"Es wird erbitterter gestritten!"
Bald mehr Platz, aber Personalsorgen und hohe Arbeitsbelastung der Gerichte
Gerichtspräsident Dr. Jochen Müller, Richterin Laura Fitterer, Amtsrichter Christoph Mangelsdorf und designierter Amtsgerichtsdirektor Dr. Christoph Wagner
Fotos: Nina Seikel
04.09.2024 / FULDA -
Weiterhin hohe Arbeitsbelastung der Fuldaer Justiz durch steigende Fallzahlen, Personalsorgen, aber auch Aussichten auf mehr Platz für die Justizbehörden: Bei der jährlich stattfindenden Pressekonferenz im Landgericht Fulda bilanzierte Landgerichtspräsident Dr. Jochen Müller die Arbeitssituation und die Fallzahlen des vergangenen Jahres. "Es wird erbitterter gestritten", subsumierte er die sich abzeichnende Entwicklung an den Gerichten. Auch die Sprecherin des Landgerichts Laura Fitterer, der designierte Nachfolger des pensionierten Amtsgerichtsdirektors Udo Lautenbach, Dr. Christoph Wagner und der Sprecher des Amtsgerichts, Amtsrichter Christoph Mangelsdorf gaben Einblicke in ihre Arbeit und beleuchteten neue Entwicklungen.
Die Zahl der Zivilsachen hat sich im letzten Jahr weitgehend normalisiert, nachdem 2018 bis 2021 ein signifikanter Anstieg zu verzeichnen war. Zwar sei die Klagewelle wegen des Dieselskandals abgeebbt, dafür seien neue "Massenverfahren" zur Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen der Krankenkassen und zur Legalität von unlizensierten Online-Sportwetten anhängig, was eine hohe Arbeitsbelastung mit sich bringe. "Die Anwaltschaft erschließt sich neue Märkte", kommentierte Dr. Müller die erhöhte Klagebereitschaft.
Die erstinstanzlichen Strafkammern waren auch im Jahr 2023 hoch belastet. Durch die Einrichtung einer weiteren, sechsten Strafkammer habe die steigende Zahl der Fälle aufgefangen werden können. So konnte auch die beschleunigte Erledigung von Haftsachen sichergestellt bleiben. Die Zahl der Strafsachen ist im letzten Jahr erneut angestiegen, was der Landgerichtspräsident unter anderem auf die zunehmende Zahl an Festen zurückführt, weil das auch die Zunahme tätlicher Auseinandersetzungen mit sich bringe. Auch Verfahren wegen Besitz von Kinderpornografie und Fälle häuslicher Gewalt haben weiter zugenommen. Das Amtsgericht hatte auch 2023 Bußgeldsachen auf einem bereits seit 2021 bestehenden zahlenmäßig hohen Niveau zu bearbeiten. In rund 80 Prozent der Verfahren ging es dabei um Verkehrsordnungswidrigkeiten.
E-Akte hat Arbeitsabläufe komplett verändert
Die erfolgreiche Umstellung auf die Elektronische Akte ist seit dem 1. März 2023 am Landgericht Fulda für Verfahren erster und zweiter Instanz vollzogen worden. Alle Ein- und Ausgänge und die Bearbeitung der Verfahren erfolgen nur noch in elektronischer Form. Mit dem Stichtag 1. September 2023 ist auch der Start der Elektronischen Akte an den Amtsgerichten in Zivil- und Insolvenzsachen erfolgt, die E-Akte in Familiensachen folgt noch in diesem Jahr. "Die Digitalisierung der Verfahrensakten bedeutet eine 'Zeitenwende' in der Bearbeitung der Verfahren, was kurz- und mittelfristig zu einer Beschleunigung der Verfahren führen wird und Möglichkeiten bieten kann, die Verfahrensabläufe neu zu strukturieren", betonte der Gerichtspräsident. Dadurch steigen auch die Möglichkeiten zum mobilen Arbeiten, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Attraktivität des Arbeitsplatzes stärken werde. Auch dadurch, dass mehrere Verfahrensbeteiligte gleichzeitig an einer Akte arbeiten könnten, beschleunigten sich die Verfahren.
Soziale Dienste der Justiz (Bewährung- und Gerichtshilfe)
Die Bewährungshilfe im Landgerichtsbezirk Fulda betreut derzeit rund 562 Probanden. Davon sind über 90 Prozent männlich. Eine engmaschige Betreuung erfolgt bei Sexualstraftätern und Probanden, bei denen eine "elektronische Fußfessel" angeordnet wurde. Auch Gewaltstraftäter, die als besonders rückfallgefährdet gelten, werden intensiv betreut. Das im Jahr 2021 aufgelegte Pilotprojekt zur Prävention "Häuslicher Gewalt" konnte durch die Zuweisung zusätzlicher Stellen gestärkt werden und wurde vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen in Bad Hersfeld jetzt auch auf den Bezirk Fulda und das Stadtgebiet Hünfeld ausgeweitet.
Sorge um qualifizierten Nachwuchs
Eine weitere große Herausforderung der nächsten Jahre stellt der schon jetzt einsetzende demographische Wandel dar, der auch vor der Justiz nicht Halt macht: die Jahrgänge der Babyboomer gehen in Pension. Das Justizministerium habe verschiedene Maßnahmen angestoßen, um ausreichend qualifiziertes Personal zu gewinnen. Im richterlichen Bereich sind das neben dem Wegfall der Eingangsstufen in der Besoldung vor allem die Projekte der "Justizassistenz" und der "Assessorbrücke", um frühzeitig besonders qualifizierte junge Juristinnen und Juristen für eine Tätigkeit in der Justiz zu begeistern und an die Justiz zu binden. Im nichtrichterlichen Bereich werden die Ausbildungskapazitäten erhöht, eine heimatnahe Verwendung angestrebt, die Möglichkeit des Home-Office ausgebaut und die Vergütung der Angestellten in den Serviceeinheiten angehoben.
Stand der Sanierung und Modernisierung des Justizzentrums
Nach dem Auszug des Finanzamtes hat in diesem Jahr wie geplant die Sanierung des Finanzamtsflügels begonnen. Die Planungen sehen neben der Sanierung der Putzschänden auch vor, dass mit Blick auf die E-Akte Datenleitungen sowie die IT-Infrastruktur erneuert, die Gebäude energetisch saniert werden und der zusätzliche Raumbedarf von Amts- und Landgericht vollständig abgedeckt werden könne. Die Planungen sehen die nahezu vollständige Nutzung der Liegenschaft durch die Justiz vor, da nach der Sanierung ab 2028 neben der Staatsanwaltschaft auch das Arbeits- und Sozialgericht in den ehemaligen Finanzamtsflügel ziehen sollen. Das ehemalige Behördenzentrum werde damit zu einem modernen Justizzentrum aufgewertet, was die Justiz vor Ort insgesamt stärke. Neben Synergieeffekten insbesondere im Rahmen der Sicherheit und der Nutzung der Sitzungssäle könnten so die bestehende Raumnot behoben und die Ausbildungskapazitäten vergrößert werden. (ci/pm)+++