Die Jüdischen Mietparteien

Ein exemplarischer und lehrreicher Spannungsbogen

Froh, stolz und zufrieden – so könnte man die Gemütslage von Ingeborg Kropp-Arend und Klaus H. Orth in diesen Tagen beschreiben: Ihr Buch „Die Fuldaer Rabbiner-Villa“ ist nach fünfjähriger Recherchearbeit endlich erschienen
Fotos: Jutta Hamberger

15.03.2024 / FULDA - In dieser Woche ist das Buch "Die Fuldaer Rabbiner-Villa" erschienen. "Man sagt nichts Wesentliches über den Dom aus, wenn man nur von seinen Steinen spricht" – mit diesem Ausspruch Antoine de St. Exupérys begrüßte Oberbürgermeister a.D. Gerhard Möller die zahlreich erschienenen Gäste. Am heutigen Abend standen die jüdischen Mieter, die in der Rabbiner-Villa gelebt hatten, im Mittelpunkt. Das Kanzlerpalais platzte schier aus allen Nähten, so groß war das Interesse an diesem Vortrag.


Das historische Vakuum mit Leben füllen

Die Kooperation von Geschichtsverein, Stadt Fulda und Ingeborg Kropp-Arend mit ihrer Reihe "Fremde Nachbarn" sei etwas ganz Besonderes, so Gerhard Möller, denn hier manifestiere sich auch gesellschaftliches Engagement. In ihrer Einführung griff Ingeborg Kropp-Arend diesen Gedanken auf: "Ich habe mich immer gefragt, wie kann man das historische Vakuum mit Leben erfüllen, wenn der letzte Zeitzeuge verstorben ist? Meine Antwort auf diese Frage ist einerseits die von mir initiierte Vortragsreihe, und andererseits dieses Buch, das nach fünfjähriger Forschungsarbeit nun erschienen ist."

Um die "Steine" der Rabbiner-Villa ging es an diesem Abend nur am Rande. Und doch muss man ein paar Worte über sie verlieren. Dr. Michael Cahn wählte sich keinen Geringeren als den in Fulda renommierten Architekten Karl Wegener als Bauherrn. Diese Wahl genauso wie die Villa, die er sich bauen ließ, zeigen: Die Villa war auch ein Symbol seiner gesellschaftlichen Stellung. Der Provinzial-Rabbiner war angesehen und voll integriert in die Fuldaer Gesellschaft. Er genoss Respekt für seine berufliche Leistung, für sein gesellschaftliches und sein soziales Engagement. Die Villa ist sehr groß und war von vornherein darauf ausgelegt, auch Mieter aufzunehmen. Dr. Cahn konnte sicher sein, solvente Mieter zu finden, dafür sprach schon die gute Ausstattung der Wohnungen mit Bad und WC, damals keine Selbstverständlichkeit.

Als die Juden noch dazugehörten

Zehn Jüdische Mietparteien werden im Buch vorgestellt, vier davon stellten Klaus H. Orth und Ingeborg Kropp-Arend in ihrem Vortrag vor. Sie waren Handwerker, Kaufleute und Banker – Leistungsträger. Erfolgreich in ihren Berufen, engagiert in der Fuldaer Gesellschaft von Politik bis Sozialwesen, sie dienten in der Armee und wurden mit Orden geehrt. Keiner von ihnen wäre vor 1933 auf die Idee gekommen, dass er nicht mehr dazugehöre. Die Fotos zeigen distinguierte Herren mit ihren vornehm gekleideten Ehefrauen, Porträts, wie sie typisch sind für die feine Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In der Rabbiner-Villa wohnten keine armen Leute, hier lebte der gehobene Mittelstand, der es auch zu einigem Wohlstand gebracht hatte.

Der Kaufmann Oskar Nussbaum besaß ein Spezialgeschäft für Lederwaren. Nussbaum gehörte zum liberalen deutschen Judentum und war politisch aktiv in der DDP, der Deutschen Demokratischen Partei. Die DDP galt als wirtschaftskompetente Partei und hatte viele nicht-katholische Mitglieder (Protestanten und Juden) – im erzkatholischen Fulda eine Besonderheit.

Der Bankier Sally Bacharach war Bankdirektor der Fuldaer Filiale der Dresdner Bank. "In der damals blühenden und stark sich ausweitenden Textilindustrie, wie sie vornehmlich durch die beiden großen Fabriken Val. Mehler und die Fuldaer Filzfabrik repräsentiert wurde, spielte er eine viel beachtete Rolle und verfügte (…) über einen großen Einfluss in der gesamten heimischen Wirtschaft in und um Fulda" (Zitat aus dem besprochenen Buch). Auch Bacharach war Mitglied in der DDP und zog als Abgeordneter in die Fuldaer Stadtverordnetenversammlung ein.

Klara Nussbaum, genannt ‚Klärchen‘, die Frau des Kaufmanns Meier Nussbaum, setzte sich besonders für Kinder aus ärmeren Familien ein. Sie war Vorsitzende des Kuratoriums des Israelitischen Kinderartens und erbat regelmäßig vom Magistrat Zuschüsse für die Institution. 1927 zog der Kindergarten in die Rabbiner-Villa um – vermutlich in die Räumlichkeiten im Erdgeschoss. 1933 musste er schließen. Dazu schreiben Otto Berge und Dr. Naftali Herbert Sonn, dies sei die erste Sozialinstitution gewesen, die Opfer der Nazi-Herrschaft in Fulda wurde.

Der letzte Mieter war Eduard Stiebel, er bezog erst 1937 die Rabbiner-Villa – und es sollte seine letzte Fuldaer Adresse sein. Stiebels Frau Frieda stammte aus Rhina, man unterhielt ein Spezialgeschäft für feine Herrenschneiderei.

Vertreibung, Entrechtung, Tod oder Auswanderung

Hier lebten Fuldaer Juden: Friedrichstrasse. Ohmstrasse. Bahnhofstrasse. Von-Schildeck-Strasse. Heinrichstrasse. Marktstrasse. Mittelstrasse und Rhönstrasse. Dem gegenüber steht eine zweite Namensreihe: Buchenwald, Theresienstadt, Riga, Westerborg, Sobibor und Auschwitz. Und noch eine dritte Namensreihe gibt es: Palästina, Schweiz, Florenz, USA, Großbritannien, Niederlande, Schweden und Frankreich.

Leben – Vertreibung und Ermordung – Auswanderung: Das ist der Spannungsbogen dieses Buchs. Die Geschichte der Fuldaer Rabbiner-Villa steht so auch exemplarisch für die Schicksale der Fuldaer Juden. Prof. Dr. Andreas Wirsching, den Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, schrieb dazu in seinem Geleitwort: "Umso wichtiger ist die Erinnerung – Erinnerung eben nicht nur an die nationalsozialistische Judenverfolgung und den Holocaust, sondern auch und ganz besonders an das jüdische Leben in Deutschland vor 1933. Es gehört zu den wundervollen Stärken dieses Buchs, dass diese Erinnerung am Beispiel des konkreten Orts der Fuldaer Rabbiner-Villa beides umschließt." (Jutta Hamberger) +++

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