Europäische Dimension
In der Welt zuhause, in Fulda geehrt: Winfriedpreis für Ulrich Wickert
Alle Fotos: Martin Engel
30.09.2024 / FULDA -
Bereits zum 24. Mal wurde am heutigen Sonntag der Winfriedpreis vergeben. Die meisten Geehrten kommen aus Kirche und Politik, einige aus dem Journalismus, so wie auch Ulrich Wickert, der heute ausgezeichnet wurde. In Zeiten, in denen die europäische Idee von rechten wie linken Extremisten bedroht wird und Russland direkt vor der europäischen Haustür einen Eroberungskrieg gegen die Ukraine führt, gewinnt der Winfriedpreis so eine ganz besondere Bedeutung.
In Fulda geht wenig ohne Bonifatius
Ulrich Wickert war mit seiner Frau Julia Jäkel gekommen, die – wie Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld in seiner Begrüßung betonte, als geborene Mainzerin einen bonifatianischen Bezug aufweisen kann – gewissermaßen die fuldische Währung. Denn Winfried Bonifatius, nach dem der Preis benannt ist, war auch Bischof in Mainz – aus Fuldaer Sicht und verglichen mit der hiesigen Klostergründung ist das natürlich eher unbedeutend.Der Oberbürgermeister ließ es sich nicht nehmen, einige Gäste namentlich zu begrüßen, z.B. den französischen Generalkonsul Nicolas Bergeret, den irischen Generalkonsul Patrick Jacques (Bonifatius wurde auch von irischen Mönchen begleitet) und natürlich den Laudator der heutigen Feier, seine Exzellenz, François Delattre, Botschafter der Republik Frankreich in Deutschland. Unter den Gästen waren auch Christine Waider, die Frau des Winfriedpreis-Stifters Dr. Heinz G. Waider, ihre Tochter Bettina Lange samt "Waider’scher Großfamilie", viele Stadträte, Stadtverordnete, Kulturpreisträger, Träger des Fuldaer Ehrenrings, Vertreter beider Kirchen, der Wirtschaft sowie der Freundeskreis Fulda-Arles.
Europäische Dimension im Denken und Handeln
Ein Zeichen der Ermutigung solle von diesem Preis und diesem Tag ausgehen, so der Oberbürgermeister, der danach einen gewagten Interpretationsschlenker Richtung Bonifatius und Frankreich machte: Der sei auf den fränkischen Reichssynoden von Estinnes und Soisson gewesen – Franken damals, Nordfrankreich heute – und so könne man doch behaupten, die Idee der Gründung des Klosters Fulda sei in Frankreich geboren worden oder zumindest gereift. Ganz im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft und des europäischen Miteinanders ist das selbstverständlich eine korrekte Deutung, denn entscheidend ist die gemeinsame europäische Dimension im Denken und Handeln, für die eben auch Bonifatius als erster Europäer steht.Der Oberbürgermeister selbst war als Student ein halbes Jahr in Frankreich – und, welch schöne Koinzidenz, hatte Ulrich Wickerts Buch "Frankreich – die wunderbare Illusion" (1989) im Gepäck. Das Buch habe ihn ebenso beeindruckt wie Wickerts gerade neu erschienener Titel "Salut, les amis", aus dem er einen Satz zitierte: "In der Erinnerung zu verharren bedeutet stets auch, in der eigenen Verblendung gefangen zu sein." Ein Gedanke, den sich alle, die das Heil nur in der Vergangenheit suchen, mit dicker Tinte ins Stammbuch schreiben sollten. Erinnerung braucht auch Zukunft und Veränderung.
Mon cher ami Ulrich
Die deutsch-französische Freundschaft sei das Fundament des geeinten Europas, so Laudator François Delattre. Wickert sei ein engagierter Europäer, ein Weltbürger und ein außerordentlicher Freund Frankreichs, der die Franzosen besser kenne als diese sich selbst. Unermüdlich erkläre er den Deutschen Frankreich und den Franzosen Deutschland, wobei seine Richtschnur ein Tucholsky-Zitat sei: "Den Deutschen muss man verstehen, um ihn zu lieben. Den Franzosen muss man lieben, um ihn zu verstehen." Verstehen müsse man auch, dass der Deutsche lieber sehr direkt kommuniziere, der Franzose hingegen lieber umschreibe. Dem deutschen "nein" entspräche das französische "C’est difficile" – hinter den verschiedenen Worten mit der gleichen Bedeutung lägen höchst unterschiedliche kulturelle Prägungen."In 400 Jahren haben Deutschland und Frankreich 23 Kriege gegeneinander gekämpft. Der letzte war der mörderischste von allen, aber genau dieser Krieg hat dazu geführt, dass Frankreich und Deutschland die Idee für ein geeintes Europa entwickelten", so Delattre. Der Gedanke, dass nach dem Grauen des Zweiten Weltkriegs gerade die beiden Nationen, die am intensivsten und längsten miteinander verfeindet waren, sich die Hand reichten, ist ungemein tröstlich. Man wünscht anderen Krisen, Konflikten und Kriegen ähnlich große Gedanken und ähnlich mutige, nach vorn denkende Menschen.
Vor dem Verstehen kommt das Kennenlernen
Das Preiskuratorium aus Stifterfamilie, Diözese und Stadt begründete die Wahl Wickerts so: "In seiner langjährigen Tätigkeit als Journalist, Moderator und Buchautor hat Ulrich Wickert als überzeugter Europäer den Deutschen unser Nachbarland Frankreich nähergebracht und sich in besonderer Art und Weise für die deutsch-französische Freundschaft eingesetzt. Zudem nutzt er seine Erfahrungen, sein Wissen und seine Stimme, um sich für die Rechte von Kindern weltweit einzusetzen und fördert mit dem Journalistenpreis der Ulrich Wickert Stiftung auch andere, die dies durch ihre Berichterstattung und Medienarbeit tun."Wer sich verstehen will, muss sich kennenlernen – dazu ist die jeweils andere Sprache der erste Schritt. Der zweite ist der Wille, sich mit dem Denken und der Kultur des anderen Landes auseinanderzusetzen und auch das zu verstehen, was nicht expressis verbis gesagt wird. Diese Haltung trägt übrigens auch im nationalen Miteinander weiter als beständig ausgerufene Kulturkämpfe und Rumgiften.
Und die Musik?
Die musikalischen Akzente der Feier setzten George Wagner und Klaus Schenk mit Gitarre und Vibrafon – mit dem Tango No. 2 entführten sie uns gleich zu Beginn atmosphärisch aus dem herbstlich-kühlen Deutschland in beschwingtere Gefilde, und das entzückende "Moulin de Becquerel" war dann wie eine musikalische Bestätigung der unterschiedlichen Naturbegriffe von Franzosen und Deutschen.Der trotz seiner jungen Jahre bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Jonathan Ortlieb aus der Klavierklasse Maja Zirkunovs (Musikschule Fulda) trug Chopins "Revolutionsetüde" vor. Und das konnte man als ganz eigenen Kommentar zu kriegerischen Auseinandersetzungen und der Notwendigkeit europäischer Einigkeit verstehen. Denn Chopin reagierte mit diesem aufgewühlten, dramatischen Stück auf die russische Eroberung Warschaus – kommt uns bekannt vor, oder? Jonathan Ortlieb bewältigte dieses schwierige Stück mit großer Musikalität und technischer Reife.
Die schöne Feier im voll besetzten Fürstensaal endete mit dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Fulda, Buchkäufen und guten Gesprächen mit und ohne Wein. (Jutta Hamberger) +++
Hintergrund
Seit dem Jahr 2001 verleiht die Stadt Fulda jährlich den Winfried-Preis an Persönlichkeiten, die sich in besonderem Maße für Menschenrechte und die Völkerverständigung in Europa verdient gemacht haben. Namensgeber für den mit 10.000 Euro dotierten Winfried-Preis ist der in Fulda begrabene Heilige Winfried Bonifatius. Stifter des Winfried-Preises ist der 1926 in Fulda geborene Unternehmer Dr. Heinz G. Waider (1926 - 2015), die von ihm gegründete Dr. H.-G.-Waider-Stiftung vergibt den Preis. Waiders Überzeugung war es, dass Kriege nur durch ein offenes und friedliches Neben- und Miteinander aller Menschen verhindert werden können. Da Waider sich dem Hl. Bonifatius und der Stadt Fulda sehr verbunden fühlte, wird der Preis in Fulda verliehen.