Gespräch mit Grünem MdB Boris Mijatovic

"Fulda ist die Stadt der Chancen und der Innovation"

Grünen MdB Boris Mijatovic in seinem Fuldaer Wahlkreisbüro
© Nico Zöller, Wahlkreisbüro Boris Mijatovic

03.03.2024 / REGION - Fulda kennt er und war schon oft hier. Begeistert besucht er die Fußballspiele im Stadion, geht zu Unternehmen, Verbänden, Handwerksbetrieben und Start-ups. Fulda und die Menschen hier sind ihm ans Herz gewachsen. Jutta Hamberger traf den grünen Bundestagsabgeordneten Boris Mijatovic zu einem Gespräch in seinem Fuldaer Wahlkreisbüro.



I. Fulda war meine erste Wahl

O|N: Ihre Heimat ist Kassel.

Boris Mijatovic (BM): "Ich bin im Kasseler Stadtteil Niederzwehren aufgewachsen. Später sind wir nach Kassel Helleböhn umgezogen. Aber meine Standardantwort auf die Frage, woher kommst Du, ist immer: Aus den Städtischen Kliniken."

O|N: Was bedeutet Fulda für Sie?

BM "Ich habe mir diesen Wahlkreis mit gutem Grund ausgesucht und bin sehr froh, dass ich für Fulda zuständig sein darf. In Fulda hat man 1989 die Lage mitten in Deutschland sofort verstanden, die Initiative ergriffen und investiert – etwas, was wir in Kassel leider versäumt haben. Hier gibt es wunderbare Geschichten, etwa die vom aufmüpfigen Königreich Flieden. Ich bewundere den Einsatz, den viele hier für ihre guten Ideen erbringen: Die Antonius-Stiftung. Die Hochschule und ihre Entwicklung. Die Tegut-Märkte. In Fulda werden Chancen gesehen und genutzt. Das verbunden mit dem konservativen Element ist für mich typisch Fulda. Mir gefällt das Geschichtsbewusstsein der Menschen hier. Hier ist man stolz auf seine Stadt, auf seine Region und die Produkte, die hier entwickelt werden. Ich schwöre zum Beispiel auf Rhönwolle, es gibt nichts Besseres zum Düngen. Fulda wächst in Kassel auf meinem Balkon!"

II. Fußball und Menschenrechte

O|N: Sie sind ein großer Fußballfan und waren schon einige Male im Fuldaer Stadion.

BM: "Stimmt – ein Gruß an die Fuldaer Fans, in Fulda gibt es nur eine Borussia –ich mag die Fuldaer Fanszene sehr! Die Fahrten nach Fulda und ins Stadion sind immer schön! Fußball ist etwas, was mich mit Michael Brand, MdB verbindet: wir sind beide große Fans des 1. FC Köln, auch wenn wir das etwas verschieden ausleben!"

O|N: Sie haben in Kassel mit Streetbolzer einen Straßenfußball-Verein gegründet, in dessen Vorstand Sie heute sitzen.

BM: "Ja, 2009 war das, in Fulda gibt es mit dem SV Aschenberg United im Straßenfußball ein ähnliches Projekt. Mit ihnen verbindet uns ein regelmäßiger Austausch. Mich erdet die Arbeit mit jungen Menschen, ob nun beim Fußballspielen, bei Schulungen oder in der Ausbildung."

O|N:  Sie arbeiten im Ausschuss für Menschenrechte. Warum fiel die Wahl auf diesen Themenbereich?

MB: "Ich wollte mich wieder mit dem beschäftigen, was ich im Studium gemacht habe – empirische Kriegsopfer-Forschung: Was passiert mit ‚normalen‘ Menschen, mit Zivilopfern im Krieg? In einem "Tatort" gibt es eine, vielleicht zwei Leichen, dann sucht man Motiv und Täter. Bei 1.000 Leichen ist das Motiv relativ klar, es geht um Auslöschung, Eroberung und Vernichtung. Du suchst die Verbrechen und Wege, die das genommen hat, die ‚Chain of Command‘: Wer hat wem befohlen, die Stadt zu belagern, das Dorf abzubrennen, die Frauen zu vergewaltigen?"

O|N:  Hören Sie manchmal Sätze wie ‚Warum arbeitest Du für die Leute in aller Welt und nicht für uns‘?

BM: (nickt heftig) "Klar, sehr oft. Ich sage dann: In Deutschland gibt es Sozialpolitiker, die sich für die einsetzen, die Hilfe brauchen. Ich setze mich für die ein, um die sich keine Sozialpolitiker kümmern."

O|N:  Das Thema Menschenrechte ist ja auch nicht gerade unwichtiger geworden.

BM: "Es wäre wunderbar, wenn dieser Ausschuss weniger heftige Ereignisse diskutieren müsste. Aber humanitäre Krisen und bewaffnete Konflikte nehmen zu. (Er zieht ein kleines Büchlein aus der Tasche und gibt es mir). Das ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, es gibt sie seit 75 Jahren. Die 30 Artikel sind die Basis unserer Arbeit. Und bei allen Diskussionen, die wir führen, habe ich doch den Anspruch: Auf die Menschenrechte können wir uns alle einigen. Auch in Deutschland haben wir da noch Aufgaben zu erledigen."


III Respektvoll miteinander reden oder draufhauen

O|N:  Michael Brand ist hier im Wahlkreis bestens vernetzt. Welche Akzente werden Sie setzen?

BM: "Ja, da hat er mindestens vier Runden Vorsprung (grinst). Mir ist wichtig: es geht nicht darum, ‚gegen‘ Michael Brand zu arbeiten, weil es in meinen Augen keine Definition guter Politik ist, nur gegen etwas oder jemand zu sein. Wir beide haben unsere Themen, manchmal sind wir uns nah, meistens weniger. Aber wir beide sind Demokraten. Klar streiten wir auch mal für unterschiedliche Interessen, aber es muss immer eine Basis geben. Und die heißt Grundgesetz."

O|N: Dann reden wir doch mal über Kommunikation. Gehört Draufhauen inzwischen zum politischen Repertoire?

BM: "Nein. Wenn Politiker nicht respektvoll miteinander umgehen, wie kommt es dann bei den Leuten draußen an, wenn wir sagen, geht mal bitte respektvoll miteinander um? Die Reaktion wird sein: Du hast aber – dann darf ich das auch. Bloß: Wir sind nicht permanent im Fußballstadion. Und selbst da ist nicht alles erlaubt. Ich finde, wir sollten keine schlechten Vorbilder sein. Es ist gut, dass die Grünen in diesem Wettbewerb nach unten nicht mitmachen."

O|N: Was im Stadion im Überschwang der Emotionen gerade so noch geht, geht eben nicht, wenn man offiziell als ‚Politiker‘ auftritt.

BM: "So ist es. Du kannst im Stadion auch mal ausrasten, aber wenn Du bundesweit auf Sendung bist, geht das nicht. Ich bin als MdB auch für einen bestimmten Habitus und für ein bestimmtes Verhalten gewählt – und das gilt für jeden mit einem politischen Amt."

IV Die Folgen eines AfD-Verbots

O|N: Wie ist Ihr Standpunkt zur Frage ‚AfD verbieten‘?

MB: "Leute gehen zur AfD, weil sie enttäuscht sind und sich betrogen fühlen – vom Telefonanbieter bis zur Autoversicherung, dem Kauf im Internet oder dem Mietvertrag. Sie glauben nicht mehr an das System, sie meinen, jeder schaue nur auf den eigenen Vorteil, sie finden, jetzt sei Payback-Time. Die AfD spielt auf dieser Klaviatur: Sie kehrt die Beförderung des eigenen Vorteils massiv nach außen, in einer Form, die längst den demokratischen Boden verlassen hat."

O|N: Enttäuschungen erlebt jeder, damit muss man umgehen lernen.

BM: "Ja, aber viele AfD-Wähler machen alle dafür verantwortlich, die ihr Problem nicht haben, nicht darüber reden oder dieses Problem für sich gelöst haben. Die AfD bündelt diese Enttäuschungen und erfindet Schuldige. Schuld sind immer andere. Aber unser Land funktioniert nur, wenn wir alle miteinander arbeiten und nicht gegeneinander.

Die AfD bedient das Bild, die Enttäuschten abzuholen. Die Leute glauben, sie seien die einzigen, die arbeiten und den Laden am Laufen halten. Das zu durchbrechen, ist sehr schwer. Und Politikern zu unterstellen, sie machten alles nur für den eigenen Vorteil, stimmt einfach nicht – aber genau damit punktet die AfD."

O|N: Zurück zur Frage des AfD-Verbots.

BM: "In meiner Brust schlagen zwei Herzen. Es gibt genügend Argumente dafür, diese Partei zu verbieten. Allein schon der Volksbegriff des Grundgesetzes unterscheidet sich fundamental von dem, was die AfD darunter versteht. Ich glaube, die Chancen, das Verfahren zu gewinnen, stehen hoch. Hier geht es um Leute, die das, was wir in 70 Jahren aufgebaut haben, grundlegend verändern, ja zerstören wollen – unser Zusammenleben, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Gesellschaft nicht an die Falschen verlieren."

O|N: Das klingt nach Ja und Nein…

BM: "Wenn wir jetzt ein Parteienverbot einleiten und schnell sind, dauert das sechs Monate. Das würde die Wahlkämpfe dieses Jahres überlagern, dann wäre nur noch die AfD Thema. Dann kommt das Verfahren in Karlsruhe – eine zügige Prüfung dauert zwei Jahre. In meinen Augen kann der Angriff auf die Grundordnung belegt werden, die Chancen, das Verfahren zu gewinnen, stehen gut.

In der Zeit sammelt die AfD Geld, damit sie sich nach dem Verbot neu aufstellen kann. Sie heißt dann anders und macht denselben Mist. Ja, mit einem Verbot unterbrichst du die Strukturen, den Organisationsgrad und die Welle, auf der die AfD gerade segelt, und du ziehst auch Grenzen – all das ist wichtig. Aber reicht das, um den Unmut zu begrenzen? Ich finde, man muss alle Argumente bedenken, sacken lassen, und dann entscheiden. Ich überlege noch."

O|N: Gibt es andere, wirksamere Methoden, die AfD zu stellen?

BM: "Einen Pudding an die Wand zu nageln, gelingt nicht immer. Im europäischen Kontext sehen wir, dass wir nicht das einzige Land mit einem rechtsextremen Problem sind. Die Frage muss immer sein: Wieviel Veränderung betreiben wir, nehmen wir die Leute noch mit, haben sie Gefühl, dass sie Veränderung mitgestalten können oder geraten sie unter Druck. Viele Leute haben Veränderungen erlebt, die mit enttäuschten Versprechungen einher gingen."


V Politik und Politikverständnis

O|N: Wie kann man Menschen für Veränderungen gewinnen?

BM: "Ich frage immer, wo steht ihr eigentlich, was ist euer Anknüpfungspunkt. Junge Leute hole ich über den Fußball ab: Wenn ihr euch prügelt, könnt ihr nicht mehr kicken. Wenn ihr das so haben wollt, ist das Spiel vorbei – entscheidet euch. Und ich gehe einen Schritt weiter. Eine Gesellschaft, die Spaß an Konsum hat, muss sich auch überlegen, woher der Konsum kommt. Du willst doch nicht in Turnschuhen spielen, an denen das Blut aus Zwangsarbeit oder von Kinderhänden klebt."

O|N: Warum hört man so oft den Vorwurf, die Grünen seien ideologisch?

BM: "Weil wir Grüne eben viele Ideen haben und die auch ganz praktisch umsetzen. Idee und Ideologie hängen etymologisch ja zusammen. Ich glaube, manche Leute haben Angst, dass wir aus unseren Ideen Politik formulieren und das dann angehen – und dabei manchmal zu schnell sind. Aber eines stimmt schon, wir sind an manchen Stellen arg fundamental und rigoros, da kann man wirklich mehr Luft lassen."

O|N: Man kann den Eindruck gewinnen, dass viele Menschen Politiker als Dienstleister betrachten – man bestellt, die liefern.

BM: "Und aus enttäuschtem Service entsteht oft Unzufriedenheit. Nur: Du kannst als Politiker nicht alles wissen, nicht überall präsent sein. Und es kann doch nicht sein, dass es automatisch bedeutet, dass man einen schlechten Job macht, wenn man eingesteht, etwas nicht zu wissen. Dieses Absolute schreckt ab. Es gibt es keine Partei, die zu 100 Prozent passt. Ich sage immer: Geht hin, schaut die Menschen an, die diese Partei ausmachen. Am Ende des Tages kommt es darauf an, mit wem ihr Stunden in einer Sitzung verbringen, Themen diskutieren oder Plakate kleben wollt und wo euch Kultur und Atmosphäre wirklich ansprechen."

O|N: Wie entspannt Boris Mijatovic von Politik?

BM: "Durch Gespräche und Zeit, die ich mit meiner Frau verbringe. Wir reden auch über Politik. Sie ist selbständig und hat einen intensiven Arbeitstag, wir tauschen uns also auch über das aus, was bei ihr betrieblich läuft. Wir sind auch gern in der Natur unterwegs. Einmal drei, vier Stunden keinen Empfang haben, keine Autos und dafür frische Luft ist Gold wert. Und ich spiele sehr gern Dart, in meinem Berliner Büro hängt eine Scheibe."

Herr Mijatovic, wir bedanken uns für dieses Gespräch.(Jutta Hamberger)+++

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