Hemmschwelle, um zu helfen, muss sinken

90-minütiger Reanimationsunterricht an Schulen: "Es geht um Leben und Tod"

"Es geht um Leben und Tod": Hierbei soll nun ein 90-minütiger Reanimationsunterricht helfen.
Fotos: Marie Birkenstock

17.09.2024 / REGION - Wie reagiert man, wenn jemand im näheren Umfeld plötzlich einen Herzstillstand erleidet? Natürlich erstmal den Notruf wählen, aber was dann? Jetzt bleibt nur noch warten. Um in dieser Wartezeit nicht Däumchen zu drehen, startet der Landkreis Fulda ein neues Projekt: Reanimationsunterricht an Schulen. Hierfür gehen die Rabanus-Maurus-Schule in Fulda und die Mittelpunktschule in Hilders (MPS) als Pilotschulen an den Start.



Zum Thema fand eine Pressekonferenz in der Rabanus-Maurus-Schule statt, bei der nicht nur Politiker und die beiden Pilotschulen mit Maltesern und DRK anwesend waren, sondern auch die Schulsanitäter und OSTHESSEN|NEWS. "Die Quote der Laienreanimation liegt derzeit bei 40 Prozent. Das heißt, in nur 40 von 100 Fällen wird sofort geholfen. Diese Zahl wollen wir erhöhen", so Frederik Schmitt (CDU), der Erste Kreisbeigeordnete des Landkreises Fulda. "Die ersten sieben Minuten sind entscheidend bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand", führte Schmitt weiter aus. Um die Hemmschwelle, einzugreifen und zu helfen, so früh wie möglich zu verringern, soll es an Schulen nun einen 90-minütigen Reanimationsunterricht geben.

Die Hemmschwelle, um zu helfen, muss sinken

"Wir müssen die Zeit verkürzen, bis der Rettungsdienst kommt", erklärte Matthias Kalmbach, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst des Landkreises Fulda. Außerdem ergänzte er: "Es soll also die no-flow-time, die Zeit in dem der Kreislauf nicht läuft, verkürzt werden. Zeit ist Leben und diese Zeit soll genutzt werden." Damit jeder schnellstmöglich und richtig reagieren kann, soll jetzt in einem Schuljahr ein 90-minütiger Reanimationsunterricht stattfinden. Skandinavien dient hierbei als Vorreiter. "Schulen müssen das Programm verpflichtend anbieten. In Skandinavien liegt der Wert der Laienreanimation bei 80 Prozent. Wir sehen hier die fehlende Quote an Helfern. Und das wollen wir ändern", so Kalmbach.

Hierzulande wird das Unterrichtsprogramm zwar individuell von den Schulen gestaltet, aber dennoch gibt es Unterschiede zwischen den Klassen. Laut Kalmbach solle man mit einer Herzdruckmassage beginnen. Je älter man wird, desto mehr Hilfeleistungen kämen hinzu. So starte ab der siebten Klasse die Mund-zu-Mund-Beatmung und bald darauf die Arbeit mit einem Defibrillator. "Defibrillatoren sollen an den Sporthallen angebracht werden, aber nur bei Schulen, die sich damit beschäftigen. Er soll nämlich richtig genutzt werden", so Kalmbach. Das Konzept sei anpassbar, sagte Thomas Plappert, Stellvertreter des ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes: "Wir haben die Freiheit, es individuell zu gestalten. Das Ziel ist immer gleich: Reanimation näherzubringen."

Bauen auf die Schülerschaft

Auch wie der Unterricht ablaufen soll, ist bereits klar. Hier leben die Schulen nämlich ganz klar nach dem Kodex: "Von Schülern für Schüler." Die Schulsanitäter schlüpfen hierbei in die Lehrerrolle. "Viele Lehrer haben nur einen Acht-Stunden-Kurs. Die Schulsanitäter hingegen haben eine 45-Stunden-Ausbildung hinter sich. Ihr wisst einfach mehr als die Lehrer in dem Bereich, deshalb bauen wir auf euch", so Plappert an die Schulsanitäter gewandt.

Kalmbach sagte dazu: "Schüler lernen auch einfach lieber von anderen Schülern. Wenn wir die Schulsanitäter schon zu Multiplikatoren ausbilden, dann sollten sie ihr Wissen auch weitergeben." Auch wenn es hauptsächlich darum geht, die Schüler fit zu machen, nehmen natürlich auch die Lehrer, die gerade die jeweilige Klasse betreuen, an dem Kurs teil. "Die Lehrkräfte sind also zwangsläufig miteingebunden", sagte Schulleiter Sven Müller.

Doch nicht nur der Landkreis organisiert diese Art von Projekt. "Auch das Land Hessen startet mit der Deutschen Herzstiftung den Reanimationsunterricht an acht Schulen. Der Fokus liegt hierbei allerdings auf den Lehrern", sagte Harald Persch, stellvertretender Amtsleiter des Staatlichen Schulamtes Fulda. Das Projekt, das durch die vergangene Pandemie erst jetzt an den Start geht, erhält zusätzlich die Unterstützung der Politik.

"Es ist nie zu früh, zu unterrichten"

Beim Domgymnasium kümmert sich Karin Goldbach mit Malteser um die Schulsanitäter. Hier wurde bereits ein Kurs in den fünften Klassen angeboten und die Rückmeldungen sollen von Schülern und den Eltern sehr positiv gewesen sein. "Die Schüler fühlten sich gut versorgt", so der Schulleiter. Nach den Herbstferien soll das Projekt starten. Stand jetzt ist das Domgymnasium zwar noch ohne Defibrillator, doch dies solle, laut dem Schulleiter, nicht für immer so bleiben. Auch die MPS aus Hilders möchte, zusammen mit der Hilfsorganisation DRK, bei den Fünftklässlern mit diesem Programm starten. Christine Schaab-Wiegand, Verantwortliche für die Sanitäter der Mittelpunktschule: "Wir wollen diesen Unterricht in allen Klassen der Mittelstufe anbieten."

Doch nicht nur die beiden Schulen äußerten sich zu ihren Plänen, sondern auch die Hilfsorganisationen selbst. So sagte Peter Becker, Leiter der DRK-Akademie: "Ich finde, man sollte die Chance, auch im Kindergarten tätig zu werden, nicht verstreichen lassen. Das Erlernte wird dann mit in die Schule genommen." Auch Brigitta Brähler-Fischer, Diözesanreferentin des Schulsanitätsdiensts, vertritt diese Meinung: "Es ist nie zu früh, zu unterrichten. So können wir bereits in Kindergärten Hemmungen senken."

Die beiden Schulen der ersten Runde sollen Erfahrungen liefern, um anschließend das Projekt ausweiten zu können. Hierzu sagte Kalmbach: "Das wichtigste ist, dass man sich traut, zu helfen. Die Reanimation hat nur dann Chancen, wenn man zeitnah damit anfängt. Es geht ganz klar um Leben und Tod." (mis) +++

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