Emotional und eindrücklich

Außergewöhnliche Geschichtsstunde: Konzert "ojfn weg" mit Daniel Kempin

"ojfn weg – Auf dem Weg" mit Kantor Daniel Kempin aus Frankfurt. Ein bewegendes Konzert in der Aula der Alten Universität.
Fotos: Jutta Hamberger

19.09.2024 / FULDA - Es war eine außergewöhnliche Geschichtsstunde: Daniel Kempin, der Kantor des progressiven Minjan der Frankfurter Westend-Synagoge, war zum Konzert "ojfn weg" nach Fulda gekommen. In Liedern und Texten erzählte und sang er von 4.000 Jahren Geschichte des Jüdischen Volks – einer Geschichte, die durch Exil und Vertreibung gekennzeichnet ist.


Kempin begann bei der Flucht aus Ägypten und dem assyrischen, babylonischen und römischen Exil. Er berichtete von der Flucht und Vertreibung der Juden aus Ost- und Westeuropa und vom Neuanfang in den USA. Seine Zeitreise schloss Lieder aus der Schoah, der Staatsgründung Israels und dem heutigen Israel ein.

Es gibt wohl kein Volk, dass sich seiner Geschichte bewusster ist als das jüdische und für das diese Selbstvergewisserung Teil der Identität und aller hohen Feiertage ist. "Wir alle sind Teil eines großen Ganzen", so Kempin. Dieses Erzählen, Singen und Zuhören, das sich bewusst-machen, wer man ist und woher man kommt ist die lebendigste, anschaulichste Form von Geschichte. Genau diese Wirkung entstand auch im Konzert: "Ich habe richtig Gänsehaut bekommen", so ein Zuhörer in der Pause, "es geht unter die Haut."

Lieder von Freude und Leid

Kempin sang auf hebräisch und auf jiddisch – von Freude und Leid, von der Arbeit und von Festen, vom Glück, das vor unserer eigenen Tür liegt und sich in Sonne und Regen, ein paar Groschen und Freunden manifestiert. Er sang Lejb Rosenthals Mutmacherlied "Mir lebn eybik" ("Wir leben ewig"), das im Ghetto von Vilnius gesungen wurde – bewusst in Richtung anwesender SS-Wachen: Wir sind da, wir bleiben da, ihr könnt uns nicht vernichten. Es ist so eindrücklich, dass es vielen Tränen in die Augen trieb. Kempin sang von Hoffnung und Zuversicht.

Und manchmal forderte er das Publikum auch auf, mitzusingen, etwa bei "Bashana haba’a" ("Im nächsten Jahr") – ein Lied, das an eine gute Zukunft glaubt und nach dem 7. Oktober 2023 für Juden in aller Welt eine ganz neue Bedeutung bekommen hat. Für diesen und einen anderen Frage-Antwort-Gesang hatte Kempin übergroße Spickzettel mitgebracht. Beim "Echad mi yodea" ("Eins – wer weiß es?"), das am Seder-Abend gesungen wird, stimmten viele mit ein, ist es doch eines der bekanntesten Lieder aus der Pessach Haggada. Kempin sang Lieder aus dem Kabbalat Schabbat wie das "Lechat Dodi", ein Lied über Purim-Bräuche und ein Kinderlied zu Chanukka – und verabschiedete sich mit Leonard Cohens "Hallelujah" – für das dieser nach eigener Aussage in zehnjähriger Arbeit rund 70 Strophen geschrieben hatte.

Im Namen der Fuldaer Jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) dankten Bella Gusman und Jutta Hamberger Daniel Kempin für das wunderbare Konzert und Jana Tegel fürs Übersetzen der Erzähltexte ins Russische. Daniel Kempin wurde mit großem Beifall verabschiedet. (pm) +++

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