Rossinis ganz und gar nicht kleine Messe
Städtischer Konzertchor Winfridia mit Rossini-Messe
Fotos: Sabine Abel
29.09.2024 / FULDA -
Rossinis Spätwerk "Petite Messe solennelle" entstand 1863, viele Jahre nach seiner letzten Oper. Bereits mit 37 Jahren hatte Rossini seine Opernkarriere für beendet erklärt. Er konzentrierte sich fortan auf kleine und geistliche Stücke, die er mit großer Selbstironie "Péchés de vieillesse" (Sünden des Alters) nannte. Die "Petite Messe solennelle" bezeichnete er in einem Brief an den Musikverleger Ricordi als "leider letzte Todsünde meines Alters". Eine wahrhaft sündig-gute Todsünde!
Die halbernste Messe
Vielleicht ist es die größte Besonderheit dieser Messe, dass und wie sie zwischen Rossinis Opern-Natur und seiner tief empfundenen Religiosität changiert. Sie ist heiter, und gleichzeitig tiefsinnig. Sie ist facettenreich und schlicht. Sie verbindet Merkmale der Oper mit denen der Kirchenmusik. Sie ist Kammermusik, und sie ist Arienspektakel. Und: Mag die Belcanto-Zeit auch vorbei sein, so zeigt Rossini sich hier nochmals als Meister der Melodieführung und als Liebhaber der menschlichen Stimme. Hierin war er sich mit Mozart einig, der ca. 100 Jahre vor dem Entstehen der Petite Messe Solennelle seinem Vater geschrieben hatte: "Denn ich liebe dass die Aria einem Sänger so accurat angemessen sey, wie ein gutgemachts Kleid."Rossini bevorzugte immer die Urfassung, die zweite wollte er zu Lebzeiten nicht einmal aufgeführt wissen. Schaut man sich das Musikjahr 1863 an, versteht man Rossini etwas besser: Uraufgeführt wurden Werke von Delibes (Le jardinier et son seigneur), Offenbach (Lieschen und Fritzchen), Bruch (Loreley), Bizet (Les pêcheurs de perles), Suppé (Flotte Bursche) und Berlioz (Les Troyens).
Ungewöhnliche Besetzung
Die Winfridia sang die Fassung von 1865 mit dem Sopran-Solo "O salutaris hostia", aber in der originalen Besetzung der Uraufführung von 1864. Da erklang das Werk zur Einweihung der Privatkapelle des Comte Alexis Pillet-Will. Das zweite Klavier ließ man weg, weil – so Dirigent Rupp – laut Fachleuten im Fürstensaal einer der besten Steinways Deutschlands stehe. Die Messe im Fürstensaal aufzuführen war ein genialer Schachzug – denn so wurde der fast kammermusikalische, private Eindruck des Werks verstärkt. Und das ‚Fehlen‘ des Orgelklangs wurde so noch einmal akzentuiert. Bei Rossini sind wir in einer völlig anderen Klangwelt, sie ist weniger liturgisch, dafür weltlicher und gleichzeitig inniger.Das "Kyrie eleison" des Beginns ist ein recht klassischer Satz, das "Christe eleison" dann kanonartig angelegt und wird a capella gesungen. Dieser Satz stammt übrigens nicht von Rossini, sondern von seinem Freund Louis Niedermeyer, der kurz zuvor gestorben war – seine Art, den Freund zu ehren. Das Gloria ist der längste Satz der Messe, und großartig in seinen Wechseln zwischen Chor und Solisten. Eine Besonderheit ist das rein instrumentelle Offertorium – eigentlich für Harmonium solo. Die Winfridia entschied sich fürs Klavier als Solo-Instrument – vielleicht, weil uns dieser Klang noch stärker berührt, als es das Harmonium vermocht hätte. Hier ist man mal bei Beethoven, dann wieder bei Bach. Es ist ein unglaublich intensives, verhangenes Zwiegespräch mit Gott. Das "O salutatis hostia" wieder wirkt wie eine Sopran-Arie aus einer Oper. Während viele Messen glorios und oft fast überwältigend enden, wird die Petite Messe solennelle am Ende ganz zart und leise in ihrem Wechselspiel zwischen Chor und Altstimme. Die Ungeheuerlichkeit, dass Christus die Schuld der Welt auf sich geladen hat und für uns stirbt, wird so umso deutlicher – vielleicht sind wir hier am abgründigsten Punkt der Messe angekommen.
Starke Leistung
Hervorheben möchte ich die noch sehr junge Sopranistin Meike Buchbinder, die ihren anspruchsvollen Part mit klarer und für ihre jungen Jahre fast unglaublich ausgereifter Stimme gestaltete. Mit Judith Christ-Küchenmeisters ausdrucksstarkem Alt ergab das eine perfekte Harmonie. Beide Frauen sangen die großen Soli der Messe – das "O salutatis hostia" (Sopran) und das "Agnus Dei" (Alt). Wunderbar auch die feine Arbeit von Christoph Bier, dessen biegsamen Bass problemlos ins Baritonfach wechselt – was er kann, zeigte er im "Quoniam tu solus Sanctus". Einzig Tenor Marco Antonio Rivera überzeugte mich nicht – mir war seine Stimme zu schrill und sein Gesang viel zu bühnenhaft. Sehr souverän Konzertpianist David Andruss (Klavier) und die Fuldaerin Anne Rill (Harmonium). Dirigent Carsten Rupp hielt Chor, Instrumentalisten und Solisten zusammen und sorgte einmal mehr für eine Höchstleistung seiner Winfridia. Das Publikum im fast vollbesetzten Fürstensaal belohnte das nach Sekunden ehrfürchtigen Schweigens mit donnerndem Applaus. (Jutta Hamberger) +++