David gegen Goliath?
Industrie zwingt Start-up: Obstbauer Jestädt muss "Nosecco" vom Markt nehmen
Foto: Tobias Farnung
08.03.2024 / FULDA -
Es klingt ein wenig wie David gegen Goliath. Obstbauer Christoph Jestädt aus Fulda hat ein Getränk auf den Markt gebracht – und sich damit den Ärger der Prosecco-Industrie eingehandelt. Sein alkoholfreier Secco braucht nun einen neuen Namen.
Es passiert ihm nicht oft. Aber diesmal war Christoph Jestädt tatsächlich sprachlos. Der Gründer des Start-ups Wiesenkiez aus Fulda bekam im Januar einen Brief einer großen Anwaltskanzlei aus München. Der Inhalt war deutlich: "Die Secco-Industrie hat uns vorgeworfen, den Schutz der Bezeichnung Prosecco zu verletzen", sagt Jestädt, der den traditionsreichen Hannheinehof in Niederrode seit 2016 in zehnter Generation führt. Die Botschaft: Benennt er sein Getränk "Nosecco" nicht ganz schnell um und löscht den Namen aus dem Patent- und Markenregister, werde man sich vor Gericht treffen. Jestädt knickte ein, "Nosecco" ist damit nun Geschichte.
Mehr als 300 Produkte von 30 heimischen Erzeugern bringt er auf diesem Weg bereits in den Einzelhandel in der Region. Zudem gründete er mit "Wiesenkiez" eine Marke, unter deren Namen er eigene Schorlen, Apfelschaumweine und Aperitifs aus seinem Streuobst produziert und verkauft. Das Problem: "Klassische regionale Fruchtsäfte haben es aufgrund der Billigkonkurrenz – besonders aus Fernost – mittlerweile sehr schwer am Markt", sagt Jestädt, der sich auch im Vorstand der Rhöner Apfelinitiative engagiert. So hätten vor allem kleine Keltereien in der Region aktuell sehr zu kämpfen.
Name schweren Herzens gelöscht
Das Getränk verkaufte sich "sehr gut", wie der Unternehmer sagt. Bis dann im Januar das Anwaltsschreiben eintrudelte. Die Juristen handelten im Auftrag des "Consorzio di tutela della denomininazione di origine controllata prosecco" – des italienischen Konsortiums, unter deren Dach sich die Prosecco-Industrie vereint. Sein Name verletze den Schutz der Bezeichnung Prosecco, und er habe seine Marke sofort aus dem Markenregister zu löschen. "Ich habe versucht, eine gütliche Einigung zu finden. Aber mit der Gegenseite war nichts zu machen", sagt er.
Er überlegte, ob er es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen solle. "Das hätte aber von vornherein mindestens 30.000 Euro an Anwaltskosten nach sich gezogen und jede Menge Zeit gekostet", sagt Jestädt. Geld und Zeit, die er lieber in seine Streuobstwiesen und Getränke investiert. "Also bin ich schweren Herzens eingeknickt und habe die Marke löschen lassen", sagt er. "Leider war es mal wieder so, dass die Industriekonzerne am längeren Hebel sitzen und wir mit unserem regionalen und nachhaltigen Streuobstkonzept in generell schon schwierigen Zeiten das Nachsehen haben", sagt der Fuldaer ernüchtert.
Für ihn geht es aktuell darum, eine Lösung zu finden, dass er die rund 4000 Flaschen "Nosecco", die er abgefüllt und etikettiert noch im Lager hat, trotz des Rechtsstreits noch verkaufen darf. "Alles andere wäre ja auch Wahnsinn." Und parallel dazu ist er bereits dabei, unterstützt durch die Social-Media-Nutzer, einen neuen Namen für seinen alkoholfreien Secco zu finden.
Zur Person
Eigentlich hatte er gar nicht vor, den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen: In Würzburg studierte er Deutsch und Theologie auf Lehramt. "Während meiner Promotion in Theologie", erzählte er einmal, "habe ich unseren Hof übernommen und die Direktvermarktung, die ursprünglich nur als Finanzierung der Promotion gedacht war, erheblich ausgebaut." Bereits in zehnter Generation führt er seitdem den Hannheinehof in Niederrode. 2019 gründete er das Start-up Wiesenkiez für Produktion und Vermarktung regionaler Lebensmittel. Auf Anhieb wurde er damit Zweiter beim Hessischen Gründerpreis 2020 in der Kategorie "Zukunftsfähige Nachfolge".
Jestädt vermarktet unter anderem den Saft der Rhöner Apfelinitiative, über die etwa 1000 Streuobstwiesenbesitzer aus der ganzen Rhön biozertifiziert sind. Das wohl bekannteste Produkt von Jestädt ist die Weinschorle "Lieber Schorli", auf deren Etikett der Wiedehopf zu sehen ist. Als Mitglied der Beerenobstgemeinschaft Rhön-Vogelsberg ist er auch das Gesicht von deren Stand am Fuldaer Weihnachtsmarkt, der im vergangenen Jahr als "schönste Hütte" ausgezeichnet wurde. Jestädt ist vielseitig engagiert, so veranstaltet er jährlich auf seiner eigenen Streuobstwiese in Niederrode das Kurzfilmfestival Wiesenflimmern. Er ist außerdem Vorsitzender des Vereins "Freunde des Frauenbergs", der sich für den Erhalt des Klosters in Fulda einsetzt. (Mediennetzwerk Hessen, Tobias Farnung) +++