"So wird freiwilliges Engagement zum Gewinn"
Stiftungen als Säule der Gesellschaft: Antonius bietet Einblicke in Stiftungsarbeit
Foto: Steffen Waßmann
01.10.2024 / FULDA -
Was trägt unsere Gesellschaft? Genau zu dieser Frage rückt am Dienstag das Engagement der 25.000 Stiftungen in Deutschland in den Mittelpunkt. Zum europäischen Tag der Stiftungen am 1. Oktober, geht es um diejenigen, die sich aktiv für das Gemeinwohl einsetzen. Auch in Fulda übernehmen die verschiedensten Stiftungen Verantwortung für ihre Mitmenschen und gleichen oft aus, was der Staat nicht leistet.
Die 16-jährige Marie Sophie – ein lustiges, lebensfrohes Mädchen – ist gehörlos und kommuniziert mit Gebärden oder einem Sprachcomputer. Noch im Mutterleib diagnostizieren die Ärzte ihr die genetische Besonderheit Trisomie 21, umgangssprachlich Down-Syndrom genannt, die mit einer geistigen und körperlichen Behinderung einhergeht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie später in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen arbeitet, ist groß. Zumindest wäre das der reguläre, staatlich für sie vorgesehene Berufsweg.
Sinnstiftende Arbeit statt monotoner Beschäftigung
Die junge Frau aus Flieden wünscht sich etwas anderes, nämlich eine Arbeit, die sie fordert, erfüllt und ihr Spaß macht. Am liebsten in einem ganz normalen Betrieb, und nicht in einer klassischen "Behinderten-Werkstatt". "Kugelschreiber zusammenbauen oder eine andere monotone Arbeit wären überhaupt nichts für Marie Sophie und das kommuniziert sie auch sehr deutlich", lacht Vater Manuel Poch, der seine Tochter als ausgesprochen willensstark und selbstbewusst beschreibt.Marie Sophie besucht die Arbeitsschule "Startbahn" bei Antonius, wo sie sich aktiv auf ihr Berufsleben vorbereitet. Hier werden Stärken gestärkt und Hemmnisse – wo möglich – abgebaut. Die Schülerinnen und Schüler lernen viele verschiedene Berufe kennen und können so herausfinden, was zu ihnen passt und wo ihre Talente liegen. Aktuell hat Marie Sophie Lust auf die Bereiche Pflege oder Gastronomie.
Marie Sophie erhält Unterstützung von zwei Fuldaer Stiftungen
Marie Sophie hat schon mehrere Stationen bei Antonius durchlaufen. Ab ihrer Geburt war sie Frühförderkind im Zitronenfalter, dem Kompetenzzentrum für Beratung, Frühförderung und Therapie von Antonius. Später besuchte sie die Antonius von Padua-Schule, genau als dort die inklusive Grundstufe eingeführt wurde und damit auch Kinder ohne Behinderung aufgenommen wurden. Aktuell ist sie in ihrem ersten Schuljahr der Arbeitsschule Startbahn.Dass Marie Sophie so individuell und zielgenau gefördert wurde und wird, ermöglichen neben dem engagierten Elternhaus zwei Fuldaer Stiftungen. Die Bürgerstiftung "antonius: gemeinsam Mensch" bildet den Rahmen, in dem sich seit 120 Jahren das Antonius-Netzwerk für mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einsetzt.
Ein Beitrag zum Gemeinwohl
Im Gegensatz zu Unternehmen wird bei Stiftungen das Vermögen dauerhaft für einen klar definierten Zweck bereitgestellt, den die Gründerinnen und Gründer festlegen. Dieser Zweck steht im Zentrum aller Aktivitäten und bleibt unverändert. In Deutschland gibt es derzeit über 25.000 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts, die überwiegend gemeinnützige Ziele verfolgen.Sie engagieren sich in Bereichen wie sozialen Diensten, Bildungsangeboten, Kultur und Wissenschaft. Etwa die Hälfte der Stiftungen konzentriert sich auf soziale Projekte, die andere Hälfte fördert Bildung, Kunst und Kultur. Der Staat begrüßt diese privaten Investitionen ins Gemeinwohl, unterstützt Stiftungen steuerlich und überwacht ihre Tätigkeit.
Jeder kann zum Wirken von Stiftungen beitragen
"Stiftungen sind eine tragende Säule unserer Gesellschaft, wie der Lebensweg von Marie Sophie zeigt", sagt Rainer Sippel, Vorstand der Bürgerstiftung Antonius: gemeinsam Mensch. "Sie fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sind Ursprung vieler positiver Entwicklungen. Gerade in aktuellen, herausfordernden Zeiten ist das unverzichtbar. Damit dies gelingt, sind Stiftungen auf Menschen angewiesen, die sich engagieren – beruflich, ehrenamtlich, durch Ratschläge oder finanzielle Unterstützung." Der europaweite Tag der Stiftungen, der jährlich am 1. Oktober stattfindet, soll das Bewusstsein für die Rolle von Stiftungen schärfen.Wir alle sind Stiftung
Wie wichtig das Thema Ehrenamt für Stiftungen ist, betont Annette Licht, verantwortlich für das Ehrenamt bei Antonius: "Ohne unsere ehrenamtlichen Mitarbeitenden würden die Stiftungen nicht funktionieren. Denn diese übernehmen wichtige Aufgaben und bereichern mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten. Andersherum ermöglichen die Stiftungen ehrenamtliches Engagement und geben den Rahmen vor. Gerade bei Bürgerstiftungen wie denen von Antonius kann ja jeder mitmachen und sich einbringen."Sie ergänzte: "Wenn jemand bei uns ehrenamtlich tätig werden möchte, schauen wir immer gemeinsam mit der interessierten Person, wo die eigenen Vorlieben liegen oder wie der zeitliche Einsatz aussehen könnte. Im Netzwerk haben wir wunderbare Geschichten, zum Beispiel von einem Autofan, der gemeinsam mit Menschen mit Lernschwierigkeiten für den Führerschein übt, oder von einem Jugendlichen, der selbst Kurse in seiner Lieblingssportart anbietet. So wird freiwilliges Engagement für alle zu einem Gewinn." (mis/pm) +++