Wirtschaftlich angespannte Situation

Ernüchternd: Apothekensterben wird sich fortsetzen - Hohe Streitbereitschaft

Im vergangenen Jahr hatte es bereits drei große Streiks von Apotheken gegeben - auch in unserer Region.
Foto: O|N - Archiv / Christopher Göbel

12.01.2024 / REGION - Im Jahr 2023 hat sich die Anzahl der öffentlichen Apotheken in Hessen erneut verringert. Nach den aktuellen Zahlen der Landesapothekerkammer gab es zum Stichtag 31. Dezember 2023 insgesamt 1.350 Apotheken. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies einen Rückgang um 39 Apotheken.



"Die Entwicklung ist alarmierend", kommentiert Kammerpräsidentin Ursula Funke die aktuellen Daten. "Die Apotheken vor Ort benötigen eine sofortige und wirksame wirtschaftliche Stärkung. Andernfalls drohen weitere Schließungen und damit die Verschlechterung der wohnortnahen Versorgung der Patientinnen und Patienten."

Seit den 1990er Jahren nimmt die Zahl der Apothekenbetriebe kontinuierlich ab. Im Jahr 1994 gab es in Hessen 1.650 öffentliche Apotheken. Rund 30 Jahre später sind es 300 Betriebe weniger, die für die Versorgung der Patienten nicht mehr zur Verfügung stehen. Besonders gravierend ist diese Entwicklung in den letzten zehn Jahren:  Während die Apothekenanzahl in Hessen in den 20 Jahren von 1993 bis 2013 um 100 Betriebe abgenommen hat, ist deren Zahl in den zehn Jahren seit 2013 um circa weitere 200 Betriebe gesunken.

Viele Apotheken befinden sich in einer wirtschaftlich massiv angespannten Situation, da sich das Honorar für verschreibungspflichtige Arzneimittel in den letzten 20 Jahren nur einmalig um drei Prozent erhöht hat und im letzten Jahr, durch die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) durchgesetzte Erhöhung des Kassenabschlags, sogar verringert wurde, was die Lage der Apotheken extrem verschärft. "Weniger Honorar, höhere Kosten, immer mehr Lieferengpässe und Bürokratie – viele Inhaber können und wollen nicht mehr", fasst Funke zusammen. Und die Zahlen bestätigen die Feststellung der Kammerpräsidentin. Selbst in den großen Städten in Hessen, wie Frankfurt am Main, Wiesbaden, Kassel oder Darmstadt, geht die Zahl der Apotheken zurück.

Versorgung für Patienten gefährdet

Nach Funkes Einschätzung werden auch die kurz vor Weihnachten konkretisierten Reformpläne des Bundesgesundheitsministers für den Apothekenbereich keine Trendumkehr bewirken, im Gegenteil: "Die Pläne von Herrn Lauterbach haben das Potenzial, das heutige Versorgungssystem zu zerstören. Kein Beruf arbeitet für den Lohn von 2004. Das Apothekensterben wird sich fortsetzen und damit wird sich die Versorgung der Patienten verschlechtern. Lauterbachs Vorhaben dient weder den Patienten noch den Apotheken."

Zu den vom BMG vorgeschlagenen Änderungen gehört unter anderem die Möglichkeit, dass in Apotheken kein Apotheker mehr persönlich anwesend sein muss. "Aus gutem Grund gilt überall auf der Welt das Prinzip ‚Der Apotheker in der Apotheke‘ und Patienten können darauf vertrauen, dass immer eine Apothekerin oder ein Apotheker vor Ort für sie da ist. Die Pläne des Bundesgesundheitsministers sehen dagegen vor, dass ein Apotheker nur digital zuschaltbar sein muss. Für die Patienten verschlechtert sich dann das Versorgungsniveau".

Folgen für Volkswirtschaft

Weil ein Ende dieser dramatischen Entwicklung nicht in Sicht ist, "wird die hessische Apothekerschaft auch im neuen Jahr für die längst überfällige Stabilisierung ihrer politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen streiten", kündigt Holger Seyfarth, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbandes (HAV), an. Nach Bekanntwerden der Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kurz vor Weihnachten 2023 hatte Seyfarth bereits betont: "Diese als Reform getarnten patientenfeindlichen Vorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium bringen für die wohnortnahe Arzneimittelversorgung der Menschen noch mehr Probleme statt Lösungen und sind mit uns nicht zu machen. Im Sinne der Patientinnen und Patienten wird sich die Apothekerschaft dagegen geschlossen zur Wehr setzen".

Abschließend weist Holger Seyfarth auf die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des drastischen Apothekensterbens hin. So bedeuteten Apothekenschließungen immer den Verlust von Arbeitsplätzen zulasten der lokalen Wirtschaft. Der HAV-Vorsitzende betont: "Apotheken zahlen im Verhältnis hohe Gewerbesteuern und tragen zur lokalen Wirtschaft bei. Ihr Wegfall führt zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in den betroffenen Städten und Gemeinden."

Wie von O|N ausführlich berichtet, hatte es im vergangenen Jahr drei große Streiks der Apotheken gegeben, an denen sich auch viele heimische Betriebe beteiligt hatten. Die Thematik wird von der O|N-Redaktion auch 2024 intensiv verfolgt werden. (bl/pm) +++

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