Nur Notdienst
Apotheken am Donnerstag und Freitag geschlossen: "Reform ist Katastrophe"
Apotheker Dr. Christian Gerninghaus, Inhaber der Sonnen-Apotheke in Schlitz
Fotos: Marius Auth
25.06.2024 / REGION -
Am Donnerstag und Freitag werden nahezu alle Apotheken in Hessen aus Protest gegen die geplante Apothekenreform geschlossen bleiben. Regionale Apotheker erklären, warum sie in Frankfurt am Main (wieder) auf die Barrikaden gehen.
Der am 14. Juni vom Bundesgesundheitsministerium vorgestellte Referentenentwurf zur Apothekenreform zielt darauf ab, die Arzneimittelversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Ein Punkt aber erregt die Gemüter der Apotheker: Bisher muss immer ein approbierter Apotheker vor Ort sein - das soll sich nun ändern, nicht zuletzt, um Filialgründungen zu erleichtern. "Durch die geplante Apothekenreform wird die Versorgung der Patientinnen und Patienten deutlich verschlechtert. Filialapotheken, in denen kein approbierter Apotheker mehr vor Ort sein muss, das bedeutet: Betäubungsmittel, etwa starke Schmerzmittel, dürfen nicht mehr ausgegeben werden. Es finden keine Notdienste mehr statt, keine pharmazeutischen Dienstleistungen wie Beratung bei Polymedikation. Individuelle Rezepturen, wenn Fertigarzneimittel zur Medikation nicht ausreichen, gibt es dann auch nicht mehr", erklärt Apotheker Justus Schollmeier, Inhaber der Altstadt Apotheke in Fulda.
Bezahlung in der Industrie besser
Die Sicht des Bundesgesundheitsministeriums, nach der die erleichterten Möglichkeiten für Filialgründungen auch auf dem Land die Versorgungssicherheit verbessern könnten, teilt Schollmeier nicht: "Es gibt ja kein Personal. Außerdem braucht man immer noch die pharmazeutisch-technische Assistenten. Ich hatte neulich ein Treffen mit Pharmazie-Freunden aus dem Studium, 15 Leute, ich war der einzige, der in einer öffentlichen Apotheke arbeitet. Der Rest arbeitet in der Industrie, im Krankenhaus oder sonst wo. Die Bezahlung ist einfach besser. Ein Apotheker mit drei Staatsexamina verdient nur so viel wie eine Industriekauffrau."
Apotheker Dr. Christian Gerninghaus, Inhaber der Sonnen-Apotheke in Schlitz, ergänzt: "Filialen ohne Apotheker sind Ramsch-Filialen. Gerade in der jetzigen Situation, wo wir schon mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen haben, müssen wir für Kunden entscheiden, welche Wirkstoffe sonst Sinn machen, das braucht pharmazeutische Expertise. Zudem muss eine Filiale ohne Apotheker trotzdem den kompletten Kostenrahmen decken: Wer verschreibungspflichtige Medikamente abgeben will, braucht in Zeiten des E-Rezeptes eine Anbindung an die Telematik-Infrastruktur. Das Lager muss vorgehalten werden, die Räume müssen klimatisiert werden. Die Kostenstruktur ist nahezu dieselbe, aber wieso sollte ich mir eine weitere Filiale ans Bein binden, die nicht erwirtschaften kann, was eine Voll-Apotheke liefern könnte?"
"Finanzorientiertes System wäre eine Katastrophe"
Auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main protestieren am Donnerstag und Freitag auch viele Apotheker aus Osthessen gegen die geplante Apothekenreform: "Das Ganze wirkt für mich inzwischen wie ein lang erdachter Plan: Erst im Dezember wurde der Text im Beipackzettel verändert, von 'Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker' auf 'Fragen Sie Ihren Arzt, Ihre Ärztin - oder in der Apotheke'. Da wird klar: Es kann durchaus auch der Praktikant machen. Es sollen Apothekenketten kommen, Lauterbach nennt ja die USA als Vorbild im Gesundheitssystem. So ein rein finanzorientiertes System wäre für uns eine Katastrophe, unter der die Schwächeren wie Kinder, kranke und alte Menschen am meisten leiden würden", so Schollmeier. Im Zuge der Digitalisierung würde versucht, die Versandhandelsapotheken mit ins Boot zu holen: "Man darf nicht vergessen, dass die keine Steuern zahlen. Jedem sollte klar sein, was das bedeutet, noch dazu, wenn der Staat das auch noch unterstützt."
"Wir fordern, dass unser Packungshonorar endlich angepasst wird. Wir Apotheker bekommen drei Prozent Pauschale auf den Einkaufspreis der Ware, plus 8,35 Euro. Diese 8,35 Euro wurden seit 2013 nicht mehr angepasst. Auch deshalb können wir unsere Mitarbeiter nicht so bezahlen, wie es sein sollte. Wenn wir wenigstens den Inflationsausgleich bekämen, könnten wir den Arbeitsplatz öffentliche Apotheke halbwegs attraktiv halten und Apotheken müssten nicht reihenweise schließen", so Gernighaus.
Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht?
Er befürchtet, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist: "Wir können Minister Lauterbach schlichtweg nicht vertrauen. Wenn man sieht, dass man ohne Apotheker auskommt, können vielleicht irgendwie Rossmann oder Müller Filialen aufmachen. Aber eine Apotheke ist kein normaler Einzelhandel. Zu uns kommen Menschen, die häufig gar nicht wissen, welche Mittel für ihre Beschwerden Sinn machen. Wir helfen täglich dabei, ungesunde oder gar riskante Wirkstoffkombinationen zu vermeiden. Was wir machen, hat sich seit Jahrhunderten bewährt. Das auf einen Schlag zu verändern, aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, ist eine Katastrophe, nicht zuletzt für die Verbraucher."
Welche Apotheken am 27. und 28. Juni Notdienst haben, erfahren die Hessen per Aushängen in den örtlichen Apotheken oder online unter https://www.aponet.de/apotheke/notdienstsuche. (mau) +++