Die Fuldaer Rabbiner-Villa

Von-Schildeck-Straße 12: Ein Haus, das Geschichte und Geschichten erzählt

Das Buch über die Fuldaer Rabbiner-Villa erzählt die Geschichte eines Hauses und seiner Menschen. Von links nach rechts: Verleger Dr. Michael Imhof, Autor Klaus H. Orth, Herausgeberin Ingeborg Kropp-Arend, Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld und Kulturamtsleiter Dr. Thomas Heiler
Fotos: Martin Engel

13.03.2024 / FULDA - Wer am Haus Nr. 12 in der von-Schildeck-Straße vorbeifährt und einen Blick auf die prächtige Villa wirft, hat sich vielleicht das ein oder andere Mal gefragt, wem sie gehört und welche Geschichte dieses Haus hat. Ein Schild am Haupteingang informiert darüber, dass dies einst die Rabbiner-Villa war. Heute nun wurde ein Buch vorgestellt, das die Geschichte des Hauses und der Menschen, die darin lebten, dokumentiert.



Steinerner Zeitzeuge der reichen fuldisch-jüdischen Geschichte

Ob nun der Zufall oder Bonifatius selbst bei der Wahl des Datums Regie führte, ist nicht bekannt. Sicher ist hingegen, dass am 12. März 744, also vor genau 1280 Jahren, das Kloster Fulda gegründet wurde. Ein bedeutsames Datum also für die Vorstellung eines Buchs mit weitreichender historischer Bedeutung!

Die Rabbiner-Villa ist eines von wenigen historischen Gebäuden, das sich als Zeugnis jüdischen Lebens in Fulda erhalten hat. Erbaut wurde sie 1902/1903 im Stil des Historismus für den Fuldaer Provinzial-Rabbiner Dr. Michael Cahn. Sie erinnert an die fuldische Rabbinerfamilie und die hiesige jüdische Gemeinde, ihre Bedeutung strahlt aber weit über Fulda hinaus. Denn Fulda war einst ein zentraler Ort des orthodoxen Judentums in Deutschland.

Die Cahns gehörten zum gutbürgerlichen Mittelstand, sie fühlten sich als Deutsche und als Fuldaer. Wie alle Juden wurden sie ab 1933 von den Nationalsozialisten ‚aussortiert‘ – in einem steten Prozess zunehmender Entrechtung und brutaler Entmenschlichung. Sie stehen "exemplarisch für all jene deutschen Juden, die bereits deutlich vor der Zäsur der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 die Aussichtslosigkeit ihres Bleibens durchschauten", so Prof. Dr. Andreas Wirsching, der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in seinem Vorwort. Als orthodoxen Juden sei ihnen die "überlebensnotwendige aktive Abkehr von ihrem Vaterland" womöglich leichter gefallen als liberaleren Juden, die sich lange nicht vorstellen konnten oder wollten, dass dieses Deutschland nicht mehr ihre Heimat sein sollte. Die Cahns bereiteten ihre Auswanderung von langer Hand vor, 1938 gelang ihnen die Flucht nach Palästina. Heim und Vermögen aber waren verloren.

Ort der Erinnerung und der Begegnung

Die Nationalsozialisten beendeten 1.000 Jahre reicher jüdisch-deutscher Geschichte. Prof. Dr. Andreas Wirsching nennt dies einen "Aderlass, der einer aggressiven Selbstverstümmelung der eigenen Geschichte" gleiche, dessen Folgen bis heute schmerzlich spürbar seien. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es bald keine lebenden Zeitzeugen mehr geben wird, wird klar, wie bedeutsam authentische Orte und Gebäude fürs Erinnern und Verstehen sind. Erinnern sei selbstverständlich Sache einer Stadt oder des Staates, aber sie sei eben auch ein gesamtgesellschaftliches Thema, so Oberbürgermeister Dr. Wingenfeld in seiner Begrüßung. "Vor dem Antisemitismus darf man nicht zurückschrecken."

Seit 2015 ist die Villa im Besitz von Ingeborg Kropp-Arend, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, das Haus als Erinnerungs- und Begegnungsstätte zu pflegen. Dafür hat sie u.a. die Reihe "Unbekannte Nachbarn – Gespräche zum Jüdischen Fulda" initiiert, die regelmäßig in der Rabbiner-Villa stattfinden.

Lebenslinien und Schicksale

In ihrem Grußwort sagte eine sichtlich bewegte Ingeborg Kropp-Arend, dass ihr lange nicht bekannt gewesen sei, wer außer der Rabbiner-Familie Cahn noch in dem Haus gelebt habe. "Das wollte ich unbedingt wissen, weil ich an Menschen und ihren Biografien großes Interesse habe. Aber auch über die Architektur, den Architekten und die Bauausführung des Hauses, das unter Denkmalschutz steht, wünschte ich mir mehr Informationen."

Man geht deshalb sicher recht in der Annahme, dass das heute vorgestellte Buch auch ein Geschenk an sich selbst ist – vor allem aber ist es eins für alle Fuldaer Bürger und Bürgerinnen, die sich für die Geschichte ihrer Stadt interessieren. Als Herausgeberin hat Ingeborg Kropp-Arend gemeinsam mit Autor Klaus H. Orth ein Stück jüdisch-fuldischer Geschichte aus der Dunkelheit geholt. Rabbiner-Villa – das ist von heute an nicht mehr nur eine Bezeichnung, sondern ein Stück lebendige Fuldaer Geschichte. Auch die Geschichte des Hauses nach 1938 dokumentiert das Buch – mit wechselnden Besitzverhältnissen einerseits und der leidvollen und von vielen bürokratischen Hindernissen begleiteten ‚Wiedergutmachung‘ für die Familie Cahn andererseits. Wie wenig angebracht dieser Begriff ist, kann man im siebten Kapitel "Zur Geschichte des Hauses nach 1938" nachlesen.

Nicht nur das Haus und die Rabbiner-Familie werden in diesem Buch beleuchtet, es geht auch um die Lebenslinien der Menschen, die als Mieter in der Rabbiner-Villa wohnten. Damit "spiegelt es im Kleinen die ganze Barbarei des Holocaust wider". Das war möglich, weil das Fuldaer Archiv mit seinen Meldekarten, Adressbüchern, Geburts-, Heirats- und Sterberegistern einen fast vollständigen Einblick in die so wechselvolle Geschichte der Bewohner dieses Hauses erlaubt.

Wen dieser Aspekt der Rabbiner-Villa besonders interessiert, dem sei eine Veranstaltung der Reihe "Unbekannte Nachbarn" ans Herz gelegt: Am 14. März um 19:00 Uhr findet im Kanzlerpalais eine Veranstaltung des Fuldaer Geschichtsvereins statt: Im Vortrag "Familien, Schicksale, Lebenslinien" erzählen Klaus H. Orth und Ingeborg Kropp-Arend von den jüdischen Mietern in der Rabbiner-Villa. (Jutta Hamberger)+++

X