"Kein Raum für Extremismus"
Bedrohungen für Demokratie nehmen zu: "Gefährdungslage abstrakt hoch"
Archivfoto: O|N/ Carina Jirsch
02.09.2024 / REGION - Innenminister Roman Poseck (CDU) hat heute gemeinsam mit dem Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Hessen, Bernd Neumann, den hessischen Verfassungsschutzbericht 2023 vorgestellt und auf verfassungsfeindliche Entwicklungen sowie auf Bedrohungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung hingewiesen.
Innenminister Roman Poseck zur aktuellen Sicherheitslage: "Die Sicherheitslage ist insgesamt angespannt. Extremisten im Inland und Akteure aus dem Ausland bedrohen unsere Innere Sicherheit. Der Anschlag in Solingen hat uns auf erschreckende Weise vor Augen geführt, dass der Terrorismus nach wie vor eine große Gefahr für unsere Sicherheit ist. Islamistische Terroristen greifen unsere demokratische Gesellschaft an, bedrohen unser friedliches Miteinander und unsere westliche Kultur."
"Die Gefährdungslage ist weiterhin abstrakt hoch"
Rechtsextremismus größte Gefahr für Demokratie
Das extremistische Personenpotenzial in Hessen ist im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um 185 auf 13.110 Personen leicht gesunken, allerdings sind die Personenpotenziale außer im Bereich des Islamismus (+25) auch in den Bereichen Rechtsextremismus (+45) und "Reichsbürger- und Selbstverwalter" (+100) gestiegen. Zudem nahm die Zahl der Straf- und Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr um insgesamt 51 Prozent (+638) zu und lag 2023 bei 1.881. Im Bereich Rechtsextremismus ist das Potenzial gewaltorientierter Rechtsextremisten im vergangenen Jahr um 25 auf 905 Personen angestiegen. Die Zahl der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten stieg sogar um 394 auf 1.445 Delikte an. Das sind 37 Prozent mehr, es bedeutet einen Höchststand im Zehn-Jahres-Vergleich."Wir müssen alle Betrohungen gleichermaßen ernst nehmen"
LfV-Präsident Bernd Neumann ergänzte, dass insbesondere in der Neonaziszene eine aggressive Rhetorik und auch Gewalt- und Umsturzfantasien feststellbar seien. Die Aneignung von Kampftechniken sei in der rechtsextremistischen Szene ein Thema mit weiter steigender Bedeutung. Eine Vordenkerrolle spielten aber auch die Ideologen der sogenannten "Neuen Rechten": "Rechtsextremisten aus dem Bereich der ,Neuen Rechten‘ nutzen Entwicklungen wie die Migration nach Europa und deren Folgen aus, um bestehende Ängste zu schüren und Ressentiments zu verstärken." Die Reichsbürgerszene ist um weitere 100 Personen von 1.100 auf 1.200 gestiegen. "Auch diese Entwicklung ist besorgniserregend. Das Spektrum der Reichsbürger-Szene reicht von Anhängern von Verschwörungsideologien bis hin zu hoch gefährlichen und waffenaffinen Extremisten, die sich zum Teil im Verborgenen radikalisieren und die eine sehr ernsthafte Bedrohung unserer verfassungsmäßigen Ordnung und ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten darstellen. Besonders gefährlich wird es, wenn Reichsbürger Waffen besitzen. Deshalb setzen wir auch hier alles daran, Extremisten zu entwaffnen", so der Minister.
Spionageabwehr stark gefordert
Hohe Militanz in der linksextremistischen Szene
Im Bereich des Linksextremismus ist das Personenpotenzial 2023 insgesamt zwar leicht um 50 Personen auf 2.600 gesunken; das Potenzial der gewaltorientierten Personen ist hingegen von 600 auf 720 gestiegen. "Im Bereich des Linksextremismus ist eine zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft festzustellen. Insbesondere Angehörige der autonomen Szene bekämpfen den Staat und politische Gegner teils mit gezielter Gewalt und greifen anlassbezogen auch Polizisten an. Teile der linksextremistischen Szene versuchen auch, Einfluss auf die Klimaprotestbewegung zu nehmen, um Personen zu ideologisieren und sie letztlich zum gewaltsamen Kampf gegen den Staat zu motivieren. Auch hier muss der Rechtsstaat hart durchgreifen", sagte der Minister."Die Militanz in der Szene und die Gefahr wechselseitiger Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremisten ist hoch", betonte Neumann. Daher behalte das LfV die Situation genau im Blick. Im Jahr 2023 stieg die Zahl antisemitischer Straftaten in Hessen um 224 Prozent auf 347 an. "Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist der Antisemitismus wieder erschreckend sichtbar geworden. Viele Straftaten werden auf Versammlungen begangen. Auf diesen wird das Existenzrechts Israels geleugnet und letztlich zur Zerstörung des Staates Israel aufgerufen. Im Hinblick auf solche Äußerungen habe ich mich auf der Innenministerkonferenz für einen strafrechtlichen Schutz des Existenzrechts Israels im Kontext von Versammlungen eingesetzt. Das Leugnen des Existenzrechts Israels sollte meiner Meinung nach unter Strafe gestellt werden. Dies würde es auch den Versammlungsbehörden erleichtern, rechtssichere Verbote von Versammlungen auszusprechen, die zur Vernichtung des Staates Israel aufrufen", so Innenminister Roman Poseck.
"Nur gemeinsam werden wir unsere demokratischen Werte effektiv verteidigen"
LfV-Präsident Neumann betonte, dass antisemitische Narrative in allen Extremismusbereichen festzustellen seien. Ob sich im hessischen Protestgeschehen seit dem 7. Oktober 2023 Allianzen über die Extremismusbereiche hinweg bildeten, untersuche die wissenschaftliche Analysestelle PAAF des LfV Hessen aktuell im Rahmen eines Forschungsprojekts. Beispielweise könnten bei Kundgebungen gegen Israel Allianzen von Personen aus den Bereichen Linksextremismus, Extremismus mit Auslandsbezug und Islamismus entstanden sein. Es bestehe die Gefahr, dass Extremisten verschiedener Couleur Zweckbündnisse eingehen, um mit ihren antisemitischen und israelfeindlichen Standpunkten eine höhere Reichweite zu erzielen. Generell gelte für den hessischen Verfassungsschutz die Devise: "Kein Raum für Extremismus", die auch als Motto über der Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit steht.Abschließend betonte Innenminister Roman Poseck: "Unser Rechtsstaat geht mit Härte und Konsequenz gegen jede Form des Extremismus vor. Politik und Gesellschaft sind aufgerufen, unsere Demokratie zu schützen und extremistische Bestrebungen zu bekämpfen. Das Landesamt für Verfassungsschutz leistet hierbei einen wichtigen Beitrag. Es sind aber alle in unserer Gesellschaft aufgefordert dazu beizutragen, dass Toleranz, Respekt und friedliche Umgangsformen gelebt und berücksichtigt werden. Nur gemeinsam werden wir unsere demokratischen Werte gegen vielfältige Bedrohungen effektiv verteidigen." (pm)+++