Forum der Sparkasse begeistert

Bundesliga-Schiri Deniz Aytekin über Druck, Strategien und persönliche Dinge

Im Bild von links: Sparkassen-Vorstand Thomas Walkenhorst, HZ-Geschäftsführer Markus Pfromm, Deniz Aytekin und Sparkassen-Vorstand Reinhard Faulstich
Fotos: Gerhard Manns und Hans-Hubertus Braune

12.02.2024 / BAD HERSFELD - "Wenn der Musiala anzieht und dir auf 80 Meter 60 bis 70 abnimmt, denkst du anders über dein Leben nach", hat Deniz Aytekin vor einigen Wochen gesagt. Damit hat er in Bayern die Auszeichnung "Fußballspruch des Jahres 2023" gewonnen. Dass der 45-jährige Bundesliga-Schiedsrichter aber alles andere als ein Sprücheklopfer ist, davon konnten sich am Freitagabend die 720 Gäste in der ausverkauften Schilde-Halle in Bad Hersfeld überzeugen.



Wenn wir bei einer Bewertung bleiben wollen, dann hat der in Nürnberg geborene Franke für seinen Auftritt beim Forum der Sparkasse Bad Hersfeld-Rotenburg eine glatte Eins mit Sternchen verdient. Aytekin nahm die Zuhörer mit in die Bundesligastadien, gewährte viele Einblicke - auch sehr persönliche Dinge erzählte er in seinem überragenden Vortrag.

"Entscheidungen unter Druck"

Definitiv ein Abend mit Mehrwert. Die Sparkasse hat bei ihren Foren ein feines Gespür für überzeugende Redner. Der Vortrag stand unter dem Titel "Entscheidungen unter Druck". Dass Schiedsrichter in der heutigen medialen Welt mit 30 bis 40 Kameras pro Bundesligaspiel unter besonderer Beobachtung stehen, kann man sich vorstellen. "Wenn die Spidercam über mir schwebt, kriege ich immer Angst", sagt Aytekin mit einem Augenzwinkern.

Wie aber mit dem Druck umgehen? "Die Summe der guten Entscheidungen ist am Ende des Tages der Erfolg in unserem Leben, in unserem Unternehmen und unserem Land", sagt der Schiedsrichter und betont weiter: "Was mich aber viel mehr bewegt, ist das Thema Akzeptanz." Er habe mit vielen Wissenschaftlern gesprochen, viel Zeit in die Recherche gesteckt. Bei seinen Vorträgen verknüpft er auf beeindruckende Art und Weise sein Wirken als Schiedsrichter und wie sich die Entscheidungen und vor allem auch der Umgang auf die Lebenswelt außerhalb der Stadien projizieren lässt.

Aytekin zeigte einige Szenen aus verschiedenen Bundesligaspielen und untermauerte so seine Beispiele etwa beim Umgang mit Spielern oder auch mit seinem Team. "Ich werde meine Leute niemals verkaufen", sagte Aytekin und meinte damit, dass er vor seinem Team steht und sie auch bei Fehlern nicht anprangert. "Ich habe in 25 Jahren kein Spiel fehlerfrei geleitet", sagte er und warb für eine gute Fehlerkultur. Denn: Wer ist schon fehlerfrei?

Ein Bundesligaschiedsrichter steht natürlich besonders im Blickpunkt. "Wenn es gut läuft, interessiert sich nach dem Spiel keiner für uns. Wenn nicht, dann klopft es drei Munten nach dem Spiel an der Tür: Herr Aytekin Interviewanfragen von ARD, ZDF, Sky, Dazn."

"Wo ist mein nächstes Problem?"

Aber was hat ihn motiviert, Schiedsrichter zu sein? "Das Einlaufen ins Stadion, dass ich Teil der Fußballfamilie sein darf", sagte Aytekin. Er hat bisher 225 Bundesligaspiele geleitet, war rund elf Jahre international bei 30 Länder- und 54 Europapokalspielen im Einsatz. In seinem Vortrag ging er auf einige seiner zahlreichen Strategien ein, erzählte von den umfangreichen Datensammlungen der Schiedsrichter. "Wo ist mein nächstes Problem?", sagte der Schiedsrichter und meinte damit die vorausschauende Sichtweise. Natürlich sei eine gute Vorbereitung wichtig, sechs- bis achtmal in der Woche trainiere er, auch wenn es immer mal wieder zwicke. Sie wissen, was welcher Spieler macht, wie er tickt. Die Spieler würden spüren, dass er sie ernst nehme. "Ich versuche immer eine Brücke zu bauen", sagt Aytekin. Das klappe bei acht bis neun Spielern, nur bei Thomas Müller nicht. Spaß gehörte beim Vortrag eben auch dazu.

"Ich habe viel mehr Respekt davor, was ihr macht"

Nach seinem gelungenen Vortrag und der interessanten Fragerunde mit Moderator Markus Pfromm und Reinhard Faulstich folgte ein weiterer Höhepunkt des Abends. Auf Einladung des Mitveranstalters Hersfelder Zeitung und HNA waren die drei jungen Schiedsrichter Tom Bartholmai (18), Niklas Martin (23) und der 14-jährige Julian Wiegel aus dem Schwalm-Eder-Kreis zu Gast. Die drei Jungs stellten Deniz Aytekin auf der Bühne mehrere Fragen. Die Art und Weise, wie Aytekin antworte, untermauerte sein sympathisches Auftreten. Zwei Beispiele: "Denkt dran, die Leute kritisieren nicht euch persönlich, sondern sie meinen immer eure Funktion als Schiedsrichter." Auf die Frage von Julian Wiegel, wie das vor 80.000 Zuschauern sei, wenn die Leute meckern, sagte Aytekin, dass er die 80.000 Leute ja nicht direkt sehe. "Ich habe viel mehr Respekt davor, was Ihr macht. Euch schreit einer an, dem Ihr auch noch ins Gesicht sehen könnt".

Im Anschluss an den offiziellen Teil signierte Aytekin seine Bücher. Die Schlange vor dem Stand der Hoehlschen Buchhandlung war lang. Und bei einem der leckeren Bücking-Burger kamen die Gäste schnell ins Gespräch. Ein wirklich wunderbarer Abend der Sparkasse.

Zunächst die interessante Rede vom Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse zur aktuellen Sicht und einem Ausblick auf die Zukunft der Sparkasse im Spagat zwischen digitaler Welt und dem persönlichen Gespräch vor Ort. Faulstich machte deutlich, dass die Sparkasse an ihrem regionalen Auftrag vor Ort festhalte. Die aufwendig renovierte und vor wenigen Wochen wiedereröffnete Geschäftsstelle in Niederaula sei ein Beispiel dafür.

Miteinander zu reden, sein Gegenüber mit seinem Blick und seiner Gestik zu sehen, war zuvor auch ein weiteres Thema von Deniz Aytekin. Und abschalten zu können. Neben seinem Drang nach Lebkuchen zu jeder Jahreszeit habe er sich vor allem darüber geärgert, dass er früher nach Spieltagen zu Hause nicht abgeschaltet habe. "Ich habe mit meiner Tochter gespielt und war mit meinen Gedanken oft beim Fußball. Das hat mich sehr geärgert. Heute bin ich schon besser geworden, aber längst nicht perfekt."

"Dieses Funkeln in den Augen"

Die Begegnung mit den jungen Schiedsrichtern motiviere ihn zusätzlich. "Dieses Funkeln in den Augen habe ich immer noch und wenn ich die jungen Schiris begeistern kann, motiviert mich das persönlich", sagte Aytekin abschließend.

Danke für diesen Abend mit so vielen Eindrücken aus der Welt des Fußballs und insbesondere der so oft gescholtenen Schiedsrichter. Und falls ich mich als VfB Stuttgart-Fan am Sonntag vielleicht aufregen muss, dann sehe ich den Schiedsrichter Deniz Aytekin nun mit ganz anderen Augen. (Hans-Hubertus Braune) +++

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