Florian Illies, Zauber der Stille
Literatur im Stadtschloss: Begegnung mit Maler des rücksichtslos Zukünftigen
Fotos: Jutta Hamberger / Anke Zimmer u Volker Feuerstein (Mediennetzwerk Osthessen)
18.04.2024 / FULDA - Florian Illies‘ Bücher stehen immer ganz oben auf den Bestseller-Listen. In seiner Begrüßung fragte sich Dr. Heiler – der an diesem Abend den Oberbürgermeister vertrat – wieso Illies eigentlich unter Sachbuch und nicht unter Belletristik gelistet sei. Die Antwort auf diese Frage lautet: Weil Florian Illies viel weiter ist als die Branche, der er so viele Erfolgserlebnisse beschert.
Leser lieben Autoren, die das Schwere leicht machen können. "Illies macht Themen populär, aber man sieht den Büchern nicht an, wieviel Arbeit in ihnen steckt", so Dr. Heiler, und das meine er als Kompliment. Im Falle Caspar David Friedrichs stellte Illies sich die Frage, ob nach 647 Büchern über den Maler auch er eines schreiben sollte. "Aber das war auch mein Ansporn. Als mir nämlich immer wieder nach wenigen Seiten die Lider schwer wurden, merkte ich, da passt etwas nicht zusammen. Alle Deutungsversuche Caspar David Friedrichs sprechen nur den Kopf an, der aber zielt auf Herz, Seele und Gemüt."
Der Maler aus der Zukunft
"Auf geheimnisvolle Weise bleiben einem Caspar David Friedrichs Bilder im Gedächtnis, und ich wollte wissen, warum ist das so? Wieso ist er wie Goethe Teil unserer DNA? Ich wollte wissen, warum dieses mit Dürer faszinierendste, intellektuellste und träumerischste Genie, das es in Deutschland je gab, uns fast 200 Jahre nach seinem Tod so fasziniert", so Illies.Der radikalste aller Maler
Am Beispiel des laut Illies berühmtesten Gemäldes des 19. Jahrhunderts – "Der Mönch am Meer" – verdeutlicht Illies nicht nur die Wirkung Friedrichs, sondern ganz nebenbei auch seine Erzähltechnik. Das 1810 entstandene Gemälde ist ein Selbstporträt und entfaltete ungeheure Wirkung. Die damalige Kunstszene verstörte es, denn die war heitere, idealisierte Landschaften mit viel sattem Grün gewohnt. In diesem Bild gibt es kein Fitzelchen Grün. Kunst sollte damals Antworten geben – dieses Bild aber stellt unendlich viele Fragen. Das überforderte.1810 sieht ein 15-jähriger Junge das Bild in Berlin und fleht seinen Vater an, es ihm zu kaufen. Der will nicht so recht, es sei doch für dieses zarte Alter viel zu melancholisch. Der Vater lässt sich aber überzeugen. Friedrich Wilhelm III., der konservativste König Europas, kauft das radikalste, modernste Gemälde dieser Zeit für seinen Sohn. Der hatte kurz zuvor seine Mutter verloren (die berühmte Luise) und war in tiefe Depressionen versunken. Vom "Mönch am Meer" fühlte er sich erstmals getröstet. Er trennte sich zeitlebens nicht von diesem Gemälde.
Ein Meistererzähler
Illies erzählt in Skizzen und Anekdoten vom Leben und Werk Friedrichs in vier Kapiteln. Jedem Kapitel hat er ein ikonografisches Gemälde zugeordnet: "Das brennende Neubrandenburg" (Feuer), "Das Eismeer" (Wasser), "Kreidefelsen auf Rügen" (Erde) und "Der Wanderer über dem Nebel" (Luft). Dabei kombiniert er immer wieder unerwartet und überraschend. Denn Illies erzählt nicht linear, sondern springt lustvoll durch die Jahrhunderte. So schafft er Verbindungen, die wir zuvor nie gesehen haben.Und wir lesen von unzähligen Friedrich-Bewunderern, zu denen z.B. Heinrich von Kleist, Richard Wagner, Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Friedrich W. Murnau, Leni Riefenstahl, Walt Disney, Kurt Vonnegut, Marcel Proust und Samuel Beckett gehörten. In all ihren Werken hinterlässt er Spuren. Auch im Dritten Reich wurde er bewundert – aus den falschen Gründen. Jeder deutsche Soldat bekam eine Feldpostausgabe mit Namen "Friedrich" mit – und die Botschaft, das sei es, was er im Osten zu verteidigen habe. Das gehört zum Deutungs-Firniss, den man von Caspar David Friedrich herunterschlagen muss, um ihm nahezukommen.
Das Geheimnis des Malers