50.000 Patienten im Jahr (1)

"Hilfe, ich ersticke!" - Dauerstress in der Zentralen Notaufnahme des Klinikums

Hier in der Zentralen Notaufnahme des Klinikums werden jedes Jahr über 50.000 Patienten behandelt
Archivfoto: ON/Christian P. Stadtfeld

23.09.2024 / FULDA - "Hilfe, ich kriege keine Luft mehr", röchelt der Patient in der Notaufnahme. Er ist Allergiker und von einer Wespe in den Rachen gestochen worden. Die Diagnose ist klar: ein anaphylaktischer Schock. Ruhig und routiniert setzt die Ärztin die Spritze mit dem lebensrettenden Adrenalin in den Oberschenkel. In der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Fulda gibt es nahezu an jedem Tag lebensbedrohliche Situationen. Das Team bleibt aber auch unter höchstem Stress routiniert und agiert professionell.



Die Zentrale Notaufnahme des Klinikums Fulda steht den Menschen der Region an 365 Tagen im Jahr und rund um die Uhr zur Verfügung. Hier werden Notfälle aller Art behandelt. Dabei hat das Klinikum einen besonderen Auftrag: Als Maximalversorger nimmt es an der höchsten Versorgungsstufe teil. Daher werden hier die am schwersten verletzten und erkrankten Patienten versorgt.

OSTHESSEN|NEWS hat mit Sabrina Sauthoff, Fachärztin für Innere Medizin und Klinikdirektorin der ZNA, sowie Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel, dem Vorstand der Krankenversorgung des Klinikums Fulda, über die anstrengende Tätigkeit in der ZNA und die Herausforderungen der Notfallmedizin gesprochen.

Sauthoff muss schmunzeln, als die Frage nach drei Dingen gestellt wird, die sie an der Notfallmedizin liebt. "Spontanität ist das zentrale Element, das mich an meiner Tätigkeit in der ZNA reizt. Ich weiß an keinem Tag der Woche, welche Überraschung bei der Arbeit auf mich zukommt." Neben der Spontanität sei die Interdisziplinarität – das heißt, die Versorgung von Patienten aus verschiedenen Fachdisziplinen – ein Hauptgrund, in der ZNA zu arbeiten. "Der dritte und wichtigste Faktor, weshalb ich jeden Tag gern zur Arbeit komme, ist mein Team. Notfallmedizin ist ein Mannschaftssport, und alleine sieht man ziemlich alt aus. Das fängt beim Reinigungspersonal an, geht über Arzthelfer und Pflegekräfte bis hin zu den Ärzten. Wir arbeiten alle Hand in Hand in einem stressigen Umfeld, um für unsere Patienten die bestmögliche Versorgung bieten zu können."

Eine Powerfrau

Sauthoff ist eine Powerfrau, das merkt man sofort. Um von ihrem stressigen Berufsalltag Abstand zu gewinnen, sind für sie neben ausgleichenden Hobbys ein gutes privates Umfeld und die Familie von zentraler Bedeutung. "Als ich noch Stationsärztin war, habe ich die Tür der Klinik geschlossen und wusste, dass ich nun abschalten kann. Heute als Klinikdirektorin sind meine Gedanken immer auch ein wenig in der Klinik, und ich bin für mein Team jederzeit erreichbar."

Die Zentrale Notaufnahme des Klinikums Fulda behandelt jährlich rund 50.000 Patienten. Insgesamt stehen 25 Plätze bereit, an denen Patienten versorgt und überwacht werden können. Zudem gibt es vier Schockräume, die von allen Fachdisziplinen gleichermaßen für kritisch kranke oder schwer verletzte Patienten genutzt werden können. Beim Neubau 2019 wurde auf kurze Wege geachtet. Die Computertomographen, die einen essenziellen Baustein in der modernen Diagnostik darstellen, befinden sich unmittelbar neben den Schockräumen. "Wir sind mit modernster Technik ausgestattet, um unsere Patienten zu versorgen. Eine Realität der heutigen Zeit ist allerdings, dass von den Patienten, die kommen, 70 Prozent ambulant weiterbehandelt werden und nicht im Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Gleichzeitig steigen bei höheren Patientenzahlen aber die absoluten Aufnahmen. Zudem sind lediglich zwei Prozent der Patienten, die uns erreichen, lebensbedrohlich erkrankt – mit sinkender Tendenz", stellt Sauthoff fest. Die Finanzierung dieser ambulanten Fälle treibt der Ärztin Sorgenfalten auf die Stirn. Unabhängig vom Aufwand, den ein ambulanter Patient in der ZNA verursacht: Am Ende bleiben gerade mal 28 Euro übrig.

Vorstand Dr. Thomas Menzel hat es sich nicht nehmen lassen, bei diesem Interview dabei zu sein. Menzel hat den Überblick über die Zahlen und ist selbst Arzt. Die Notaufnahme – eine Herzensangelegenheit für den Mediziner und Manager. "Durch die vielen ambulanten Fälle müssen wir in der Notaufnahme mit einem jährlichen Defizit von ungefähr 5 Millionen Euro planen. Wir als Haus der Maximalversorgung in kommunaler Trägerschaft sehen uns allerdings in der Verantwortung für unsere Bevölkerung. Unserem Versorgungsauftrag kommen wir daher gern und bestmöglich nach. Gesundheitspolitisch ist die Finanzierung der ZNA ein heißes Thema. Wir wollen diesen Konflikt jedoch nicht auf dem Rücken der Patienten austragen."

Kommt ein Patient in der ZNA an, erfolgt die medizinische Ersteinschätzung durch eine speziell ausgebildete Pflegekraft. Jeder Patient muss innerhalb einer Zehn-Minuten-Frist gesehen und eingeschätzt werden. Im Mittel liegt die Sichtungszeit zwischen vier bis sechs Minuten.

Dann wird der Patient entsprechend seiner Dringlichkeit von einem Arzt der jeweiligen Fachdisziplin behandelt. Dabei kann es sein, dass man als lebensbedrohlicher Fall sofort behandelt wird oder nach der Ersteinschätzung zunächst im Wartezimmer Platz nehmen muss. "Die Verweildauer in unserer ZNA beträgt im Schnitt maximal vier Stunden. Darauf sind wir stolz und betrachten das als Leistung des Teams."

Wartezeiten sind immer wieder ein Thema in der Notaufnahme, doch Sauthoff bleibt entspannt bei der Frage, ob ihr nicht manchmal der Geduldsfaden reißt, wenn jemand besonders dreist drängelt: "Natürlich kann es sein, dass man aus dem Schockraum kommt und einen dramatischen Fall hatte, bei dem man alles gegeben und dennoch verloren hat. Es fällt mir aber nicht schwer, einem Patienten, der unzufrieden ist und endlich drankommen will, die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Denn jeder, der kommt, hat an diesem Tag ein für ihn schreckliches Erlebnis und will ernst genommen werden. Viele haben einen langen Leidensweg hinter sich und sehen in der Notaufnahme den letzten Ausweg. Oft bekommt man die Situation gemeinsam gut gelöst."Sauthoff weiß, dass Verständnis und Empathie helfen. Die ZNA des Klinikums Fulda hilft immer – auch wenn man manchmal akut nichts tun kann, können zumindest die Weichen in den ambulanten Sektor gestellt werden.

Vor welchen Herausforderungen die moderne Notfallmedizin steht und was Menzel und Sauthoff für gute Lösungsansätze halten, lesen Sie im zweiten Teil unseres ZNA-Sommerinterviews. (Adrian Böhm)+++

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