Eröffnungsgottesdienst

Bischof Dr. Georg Bätzing predigt zur Herbst-Vollversammlung der Bischöfe

Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, eröffnete am Montagabend im Fuldaer Dom die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz offiziell.
Alle Fotos: Martin Engel

24.09.2024 / FULDA - Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, eröffnete am Montagabend im Fuldaer Dom die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz offiziell. Wir veröffentlichen seine Predigt im Wortlaut:



"Geradezu sprichwörtlich sind die drei Sentenzen, mit denen uns Jesus heute anspricht, liebe Geschwister im Glauben. Vermutlich hat er bereits geläufige Redensarten aufgenommen und über die christliche Verkündigung sind sie auch in unserer Kultur fest verwurzelt. "Stell dein Licht nicht unter den Scheffel." Selbst junge Leute wissen, was damit gemeint ist – auch wenn sie mit einem Scheffel nichts mehr anfangen können. Trau deinen Fähigkeiten, bedeutet das. Keine falsche Bescheidenheit, wenn es um Begabungen, Kompetenzen und gute Eigenschaften geht.

"Nur die Lumpen sind bescheiden, Brave freuen sich ihrer Tat", so hat es der große Goethe übersetzt. Nichts Verborgenes, das nicht an den Tag kommt. Das klingt in unseren Ohren eher mahnend und warnend: Bösewichte werden irgendwann einmal auffliegen. "Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht." Das kommt der Bedeutung nahe. Und schließlich: "Wer hat, dem wird gegeben." Eine Weisheit wie aus dem Karrierehandbuch. Gut biblisch spricht man vom "Matthäus-Effekt". Erfolg führt zu noch mehr Erfolg. Darin bestätigt sich, warum Reiche immer reicher werden und auf welchem Weg es manche Unternehmen zu einer marktbeherrschenden Stellung gebracht haben.

Die traurige Kehrseite

Die traurige Kehrseite zeigt sich in der Armutsstatistik und in der wachsenden Kluft zwischen Armen und Reichen weltweit und auch hierzulande. Und kirchlich bestätigt sich diese Lebensweisheit offenbar auch: Es ist alles andere als leicht, der Abwärtsspirale der großen Trends etwas entgegenzusetzen; Mangel verschärft offensichtlich den Mangel, wie wir hierzulande etwa an den sinkenden Zahlen von Priesterberufungen schmerzlich feststellen müssen. Aber spricht Jesus in seiner Jüngerbelehrung wirklich eine zweifelhafte wirtschaftliche und sozialpolitische Regel an, die im Grunde doch nur Ungleichheit und Ungerechtigkeit verfestigt? Gerade das letzte Sprichwort verdeutlicht die unglaubliche Redekunst des Herrn, denn im Mund Jesu bekommen die Wendungen einen ganz eigenen Dreh, der sich von der üblichen Bedeutung erheblich unterscheidet.

Stellt das Licht auf den Leuchter, damit es allen leuchtet: Hier geht es nicht um persönliche Kompetenzen und um Professionalität; nicht um "mein" oder "dein" kleines Licht. Gemeint ist "das Licht", "das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet", wie es im Johannesprolog heißt (Joh 1,9). Was Jesus für die Menschheit bedeutet, das soll bekannt werden. Dass die Herrschaft Gottes mit dem Auftreten Jesu angebrochen ist, diese Einladung muss den Menschen ausgerichtet werden.

Der Neutestamentler Gerhard Lohfink hat Überlegungen in zwei Richtungen angestellt, aus welchem Anlass Jesus dieses Wort wohl gesprochen haben könnte: Einmal legt es sich nahe, dass er den Jüngern Mut und missionarisches Selbstbewusstsein zusprechen wollte, als er sie eines Tages zu je zweien aussandte, um die Herrschaft Gottes zu verkünden und Kranke zu heilen. Da waren die Jünger plötzlich auf sich gestellt und das wird ihnen alles andere als leichtgefallen sein. Vermutlich haben sie ihre Scheu und ihre Bedenken geäußert, und Jesus bekräftigte daraufhin seinen Wunsch. Womöglich passt das Wort aber auch zu einer noch riskanteren Situation: Jesus bricht nach Jerusalem auf. Bereits in seiner galiläischen Heimat ist der Erfolg massiv eingeknickt, der Widerstand gegen ihn ist deutlich gewachsen. In der religiösen und politischen Hauptstadt des Landes wird es gefährlich werden.

Gleichnis als Begründung

Und die Jünger versuchen, Jesus von seinem Vorhaben abzubringen. "Es ist denkbar, dass Jesus in genau dieser Situation mit dem Licht argumentiert hat, das man nicht verbergen und verstecken darf, sondern das hell und offen ‚für alle im Haus (Israel)‘ leuchten muss. Das Gleichnis wäre dann eine Begründung und eine Verteidigung seines letzten Ganges nach Jerusalem gewesen." Dazu würde dann auch die Rede vom Verborgenen, das doch an den Tag kommt, passen. Und dementsprechend hätte das Sprichwort "Wer hat, dem wird gegeben" natürlich das Wachstum des Glaubens im Sinn. Ja, in der Tat: Wer Jesus hört, soll achtgeben, dass er richtig zuhört.

Der ganze Einsatz Jesu, seine werbende, befreiende, frohmachende und auch einmal mahnende Predigt, sein heilendes und sammelndes Wirken, schließlich seine Hingabe zielen zuallererst auf Gott. Diesen gütigen Vater als Licht für alle Menschen zum Leuchten zu bringen, das ist seine Absicht. Rastlos unterwegs wirbt er unaufhörlich: Vertraut euch Gott an! Seine Herrschaft befreit. Seine Absichten sind gerecht. Sein Motiv ist die Liebe. Wenn du diesen Gott in dein Leben einlässt, wirst du über dich hinauswachsen zu einem wunderbaren, strahlenden, aufrechten, solidarischen, freundlichen Menschen. Vertraue nur! Trau dich zu glauben – wie Jesus und an ihn.

Liebe Geschwister im Glauben, diese Gottesrede schulden wir Christinnen und Christen auch den Menschen heute. Die Säkularität in unserer Gesellschaft ist weit fortgeschritten. Immer noch argumentieren wir, die Menschen hätten in ihrem tiefsten Inneren doch eine Sehnsucht nach Gott, sie seien suchend unterwegs. Tatsache aber ist, dass den meisten nichts fehlt, wenn sie ohne Religion und Glauben ihr Leben gestalten. Sie tun es in aller Regel verantwortungsvoll, mit Respekt für andere und engagiert. Was die weisheitliche Lesung aus dem Buch der Sprichwörter heute ins Wort gebracht hat, das sind Regeln eines anständigen Lebens, die wohl die meisten hierzulande befolgen; und die, die gegenteilig handeln, werden entsprechend beurteilt. Aber zur Begründung dafür wird heute meistens eine rein innerweltliche Folgenabschätzung angeboten. Gott als Grund ethischer Entscheidungen und moralischen Handelns fällt für gewöhnlich aus. Fluch und Segen, Gottes Spott oder sein Gunsterweis scheinen doch einer vergangenen glaubensgeschichtlichen Epoche anzugehören. Und ich gebe zu, mir fällt es auch schwer, solche Begründungen gelten zu lassen.

Auftrag und Anstoß

Die Rede von Gott darf nicht verstummen. Das nehme ich als Auftrag und Anstoß aus den biblischen Texten heute mit. Aber die Rede von Gott muss sich einer Sprache und Bildern, einer Begründungstiefe und kulturellen Anschlussfähigkeit bedienen, dass Menschen sie auf- und annehmen können: sei es in guter Weise anschließend an Grenzerfahrungen, die sich in jedem Leben schmerzhaft auftun; oder auch als irritierender Kontrast gegenüber der gewähnten Leichtigkeit und Sicherheit des Seins; oder aber als Aufruf zur Umkehr angesichts der zukunftsgefährdenden globalen Krisen, die wir durch unser Verhalten heraufbeschworen haben.

Wenn sich Christinnen und Christen im gesellschaftlichen Diskurs äußern und Positionen einbringen in die Debatten um Krieg und Frieden, Migration und Fluchtursachen, um Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit, um das Recht ungeborener Kinder auf Leben, dann tun wir das in Verantwortung vor Gott und vor den Menschen. Dann ist das unser konkret durchbuchstabiertes Zeugnis für Gott und seine Herrschaft. Er schenkt Leben und vernichtet es nicht. Er lässt Unterschiede als Bereicherung gelten und spaltet nicht. Er entlarvt die Lügengebäude und lädt zur Wahrhaftigkeit als Grundlage größerer Freiheit ein.

Dreck vor der eigenen Haustür auskehren

Wir sollten uns gefälligst raushalten aus politischen Debatten, uns um die Seelsorge kümmern und endlich den Dreck vor der eigenen Haustür auskehren: Immer wieder höre ich das. Nein, um Gottes Willen und in den Fußspuren Jesu müssen wir reden, vernehmbar bleiben und die Stimme gerade für die erheben, die übersehen werden und keine Lobby haben. Die Rede von Gott und von der Verantwortung vor Gott darf nicht verstummen.

Und dennoch nehme ich die Kritik so mancher ernst – gerade, was das Kehren vor der eigenen Haustür betrifft. Ja, da gibt es noch viel zu reinigen und zu verändern in unserer Kirche. Ich würde auch nie behaupten, dass unsere Orientierungsbeiträge zu wichtigen Fragen der Weisheit letzter Schluss seien. Wir suchen auch. Denn die Herrschaft Gottes wächst erst. Und die Kirche darf sich nicht mit diesem Ziel verwechseln. Sie ist vorübergehend, Mittel zum Zweck, Instrument und Zeichen. Auch wir müssen immer wieder achtgeben, dass wir richtig zuhören. Nur so bleiben wir als Jüngerinnen und Jünger in der Spur Jesu – zur größeren Ehre Gottes." (pm/cdg) +++

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