschütternde Bilanz."



Der einzige demokratische Staat des Nahen Ostens

"Israel kämpft heute, 76 Jahre nach der Staatsgründung, noch immer um seine Existenz", begann Martin Kloke seinen historisch und politisch fundierten Vortrag über den "Tag des Grauens". Kein Land ziehe so viel Aufmerksamkeit auf sich wie Israel, ein Land, das gerade mal 1Prozent des Nahen Ostens ausmache. Israel sei immer eine Migrationsgesellschaft gewesen. "Die verschiedenen Einwanderergruppen hatten unterschiedliche Traditionen und Kulturen, vieles davon hat sich aufgelöst durch den Schmelztiegel Armee und durch interkulturelle Familiengründungen".

Kloke betonte, dass Israel ein jüdischer und demokratischer Staat sei, in dem 73,5 Prozent Juden und 21 Prozent Muslime lebten. Bis heute habe das Land keine Verfassung, weil es keinen Konsens darüber gäbe, wie diese auszugestalten sei. Der erste Bezugspunkt für Israelis sei die Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948, der zweite das Oberste Gericht, das politikfern mit Fachleuten besetzt sei. Es bilde das Korrektiv zu den Entscheidungen der Exekutive. Eine Trennung von Staat und Religion gäbe es nicht. Die parlamentarische Demokratie trage das politische Leben, wegen der niedrigen Sperrklausel von 3,25 Prozent seien derzeit 10 höchst unterschiedliche Parteien in der Knesset vertreten. "Das bedeutet politische Diversität, aber auch Instabilität", so Kloke.

Ein traumatisiertes Land

Israel sei der einzige Staat, dem seine Nachbarn das Existenzrecht abstreiten. Verständlich also, dass das israelische Militärbudget 24 Mrd. Dollar betrage und pro Kopf gerechnet das höchste der Welt sei. "Wie soll es Frieden geben, wenn eine Seite Israel das Existenzrecht verweigert?", stellte Kloke die Gretchenfrage. "Nie war man weiter entfernt von einer Zwei-Staaten-Lösung als heute".

Der 7. Oktober 2023 habe das gesamte Land zutiefst traumatisiert. Das anfängliche Mitgefühl der Welt kippte schnell, fast überall wurde das palästinensische Opfer-Narrativ übernommen. Der Antisemitismus sei in nicht vorstellbarer Weise neu getriggert worden. So würde Israel von der Linken dargestellt als kolonialistisches Projekt weißer Rassisten, die Hamas hingegen als Befreiungsorganisation – eine völlige Verkehrung der Tatsachen. Das Schlagwort "Palestine will set us free" sei nichts anderes als Erlösungs-Antisemitismus.

Einen zutiefst bewegenden Einblick gewährte Eden Shahar dem Publikum. Sie verlor am 7. Oktober viele Familienmitglieder und erlebte als Studentin in Norwegen Antisemitismus: "Danke, dass ich heute zu Ihnen sprechen und aktiv sein kann, denn sonst hätte ich nur zuhause gesessen und geweint". Ihre Verletzlichkeit und Tapferkeit waren vielleicht der sinnfälligste Beweis für die Resilienz dieses so wunderbaren wie paradoxen Landes. Die Spendenerlöse des Abends genau wie die Erlöse vom Verkauf der ‚Freedom Butterflies‘ kamen der Unterstützung von Geiselfamilien zugute. (ci/pm)+++

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