"Angriff auf die Demokratie"
Slowakischer Regierungschef nach Schüssen in Lebensgefahr
Foto: Radovan Stoklasa/TASR/dpa
16.05.2024 / BRATISLAVA -
Regierungschef Fico will nach einer Sitzung mit Bürgern sprechen, da fallen Schüsse. Das Attentat hatte einen politischen Hintergrund, heißt es nun vom Innenminister.
Bei einem Attentat ist der slowakische Regierungschef Robert Fico angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Der 59-jährige linksnationale Politiker wurde nach der Bluttat in der Stadt Handlova am Mittwoch per Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen.
Einer der beliebtesten Politiker des Landes
Der Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD ist seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer. Gegner nennen ihn «prorussisch» und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie Viktor Orbans Ungarn führen zu wollen.Am Abend schwebte Fico noch in Lebensgefahr, wie Innenminister Matus Sutaj Estok vor Journalisten in der Klinik in Banska Bystrica sagte, wo Fico operiert wurde.
Verstärkter Polizeischutz für Politiker
Innenminister Sutaj Estok kündigte verstärkten Polizeischutz für Politiker, aber auch Journalisten an. Zugleich rief er Medien, Politiker aller Lager und die Öffentlichkeit auf, mit der «Hetze gegen politische Gegner in sozialen Medien» aufzuhören.Der liberale Oppositionsführer Michal Simecka sagte am Abend alle politischen Aktionen für unbestimmte Zeit ab. Das betreffe auch eine für Mittwochabend geplante Demonstration gegen die Regierung.
Augenzeugen berichteten im Fernsehen, vor dem Kulturhaus in Handlova seien fünf Schüsse gefallen, als Fico ins Freie ging, um Hände zu schütteln. Ein Schuss habe ihn in die Brust getroffen. Das Lokalfernsehen RTV Prievidza veröffentlichte ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein Mann an den Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten schießt.
Staatspräsidentin spricht von Angriff auf die Demokratie
Die liberale Präsidentin hatte sich trotz großer Beliebtheit nicht um eine zweite Amtszeit beworben, weil sie nach eigenen Worten «nach Jahren politischer Krisen und mehreren Regierungswechseln nicht mehr die Kraft» habe. Das Klima zwischen Regierung und Opposition gilt als vergiftet.
Spitzenpolitiker zeigen sich bestürzt
US-Präsident Joe Biden sprach von einer «schrecklichen Gewalttat». «Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk», erklärte er. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte das Attentat auf Fico «unerträglich». «Ich wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt», sagte Scholz.In Europa ist Fico wegen seiner oft überspitzten Formulierungen zur Ukraine- und Russland-Politik der EU umstritten. Im Wahlkampf für die Parlamentswahl im Herbst 2023, die er gewann, ließ er mit der Ankündigung aufhorchen, er wolle «keine Patrone» mehr an Waffen an die Ukraine liefern. Tatsächlich aber hat die Slowakei seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt - einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU - nicht aber zur Nato.
Die Sanktionen gegen Russland lehnt Fico entgegen irreführender Medienberichte nicht grundsätzlich ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als Russland selbst. Stattdessen verlangt er Sanktionen, die Russland empfindlicher treffen. (Von Christoph Thanei, dpa) +++