Seit 70 Jahren

Elvis im Bierteigmantel: "Costa del Moos" ist Paradies für Dauercamper

Manfred und Ulrike Kleem aus Marburg
Fotos: Marius Auth

15.04.2024 / FREIENSTEINAU - Am Südhang des Vogelsbergs legten die Freiherren Riedesel im 16. Jahrhundert den Nieder-Mooser See an, um Fische zu züchten. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Idyll zum Ausflugsziel für Städter aus dem Rhein-Main-Gebiet und Fulda. Manche sind sesshaft geworden: Eine eingeschworene Gemeinschaft von Dauercampern hat den See seit 70 Jahren als zweites Zuhause.



Das verschwommene Schwarz-Weiß-Foto, das Gisela Meister aufbewahrt, zeigt einen jungen amerikanischen Soldaten, der auf einen Zettel schreibt, drei Mädchen lächeln freundlich, im Hintergrund ein VW Käfer und ein Zelt am See-Ufer. Als Elvis Presley während seiner Dienstzeit in der US-Armee dem Nieder-Mooser See 1959 einen Besuch abstattete, war der Campingplatz nur eine Wiese. Heute gibt es auf 30 Hektar Fläche 450 Dauerstellplätze und 120 Touristenstellplätze, die 30.000 Übernachtungen im Jahr generieren. Die Dauerstellplätze sind heiß begehrt: Ab 1.250 Euro im Jahr bekommt man rund 100 Quadratmeter Fläche, dazu fließend Wasser und Strom - und die Möglichkeit, seinen Wohnwagen oder sein Wohnmobil samt Vorbau das ganze Jahr hier abzustellen.


Günstige Alternative zum Ferienhaus

Über die Jahrzehnte ist am Ufer des Sees eine Camper-Kolonie entstanden, auch als günstige Alternative zum Ferienhaus: "Wir hatten 1969 die Idee, uns einen Wohnwagen zuzulegen, weil wir mit unserem kranken Sohn nicht so weit wegfahren konnten in den Urlaub. Die Campingplätze in der näheren Umgebung von Frankfurt haben damals alle abgewunken, als wir mit drei Kindern dort angekommen sind. Aber hier waren wir gleich willkommen", erklärt die 85-Jährige, die vor ihrem Ensemble aus Wohnwagen und Vorbau den Seeblick genießt. Seit 55 Jahren kommt Meister von Frankfurt am Main an den See gefahren, früher jedes Wochenende, jetzt noch rund 15-mal im Jahr.

"Meine drei Jungs sind hier groß geworden - und je größer sie wurden, desto mehr Fläche haben wir gebraucht. Der kleine Wohnwagen hat schnell nicht mehr gereicht, also haben wir mit Planen ein Vorzelt gebaut, erst provisorisch. Dann kam ein Vordach - und später haben mein Mann und ich das Vorzelt innen mit Holz ausgekleidet, ganz alleine. Der alte Chef vom Campingplatz, Heinrich Karl Heitzenröder, war da sehr kulant. Auch die Küchenmöbel haben wir selbst gezimmert."


Je Ufer, desto besser

Heitzenröder hatte die Zeichen der Zeit erkannt: Aus Fulda, selbst aus dem Rhein-Main-Gebiet, kamen die Menschen in den 1950er-Jahren an den Nieder-Mooser See, um Erholung zu suchen. Der Landwirt, der Wildcamper zuerst noch verjagt hatte, schuf einen Campingplatz und die dazugehörige Infrastruktur. Die Preise für Dauerstellplätze waren billig, auf vielen entstanden über die Jahre schrebergartenähnliche Ensembles, die auch längere Aufenthalte ermöglichen.

Einen Dauerstellplatz nahe am Ufer zu bekommen ist wie ein Lottogewinn: Dietmar Jung aus Ortenberg im Wetteraukreis wohnt wenige Meter weiter im Viertel der Alteingesessenen und hat sich über die Jahre an die begehrte Lage herangearbeitet: "Ich hatte einen ganz schönen Platz wenige Straßen weiter oben. Vor sieben Jahren habe ich dann durch Zufall mitbekommen, dass hier etwas frei wird. Und das bestehende Ensemble aus Vorbau und Wohnwagen hat nur 8.000 Euro gekostet - ein echter Schnapper. Klar, ein Schrebergarten wäre günstiger - aber da muss man Obst und Gemüse anbauen und hat jede Menge Auflagen." Im großräumigen Vorbau finden sich nicht nur Küche und Sitzgruppe, sondern auch genug Stauraum. Gute Dämmung und Heizung ermöglichen einen ganzjährigen Aufenthalt am See, gewachsene Freundschaften sorgen für gute Laune.

Von der Gemeinschaft der Dauercamper und langen Abenden in der momentan geschlossenen Gastwirtschaft erzählt auch Meister: "Die Kneipe war immer der Treffpunkt. Wer angereist kam, hat sich dort bei den anderen angemeldet, das war ein großes Hallo. Außerdem gab es dort Hähnchen im Bierteigmantel, die waren sensationell. Aber das Rezept hat Erna Heitzenröder leider mit ins Grab genommen."


Dauercamper und Touristen

Den Dauercampern gegenüber stehen die Touristen. Die kommen hauptsächlich aus einem Umfeld von 100 Kilometern fürs Wochenende an den See, um sich von der Arbeitswoche zu erholen, und stellen Wohnwagen, Wohnmobil oder Zelt ab, möglichst in Ufernähe. Wenn der Platz es erlaubt: Heiko Paries aus Neuhof im Landkreis Fulda fährt mit seinem Riesen-Reisemobil um die Ecke, das Monstrum erregt gleich Aufmerksamkeit. Auf neun Metern Länge hat der "Globetrotter XXL i" alle Annehmlichkeiten inklusive Geschirrspüler und komfortablem Bad sowie Satellitenschüssel untergebracht, der Hightech-Camper ist vollkommen autark:

"Wir fahren normalerweise auf Stellplätze statt auf Campingplätze - weil wir die ganzen Einrichtungen wie ein Waschhaus gar nicht brauchen. Zu zweit kann man hier drin auch dauerhaft leben - aber die Arbeit erlaubt es nie, länger als drei Wochen am Stück Urlaub zu nehmen. In den Vereinigten Staaten sind solche großen Reisemobile normal, hier noch nicht. Aber Corona hat einen echten Boom gebracht, durch den leider auch die Preise explodiert sind." 220.000 Euro kostet der "Globetrotter" neu.


See als Mehrwert

Andere müssen sich mit weniger Platz begnügen: Manfred und Ulrike Kleem aus Marburg haben ihr kleines Reisemobil erst seit zwei Jahren, gebraucht gekauft. Trotzdem ist Manfred Kleem alter Hase: "Ich war früher mit dem Camper viel in Alaska unterwegs. Wir sind jetzt bereits zum vierten Mal am Nieder-Mooser See - weil er so nahe ist und weil man hier gut angeln kann: Zander, Hecht, Schleie, Karpfen - mit einer Tageskarte kann's losgehen." Nur von Mittwoch bis Sonntag bleiben Kleems, dann geht es schon wieder nach Hause.



Der See spielt für die meisten Camper eine große Rolle, nicht nur wegen der schönen Aussicht. Surfen, Segeln, Kajakfahren und Stehpaddeln erfreuen sich ebenso großer Beliebtheit wie das Tretbootfahren. Am Ufer richtet Stefan Rohde den Katamaran für die Saison her: "Die Surfschule gibt es schon seit mehr als 25 Jahren - ab Ostern ist hier richtig Betrieb. Corona hat dem Campingplatz einen echten Boom beschert - früher gab es freie Plätze, die sind jetzt mit Wartelisten teilweise über Jahre ausgebucht." Obwohl der See schon immer Camper angelockt hat, gehört er erst seit 1997 auch offiziell zur "Costa del Moos": Erst da erwarb die Inhaber-Familie Heitzenröder den 30 Hektar großen See von Riedesels. (mau) +++

X