Totschlag oder gefährliche Körperverletzung
"Sie schrie um ihr Leben" - Plädoyers im Gieseler Fall nicht weit auseinander
Fotos Hannes Mayer
13.12.2023 / FULDA -
Während der psychiatrische Gutachter Dr. Helge Laubinger diese Frage klar verneint hatte, sah die Anklagevertreterin mehrere Indizien für das Gegenteil. Der Angeklagte habe den Tod der jungen Frau bei seiner brutalen Attacke zumindest billigend in Kauf genommen. Seine Einsichtsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt gewesen, er habe durchaus gewusst, was richtig und was falsch sei. Zu diesem Zeitpunkt sei der vorausgegangene Streit wegen der zu lauten Party bereits beendet gewesen, die Gäste gegangen. Auch die Dauer des Tatgeschehens und die Tatsache, dass sein Opfer in höchster Todesangst schrie, habe ihm die tödlichen Folgen seiner Handlung zu Bewusstsein bringen müssen, argumentierte die Staatsanwältin, die von einem bedingten Vorsatz ausging. Sein Verhalten nach der Tat (der Schraubenzieher lag wieder im geschlossenen Werkzeugkasten und er hatte nachts versucht, seine Vorgesetzte anzurufen) und die Aussage, er wolle kein Mörder sein, spreche ebenfalls für diese Version.
Auch die beiden Nebenklagevertreter widersprachen der Einschätzung des Gutachters und konstatierten einen bedingten Tötungsvorsatz. Schon vorher, als er sich über die "Spaßbremse" beschwert hatte, hätte er geäußert, dass er sie irgendwann umbringen werde. "Er wollte sie bestrafen und im Streit mit ihr dominieren. Und er wusste genau, dass er betrunken zu Gewalttaten neigt", so der Anwalt. Während des "schrecklichen Tötungsvorgangs" habe er ihre Schmerzensschreie beenden wollen, "bis endlich Ruhe ist".
Der Angeklagte ließ wenig äußere Regung erkennen und wandte sich vor allem vom vollbesetzten Zuschauerraum ab. Sein Verteidiger stellte gleich zu Beginn seines Plädoyers fest, dass sein Mandant das Opfer nach fünfjähriger liebevoller und harmonischer Beziehung anlasslos getötet und diese Tatsache auch nie bestritten habe. Nur die Frage nach dem Warum habe auch die Kammer nicht klären können. Es habe zwischen den Partnern bis dahin keinen Streit und keine Trennungsabsichten gegeben, alle Konflikte seien friedlich gelöst worden. Das belege der ausgewertete Handyverkehr zwischen ihnen und die vielen Zeugenaussagen, auch der Familie.
Die Stimmung auf der Party, die einer der Zeugen als "Halligalli-Drecksackparty" gelobt hatte, sei bestens gewesen. Als die Gäste aufbrachen, hätten sie keinerlei Gefahr für die junge Frau gesehen. Was dann tatsächlich passiert sei, könne niemand sagen. "Das Geschehen ist einfach unerklärlich - auch für den Angeklagten selbst", führte der Verteidiger aus. Die Tat sei rational nicht erklärlich. "Vor Ihnen sitzt ein Neunjähriger, der das nicht wollte und die Tat erst realisierte, als sie blutend vor ihm lag. Er war von ihrem Tod überrascht." In dieser Einschätzung folge er dem Gutachter, der damit quasi schon das Plädoyer der Verteidigung gehalten habe, so der Anwalt.
"Was bedeutet 250 ml?"
Man könne die Handlung des geistig eingeschränkten Angeklagten nicht mit normalen Maßstäben messen. Um das zu verdeutlichen, erinnerte der Verteidiger das Gericht an eine dokumentierte Situation, in der sein Mandant eine Tütensuppe kochen sollte und seine Freundin per Handy fragte, was denn 250 ml bedeuten solle. Diese hatte ihm daraufhin das Foto eines Messbechers mit der entsprechenden Markierung zurückgeschickt.
Das Urteil wird am Dienstag, den 19. 12. um 11 Uhr verkündet. (ci)+++
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