Erkenntnisreiche Exkursion

Jüdische Gemeinde zu Besuch in Fürth, dem Fränkischen Jerusalem

In der Synagoge der Jüdischen Gemeinde. In der Bima (= Lesepult) ist ein Stein aus Israel eingearbeitet, damit die Tora nicht von deutschem Boden aus verlesen wird.
Alle Fotos: Jutta Hamberger

28.06.2024 / REGION - Am 25. Juni, einem wunderschönen Sommerdienstag, fuhren einige Mitglieder der Fuldaer Jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit nach Fürth, das oft auch das "Fränkische Jerusalem" genannt wird. Es war eine eindrucksvolle und erkenntnisreiche Exkursion.



Besuch in der Fürther Jüdischen Gemeinde

Zuerst besuchten wir die Fürther jüdische Gemeinde. Liebevoll war im Gemeinderaum für uns gedeckt worden, wir stärkten uns und überreichten unser Gastgeschenk: Einen Bildband über Fulda und zwei eindrucksvolle Grafiken des ukrainischen und in Fulda lebenden Künstlers Vadym Kolthun. Fuldaer Kunstliebhaber kennen Kolthun gut, denn er hat bereits in der Galerie Bilder Fuchs und im Kutscherhaus der Galerie Kunst ausgestellt.

Fürth hatte mit 2.000 Mitgliedern einst die größte jüdische Gemeinde Bayerns. Bereits im Jahr 1440 siedelten sich Juden in Fürth an. Schon damals galt, was für viele Jahrhunderte so blieb: Die Juden mussten den jeweiligen Herrschern hohe Schutzzahlungen leisten. Dafür wurden sie aber auch geschützt, in Fürth gab es keine Ausschreitungen gegen Juden. Ganz anders im nicht weit entfernten Nürnberg, wo man schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts gegen die Ansiedlung von Juden protestierte. In Nürnberg zieht sich christliche Judenfeindlichkeit durch die Jahrhunderte, ihre Spuren sind bis heute sichtbar. Jüdische Kaufleute etwa durften in späteren Jahrhunderten nicht in Nürnberg übernachten, sie fuhren deshalb nach getaner Arbeit nach Fürth. Sie schliefen oft im Gasthaus "Weiße Rose". Hier befand sich auch eine öffentliche Mikwe.

Man findet in Nürnberg auch antisemitische Hetzbilder – an der St. Sebald-Kirche befindet sich wie in Wittenberg eine sogenannte "Judensau", und in der Lorenzkirche wird auf einem Gemälde Hans Pleydenwurffs am Dreikönigaltar der Kindermord Juden in die Schuhe geschoben. Nicht zu vergessen, dass die Nürnberger Frauenkirche 1349 auf den Trümmern der zerstörten Synagoge errichtet wurde.

Eine Stadt ohne jüdisches Ghetto

Im Gegensatz zu Nürnberg war Fürth ein gutes Pflaster für Juden, allerdings mit einer Einschränkung: Nur wer Geld hatte, konnte sich Fürth leisten, so kam bald das Wort vom "Fürther Judenadel" auf. Viele reiche Juden bezahlten das Schutzgeld für ihre weniger begüterten Glaubensgenossen, so dass auch die sich ansiedeln konnten. 1617 wurde die erste Synagoge gebaut.

Das Zentrum der Jüdischen Gemeinde entwickelte sich in der Altstadt. Vor 1933 gab es dort den Jüdischen Schulhof mit eigenen Rabbinern, eigenen Synagogen, einer Talmudschule, einer Druckerei, einem Krankenhaus, einer Schächterei und einem Friedhof.

Besonders spannend und sehr anders als in den meisten Städten: In Fürth gab es nie ein jüdisches Ghetto. Christen und Juden lebten nachbarschaftlich nebeneinander, von außen konnte man höchstens an der Mesusa erkennen, in welchem Haus Juden wohnten.

Fürth wird oft das "Fränkische Jerusalem" genannt, weil es eine der spirituellen Hauptstädte für Juden war. Das lag vor allem an der 1657 eingerichteten Jeschiwa, eine der bedeutendsten Talmudschulen in ganz Europa. Hierher schickten Juden ihre Söhne zur Ausbildung. Und noch etwas trug den Ruf der Stadt ins ganze Land: In Fürth wurden alle frommen Bücher gedruckt, die in deutschen jüdischen Gemeinden und Familien genutzt wurden.

Dass die Jüdische Gemeinde in Fürth sich so gut entwickeln konnte, liegt an der sogennanten Dreiherrschaft. Und die funktionierte so: Wenn du drei mögliche Herren hast, die neben- und gegeneinander regieren, gibt es immer einen, der dein Schutzgeld nehmen wird. Mal zahlten die Juden an den Bamberger Domprobst, mal an den Burggrafen von Nürnberg, mal an die Reichsstadt Nürnberg. Da die Dreiherrschaft nach Häusern und Grundstücken eingeteilt war, war jeder Fürther einem der drei Herren unterstellt. Bei Problemen mit einem der Herren zogen die Fürther Juden einfach um.

Berühmte jüdische Persönlichkeiten aus Fürth

Fürth verdankt einigen jüdischen Mitbürgern sehr viel. Einer davon ist der Bleistiftfabrikant Heinrich Berolzheimer. Er stiftete den Fürther Volksbildungsverein, heute das Berolzheimerianum – ein Vorläufer der Volkshochschule. Als einzige Persönlichkeit verliehen ihm sowohl Fürth als auch Nürnberg die Ehrenbürgerwürde.

Ein Fürther Jude, den alle kennen, ist Henry Kissinger. Der begeisterte Fußballfan spielte als Jugendlicher in der Spielvereinigung Fürth und blieb bis zu seinem Tod Fan der Mannschaft. 1938 gelang ihm mit seinen Eltern die Flucht aus Deutschland. Nach dem Krieg war der spätere amerikanische Außenminister in Bensheim stationiert und arbeitete für das Counter Intelligence Corps (CIC), das Kriegsverbrechen aufklären und die Entnazifizierung vorantreiben sollte. 1988 machte Fürth ihn zum Ehrenbürger. Kissinger besuchte Fürth letztmals anlässlich seines 100. Geburtstags im Jahr 2023, und wurde mit einem Festakt geehrt.

Die Fürther Jüdische Gemeinde nach 1945

Von den 2.000 Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Fürths überlebten nur 23 den Holocaust. Es ist fast ein Wunder, dass nach dem Krieg wieder eine Jüdische Gemeinde entstand. Sie blieb klein, bis es in den 90er Jahren durch den Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion einen Wachstumsschub gab – heute zählt die Gemeinde ca. 330 Mitglieder.

Beim Stadtrundgang besuchten wir zuerst die "Waisenschul", die Synagoge des 1763 gegründeten Jüdischen Waisenhauses – dem ältesten jüdischen Waisenhaus in Deutschland. Die Waisenkinder kamen aus ganz Süddeutschland nach Fürth. Die "Waisenschul" wurde 1884 erbaut, sie ist die einzige Fürther Synagoge, die das Novemberpogrom von 1938 überstand. Feuer und Zerstörung hier hätten nämlich auf die gesamte Altstadt übergegriffen, weshalb die Nationalsozialisten sie verschonten. Auch die Mikwe (= rituelles Bad) und die Sukka (= Laubhütte) wurden nicht zerstört. Seit 1945 ist diese Synagoge in der Hallemannstraße die Gemeindesynagoge. Der Name der Straße erinnert an Isaak Hallemann, den sogenannten "Waisenvater von Fürth". Im Dritten Reich hätte er emigrieren können. Wie der polnische Arzt Janusz Korczak zog Hallemann es aber vor, seine Waisenkinder zu begleiten – sie wurden nach Izbica bei Lubin in Polen deportiert und dort ermordet.

Eindrucksvoll ist das von Kunihiko Kato geschaffene Denkmal für die Synagoge in der Geleitgasse. Es wurde 1986 eingeweiht und erinnert an den Schulhof, das Zentrum der Jüdischen Gemeinde Fürths. Die kleinen Flammen, die es wie ein Kranz umgeben, erinnern an das ewige Licht, das in Synagogen immer brennt. Die großen Flammen am Sockel erinnern an die Menora, den siebenarmigen Leuchter. Ich habe dabei allerdings eher an die Flammen der Öfen in den Vernichtungslagern gedacht. Die sieben Samen der Schotenfrucht symbolisieren die Hoffnung auf ein neues Leben des jüdischen Volks nach dem Holocaust. Auf Hebräisch und Deutsch steht am Fuß des Denkmals eine erschütternd aktuelle Inschrift: "Ewiger. Völker drangen in Deinen Besitz ein, verunreinigten Dein Heiligtum. Sie vergossen Blut wie Wasser, wir wurden zum Gespött unserer Nachbarn. ..."

Von Privatsynagogen und Odysseen durch Russland

In Fürth gab es auch private Beträume, ähnlich, wie man das aus Adelshäusern kennt. Einer dieser Beträume gehörte Gabriel Löw ‚Levi‘ Fränkl, der im 17. Jahrhundert Vorsteher der Fürther Jüdischen Gemeinde war. Er war sehr vermögend und stiftete deshalb die Gabrielschul, die nach seinem Tod zu einer Privatsynagoge wurde. Das Gebäude hatte auch eine Wohnung für den Rabbiner. 1836 verbot der Bayerische Staat alle Privatsynagogen. Heute ist hier ein Privathaus mit mehreren Wohnungen.

Am Straßenschild Bella-Rosenkranz-Straße erzählte uns unser Stadtführer, dass Bella Rosenkranz durch ihre Odyssee durch die Sowjetunion bekannt wurde. Da ihr Vater gebürtiger Pole war, wurde sie 1938 an die polnische Grenze deportiert. Bloß – Polen wollte keine Juden aufnehmen und verweigerte die Einreise. Bella Rosenkranz gelang es aber doch, sie ging nach Lodz, wo ein Onkel lebte. Von hier aus reiste sie an die russische Grenze, auf einem Landgut bereiteten sich dort zionistische Gruppen auf ihr künftiges Leben in Palästina vor. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs waren diese Pläne obsolet, Bella Rosenkranz flüchtete in die Sowjetunion. Nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion war auch eine deutsche Jüdin in Russland "Feindin". Bella wurde verhaftet und kam in ein Arbeitslager in Gorki (Ural). Nach Verbüßung ihrer Strafe wurde sie nicht entlassen, sondern nach Sibirien deportiert. Auf dem Weg dorthin gelang ihr die Flucht. 1961 konnte sie ausreisen und kehrte nach Fürth zurück. Ihre Mentalität verdeutlich dieses Zitat: "Zünde lieber ein Licht an, als über die Dunkelheit zu meckern."

Zum Schluss besuchten wir noch das Jüdische Museum in Franken, das 1990 eröffnet wurde und die Vielfalt jüdischen Lebens in Franken aufzeigen will. Zu sehen sind viele rituelle und Alltagsgegenstände, auch die historische Sukka und Mikwe sind Teil der Ausstellung. Ermattet, aber fröhlich traten wir die Heimreise an, auch eine Reifenpanne mit zweistündiger Verspätung verdarb uns nicht die gute Laune.

Hinweis: Wenn Sie sich für christlich-jüdischen Austausch interessieren, schauen Sie doch mal auf der Website der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit vorbei: www.gcjz-fulda.de Das Programm ist sehr vielseitig und reicht von Vorträgen, Konzerten, Diskussionsforen, Ausstellungen bis zu Exkursionen. (Jutta Hamberger)+++

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