All-Inclusive ist nur im Urlaub schön

So nicht, Herr Gottschalk! Diskriminierung und Ableismus zur Primetime

Wettkandidat Felix Mayr mit Moderator Thomas Gottschalk.
Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/Geisler-Fotopress

28.11.2023 / KOMMENTAR - Lange hatte es in mir gebrodelt, doch auch jetzt lässt meine Wut über das, was am Samstagabend im ZDF abgelaufen ist, nicht nach. "Wetten, dass ...?" - Mensch, das ist ja wie früher, oder? Und das tatsächlich in jeglicher Hinsicht, denn Thomas Gottschalk, Moderator des "Traditionsformats", ist mindestens genauso stehen geblieben wie das Format, das eigentlich abgesetzt wurde, dann aber doch immer wieder aus der Schublade des öffentlich-rechtlichen Senders gekramt wird. 

Im Gegensatz zu vielen anderen Medien möchte ich heute aber nicht auf den Sexismus Gottschalks eingehen, wobei mir auch dazu ausreichend einfallen würde. Ich möchte vielmehr denjenigen Menschen Gehör verschaffen, die wieder einmal hinten herunterfallen, und deren Diskriminierung den meisten wahrscheinlich nicht mal aufgefallen ist, da das alles so normal scheint. Doch was hier geschehen ist, ist nicht normal und schon gar nicht okay! 

Auch an diesem Abend durfte die bekannte Kinderwette nicht fehlen. Der 14-jährige Felix Mayr aus Großweikersdorf in Österreich wettete, dass er im Handstand auf einem Skateboard fahrend 18 Kaubonbons mit seiner Helmkante in Flaschen schnicken könne. Klingt abgefahren? Hab ich mir auch gedacht - nur schade, dass Thomas Gottschalk schon in den ersten 60 Sekunden vor einem Millionenpublikum alles falsch macht, was man falsch machen kann. Vor den Zuschauern stellt er Felix im Live-Fernsehen bloß. Gottschalk zeigt, dass Diskriminierung und Ableismus für Menschen mit Behinderung an der Tagesordnung sind und sich die Behinderung dadurch selbst bei größten Leistungen das Rampenlicht sichert. HIER geht's zur tollen Vorstellung.

Als Felix mit seinem Rollstuhl auf die Bühne rollt, hagelt es vom lieben Thomas so ziemlich alle "klassischen" Floskeln, die man sich als Mensch mit offensichtlicher Behinderung tagein, tagaus anhören muss. "Du sitzt im Rollstuhl, aber bist ein aufgewecktes und lustiges Kerlchen." Das altbekannte ABER - ach was, halten Sie sich fest! Eine Behinderung ist tatsächlich kein Weltuntergang, und auch wenn es für den alten Mann schwer zu glauben scheint, kann man wirklich so richtig glücklich sein und das Leben genießen wie jeder andere. Es ist das, was man draus macht.

"Am Anfang hat man gar nicht gemerkt, dass Du ja den ganzen Tag an den Rollstuhl gefesselt bist." Gefesselt wäre Felix ans Bett, wenn er keinen Rollstuhl nutzen würde. Mobilitäts- und Gehhilfen erweitern den Radius von Menschen mit Behinderung, sie ermöglichen Teilhabe am Leben und sind ein Gewinn, kein Verlust. "Was hast Du für eine Krankheit?" Die für mich schlimmste Frage zum krönenden Abschluss, denn mal ganz ehrlich: Wollen Sie all das jedem Fremden verraten, der gerade meint, neugierig sein zu müssen? Wir fragen Sie doch auch nicht nach der letzten Darmspiegelung oder dem Durchfall von letzter Woche, oder?

Und falls Sie sich jetzt fragen, warum ich hierzu meinen Senf abgebe, das ist auch mein Leben als junge Frau mit Gehstock und Rollstuhl. Denn all das gibts gratis dazu zur Behinderung. Super, oder? Und zwar nicht nur zur Primetime, sondern jeden Tag auch in unserer ach so schönen und beschaulichen Barockstadt. All-inclusive sozusagen. 


Wer jetzt denkt, Gottschalk sei halt von gestern und nicht jeder könne immer tolerant sein, dem sage ich eines dazu: Medienschaffender zu sein, bringt Verantwortung mit sich, vor einem Millionenpublikum zu moderieren, bringt Verantwortung mit sich - eine Verantwortung, die ich mir auch von jedem meiner Mitmenschen wünsche, und der man sich meiner Meinung nach gerade im TV auf keinen Fall entziehen kann und mit der man achtsam umgehen sollte. Wie sollen die Zuschauer vorm Bildschirm lernen, dass es so ganz und gar nicht geht? 

Auch wenn früher bei Gottschalk alles anders war, heißt das nicht, dass es auch heute noch okay ist. Das wunderbare Geschenk der Zeit und Entwicklung bringt Toleranz und Gleichberechtigung mit sich, und von einem öffentlich-rechtlichen Sender erwarte ich mehr als Diskriminierung und Ableismus zur Primetime - so viel mehr! Ich nutze meine Verantwortung heute, und hoffe, das ZDF tut es in Zukunft auch. Gottschalk jedenfalls hat sich sein TV-Grab am Samstag selbst geschaufelt, und Sie haben dadurch hoffentlich etwas dazu gelernt. Denn All-inclusive ist wirklich nur im Urlaub schön! (Michelle Kedmenec) +++

Redakteurin Michelle Kedmenec
Archivbild: O|N

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