Exklusives Internat

42.720 Euro Schulgebühr: Schloss Bieberstein will Elite-Vorurteile entkräften

Schloss Bieberstein will Elite-Vorurteile entkräften
Fotos: Marius Auth

26.04.2024 / HOFBIEBER - Wer seinen Nachwuchs aufs Traditions-Internat Schloss Bieberstein bei Hofbieber (Landkreis Fulda) schickt, zahlt 42.720 Euro jährlich - und bekommt dafür Intensiv-Betreuung in Heimfamilien und Reformpädagogik wie aus dem Bilderbuch. Lange galten "die vom Schloss" als abgehobene Elite. Das soll sich nun ändern.



Vor 120 Jahren kauft der Reformpädagoge Hermann Lietz das Schloss in Langenbieber, um daraus ein Landerziehungsheim in seinem Sinne zu machen: Die Distanz zur Familie und zum normalen gesellschaftlichen Umfeld soll es ermöglichen, neue erzieherische Grundsätze durch intensive Zuwendung zum jungen Menschen ungestört anwenden zu können. Das Ziel: nichts weniger als die Entwicklung des ganzen Menschen mit seinen intellektuellen, emotionalen und sozialen Möglichkeiten.

Goldschmieden und Kickboxen

Klara Gräf hat den Generalschlüssel fürs Barockschloss und zeigt die Bereiche, die Bieberstein von staatlichen Schulen unterscheiden: Töpferwerkstatt, Goldschmiedewerkstatt, Yoga-Raum und nicht zuletzt die spartanischen Schülerzimmer. Die 17-Jährige kommt aus Bad Homburg, geht in die 11. Klasse und hat vorher ein halbes Jahr ein Internat in Frankreich besucht. Doch am Ende stand die Entscheidung für Hofbieber: "Mein Bruder war auch schon hier - außerdem ist das Essen besser", scherzt Gräf, die mit der Schulführung eine der "Praktischen Arbeiten" übernommen hat, mit denen sich die Internatsschüler nützlich machen. Neben dem konventionellen Unterricht werden auch Freizeitangebote in Form von "Gilden" angeboten, ob Chinesisch für Anfänger, Goldschmieden oder Kickboxen - für jeden soll etwas dabei sein, auch zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit.

So soll der Weg zum staatlich anerkannten Abitur von den Klassen 10 bis 13 ganzheitlicher beschritten werden. Das interessiert nicht nur gut betuchte Eltern, sondern auch das Jugendamt: Inzwischen 25 Prozent der 92 Schüler haben ein Stipendium, Schloss Bieberstein ist eine anerkannte Einrichtung der Jugendhilfe. Bei eingeschränkter Erziehungskompetenz der Eltern bis hin zur Gefährdung des Kindeswohls und Eignung fürs Gymnasium kann das Internat die Ganztagsbetreuung übernehmen. Dr. Michael Kleinen, der seit Februar 2024 Schulleiter ist, will auch deshalb das Elite-Vorurteil nicht gelten lassen: "Wer zwei Wochen hier ist, gehört dazu, egal wo er herkommt." Der neue soziale Bezugsrahmen ist die Internatsfamilie, die auf dem Schloss lebenden Pädagogen und jeweils bis zu 12 Jugendliche, die gemeinsam kochen, Ausflüge unternehmen und die Herausforderungen des Alltags bewältigen. Nach Hause fahren die Schüler alle zwei bis drei Wochen und in den Schulferien, sonst findet das Leben auf dem Schloss statt. Der Abiturschnitt im Internat liegt trotzdem nur auf Landesniveau, andere Qualitäten würden dagegen überdurchschnittlich ausgeprägt, so Kleinen: "Vor allem die Konfliktfähigkeit, die ist wichtig fürs spätere Leben. Hier kann man anderen nicht aus dem Weg gehen - man trifft sich spätestens in der Bibliothek wieder."

Elite-Vorurteile entkräften

Kleinen, der vorher ein freies Gymnasium in Sachsen-Anhalt geleitet hat, sind die Elite-Vorurteile aus der Bevölkerung trotzdem unangenehm. Ab nächstem Jahr sollen Tagesschüler aus der Region dazu beitragen, Schloss und Schüler besser in Osthessen zu integrieren - für rund 950 Euro im Monat. "Früher hatten wir hier vor allem ein krasses Drogenproblem, das war auch weithin bekannt. Wir Schüler werden im Dorf immer noch komisch angeschaut, wenn wir einkaufen gehen. Und im Schloss-Partykeller 'Schopp' kann es passieren, dass der Lehrer mit dem Alkoholmessgerät kommt. Drogenmissbrauch und Gewalttätigkeit sind zwei sichere Möglichkeiten, aus dem Internat zu fliegen", erzählt Gräf.

Internatsleiter Andreas Stäblein, der selbst Erzieher in einer der Heimfamilien ist, lebt seit 2013 auf Schloss Bieberstein. Die Umstellung war für ihn anfangs eine Herausforderung: "Internat spielt im Lehramtsstudium absolut keine Rolle. Die Heimfamilien sind aber eine eigene Lebensform. In einer staatlichen Schule habe ich 300 Schüler die Woche vor mir, im Frontalunterricht. Hier dagegen kann ich an der Entwicklung eines Menschen teilhaben, den ich über Jahre begleite und unterstütze." Das enge Verhältnis zu den Heimeltern und Mitschülern sowie der durchgetaktete Tag mit vielfältigen Aktivitäten sorgen für eine innere Ordnung, meint Gräf: "Hier verwahrlost man nicht, das ist ein echter Vorteil."

Durchstrukturierter Alltag

Für Lehrer wie für Schüler beginnt der Tag im Internat um 7:30 Uhr - Frühstück im Speisesaal. Unterricht in Doppelstunden, eine Klasse hat maximal 15 Schüler, dann Mittagessen, darauf folgt ein weiterer Unterrichtsblock. Nach dem Abendessen kann die Freizeit frei gestaltet werden, ob durch die Angebote der Gilden, Sport oder gemütliches Beisammensein. Um 23 Uhr ist Nachtruhe, überwacht vom schlosseigenen Nachtwächter. Nicht nur der durchstrukturierte Alltag soll die Internatsschüler vorbereiten aufs spätere Berufsleben: Das Fach Wirtschaftswissenschaften wird als Leistungskurs unterrichtet und ist bereits in die Mittelstufe integriert.

Dementsprechend hoch ist die Studienanfängerquote für die Internatsschüler vom Schloss: "Die ist signifikant höher als bei staatlichen Schulen. Das ist auch so gewünscht von den Eltern. Wirtschaftswissenschaften, Jura und Medizin sind bei unseren Schülern die Favoriten", erklärt Kleinen. Wenn das Abi in der Tasche ist, heißt es Abschied nehmen, auch von den Ersatzeltern: "Abifeiern laufen nie ohne Tränen ab - gerade die letzte Familienrede ist immer sehr bewegend", erklärt Stäblein, der bereits "Internatsopa" geworden ist, weil ehemalige Familienkinder inzwischen selbst Eltern sind. Besuche bei früheren Familieneltern erfolgten häufig noch Jahre nach dem Abschluss, später organisieren sich die "Altbürger" über den Ehemaligenverein. (mau) +++

X