Das Selbstverständnis des SV Steinbach

Paliatka: Sind ein 1.600-Leute-Dorf. Hessenliga ist für uns Champions League

Halten nach mehr Punkten im neuen Jahr Ausschau: Steinbachs Trainerduo David Fladung (links) und Petr Paliatka
O|N-Archivfotos Bernd Vogt

15.12.2023 / BURGHAUN - Dass die Fußballer des SV Steinbach um den Klassenerhalt der Hessenliga kämpfen, ist das eine. Das andere ist die Einordnung. Und die ruft uns Petr Paliatka, der sich dem Virus SVS seit März 2006 verschrieben hat, ins Gedächtnis. "Wir dürfen nicht vergessen", sagt der Trainer, der auch lange Spieler war: "Wir sind ein 1.600-Leute-Dorf - und wir spielen Hessenliga. Das ist für uns Champions League. Und die Verbandsliga ist Bundesliga."

Im Steinbacher Mühlengrund wird seit Jahrzehnten Besonderes geleistet im Fußball - das ist nicht neu. Einst war im Hessenpokal Viktoria Aschaffenburg mit Ex-Nationalspieler Andy Möller zu Gast, Ende Februar kommenden Jahres soll sich gar Regionalligist Kickers Offenbach die Ehre geben; auch im Hessenpokal. Trainer klingenden Namens arbeiteten in Steinbach - in der jüngeren Vergangenheit Kalle Müller, Andreas Herzberg oder Ante Markesic, der das junge Team des SVS als "Rattenfänger" nach oben führte und sein Taktik-Hirn jetzt in Schwalmstadt einsetzt. Weiteres Pfund im Mühlengrund: die große Schar an Ehrenamtlichen, die für sich spricht.

Doch mit den wohlklingenden Kontrahenten in der Hessenliga kann sich der SV Steinbach nicht vergleichen. Nicht einmal so sehr, was die geringe Einwohnerzahl angeht. Die Infrastruktur ist bescheiden - in der Gemeinde Burghaun gibt es keinen Kunstrasen-Platz, die Trainingsbedingungen in Steinbach sind bei schlechtem Wetter im Spätherbst und Winter jämmerlich.

Das Wunder von Steinbach - gallisches Dorf im Haifischbecken

Verdammt bescheiden für ein Team dieser Spielklasse. Deshalb kommt es beinahe einem "Wunder" gleich, dass er überhaupt dort spielt. Und deshalb ist es auch alles andere als überraschend, dass der SVS auch in dieser Saison darum ringt, der höchsten Klasse des Landesverbandes Hessen erhalten zu bleiben. Ein gallisches Dorf, das gegen jeden und alles kämpft, quasi im Haifischbecken.

Eigentlich versprechen die Zahlen des bisherigen Saisonverlaufs wenig Anlass, optimistisch zu sein. Erst drei Siege stehen nach 20 Spielen zu Buche, auf eigenem Platz gewann der SVS erst zwei seiner elf Spiele, auswärts erst eins von neun. Der Rückstand zum Abstiegs-Relegationsplatz beträgt fünf Punkte, der zum ersten Nicht-Abstiegsplatz, den das in Hessen große Stadtallendorf innehat, sieben Zähler - und Paliatkas Team hat mehr Spiele absolviert als all seine Kontrahenten. Doch wenn man irgendwo weiß, dass Zahlen Schall und Rauch sind, dann im Mühlengrund.

Blaupause Türk-Gücü. Paliatka: "Das hat die ganze Saison gespiegelt"

Und eigentlich könnte das letzte Spiel des alten Jahres als eine Art Blaupause dienen. Ein 1:1 holte der SVS. Als krasser Außenseiter beim Spitzenreiter. Das war am 25. November. Der Gast führte lange durch ein sehenswertes Tor des Ex-Neuhofers Akif Kovac - erst in der Nachspielzeit musste Steinbach den Ausgleich schlucken. "Das hat die ganze Saison gespiegelt", sagt Paliatka. 

Er und sein Team beklagen vier extremst ärgerliche Spielausgänge. Vier Remis, die acht Punkte kosteten. Darunter auch: die Vergleiche gegen den KSV Baunatal, der in der fünften Minute der Nachspielzeit durch Leon Lindenthal den Ausgleich zum 2:2 schaffte - und das 3:3 gegen Stadtallendorf; beide auf eigenem Platz. Tom Woiwod glich kurz vor Schluss Niklas Budesheims Führung aus.

Kostbares Personal: "Es gab immer mal was" 

"Wir haben in sehr vielen Spielen gezeigt, dass wir mithalten können", hat der Coach beobachtet. Das seien "Sachen, die mich positiv stimmen", ergänzt Paliatka. Dass das Personal von Fußball-Mannschaften wichtig und kostbar ist, sieht man am Beispiel des SV Steinbach. Der Ex-Neuhofer Manuel Paez und Thore Hütsch (Schambein-Entzündung) fehlten schmerzhaft - mehr oder weniger die gesamte Hinrunde. 

Dazu kamen Budesheim, Max Stadler, Alex Reith, Luca Uth, Philipp Prokopenko oder Tom Wiegand. Mit "es gab immer mal was", bringt es der Trainer auf den Punkt. Mehr muss man auch nicht sagen. "Wie auf einer Achterbahn-Fahrt", konkretisiert der Coach. Und hat damit viele Fans auf seiner Seite. Einer, der auf sich aufmerksam machte in den letzten Spielen: der Ex-Hohenrodaer Marlon Weitz.

Der schmale Kader soll an Breite und Qualität gewinnen- aus den eigenen Reihen

Sie alle sollen im neuen Jahr zurückkommen. Mündet das positiv, gewinnt der äußerst schmale Kader endlich an Breite. "Wenn alle fit sind, trainieren und spielen können, sind wir in der Lage, den Klassenerhalt zu schaffen", sieht Paliatka nicht in irgendeine Glaskugel in Steinbach - er kratzt vielmehr an der Realität. Qualität kommt dann hinzu. "Wir brauchen keine Neuzugänge in der Winterpause. Es wäre der völlig falsche Weg, wenn wir jetzt drei neue Spieler holen würden und alles übers Knie brechen", sagt Paliatka in bester Vereins-Philosophie.

In einer Situation, in der sich viele denken, spinnt der denn, fügt er an: "Ich freue mich sehr aufs neue Jahr. Und aus unserer Lage das Beste zu machen. Das Unmögliche möglich zu machen." Den Klassenerhalt hat im Mühlengraben noch niemand abgeschrieben. Der Trainer nicht. Die Spieler nicht. Alle nicht. Ende Januar - vermutlich am Montag, 22. - beginnt die Vorbereitung. Am 3. März geht's mit dem Heimspiel gegen Weidenhausen in die Punktrunde. Eine Woche zuvor soll der Pokal-Hit gegen den OFC steigen. Getreu dem Steinbacher Weg. Und getreu dem Motto: "Zwei Wege boten sich mir dar. Und ich ging den, der weniger betreten war. Dies veränderte mein Leben." Gerade das des SV Steinbach. (wk) +++










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