Nach Ausschreitungen beim Bundesliga-Spiel

Weit mehr als 100 verletzte Personen: Polizei und Fans mit konträren Meinungen

Kurz nach Beginn des Spiels am Samstagabend war der Fanblock der Eintracht teilweise verwaist.
Foto: picture alliance / Pressefoto Baumann | Hansjürgen Britsch

27.11.2023 / FRANKFURT AM MAIN - Nach den heftigen Ausschreitungen beim Bundesliga-Topspiel am Samstagabend zwischen Eintracht Frankfurt und dem VfB Stuttgart (O|N berichtete), liegen nun die ersten Ergebnisse der neu gegründeten Sonderkommission vor. Die Fanszene hat indes eine völlig andere Sichtweise auf die Geschehnisse vom Samstagabend.



Die Sonderkommission ist damit beauftragt, den Sachverhalt rund um die schweren Übergriffe hinter der Nordwestkurve aufzuklären. Sie ermittelt unter anderem wegen schwerem Landfriedensbruch und tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Noch in der Nacht sicherten die Beamten das vorhandene Beweis- und Videomaterial und erhoben die Personalien von verletzen Personen.

"Aufgrund einer Vielzahl an Einsatzlagen an diesem Tag, war die Polizei Frankfurt mit einem Großaufgebot, unterstützt durch eine Vielzahl hessischer Kräfte sowie durch Einsatzkräften aus Rheinland-Pfalz, im Stadtgebiet und am Stadion präsent. Zudem handelte es sich bei der Spielbegegnung um ein Risikospiel, das aufgrund der polizeilichen Bewertung ebenfalls durch einen erhöhten Personalansatz begleitet wurde", erklärt die Frankfurter Polizei in einer Presseerklärung am Sonntagabend.

Laut Polizei keine Beamte im Fanblock

Zum Zeitpunkt des Ursprungs der Auseinandersetzung befanden sich weder uniformierte noch zivile Polizeibeamte im Fanblock 40 oder im dahinter gelegenen Umlauf. Diese wurden erst in Höhe des Block 40 entsendet, nachdem Mitteilungen zu körperlichen Auseinandersetzungen und vermummten Personen in diesem Bereich eingingen. Zum gleichen Zeitpunkt konnte auch im Stadion festgestellt werden, dass es zu Abwanderungen aus den Blöcken der Nordwestkurve in den rückwärtigen Bereich kam.

"Die ersten Ermittlungsergebnisse bestätigen den bereits gestern dargestellten Verlauf der Geschehnisse. Demnach griffen Anhänger von Eintracht Frankfurt einen zivil gekleideten Mitarbeiter des Veranstalters durch Schläge ins Gesicht im Block 40 körperlich an. Dieser war unter anderem zur Qualitätskontrolle des Ordnungsdienstes eingesetzt und hielt zuvor eine Person fest, die sich ohne ein Ticket vorzuzeigen Zugang zum Block verschafft hatte", so die Polizei Frankfurt weiter.

Zu den Geschehnissen heißt es vonseiten der Polizei: "Nachdem die ersten Polizeikräfte hinter Block 40 eingetroffen waren, wurden sie unmittelbar angegriffen. Nach einer ersten Analyse der Videosequenzen des Geschehens beteiligten sich im weiteren Verlauf mindestens 300 bis 400 Personen der Frankfurter Risikofanszene - vielfach vermummt - an den Angriffen im Umlauf hinter der Nordwestkurve.

Die Angreifer attackierten die zahlenmäßig deutlich unterlegenen Einsatzkräfte dabei massiv mit Schlägen, Tritten und gezielten Würfen, unter anderem mit Flaschen, Fahnen- und Eisenstangen bis hin zu schweren Eisengittern. Die Angriffe dauerten circa 30 Minuten an.

Darüber hinaus entnahmen sie, wie über Videoaufnahmen belegt, auch mehrere Feuerlöscher, die in den Zugängen zu den Fanblöcken angebracht waren und entleerten diese in Richtung der Polizei. Der dadurch erzeugte starke Nebel drang zum Teil in den Innenbereich des Stadions ein und führte dort nicht nur zu einer Beeinträchtigung der Sicht, sondern gefährdete auch die Gesundheit der unbeteiligten Stadionbesucher.

Die Polizei setzte zur Abwehr der erheblichen Angriffe vielfach einfache körperliche Gewalt, Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Eine Beruhigung der Lage konnte jedoch erst durch das Hinzuziehen weiterer Einsatzkräfte, Diensthunde, der Reiterstaffel und letztendlich durch einen sukzessiven Rückzug von Block 40 bis Block 33, hinter die im Stadion verbaute Sektorentrennung und Schließung der Tore, erzielt werden.

Neun Personen wurden wegen verschiedener Straftatbestände unter anderem Landfriedensbruch, schwerem Landfriedensbruch, Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und tätlichem Angriff festgenommen. Nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen wurden alle Personen noch am Abend des Einsatzes aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen. Die Anzahl der verletzten Personen stieg an. Mit heutigem Ermittlungsstand wurden 59 verletzte Angehörige des Ordnungsdienstes und 57 verletzte Polizeibeamte polizeilich erfasst. Gesicherte Informationen zu verletzten Angreifern liegen aktuell nicht vor.

Die Verletzungsbilder der Polizeiangehörigen reichen von Hämatomen, Stauchungen, Prellungen, Augen- und Atemwegsreizungen, bis hin zu einem Sehnenabriss und mindestens einer Fraktur. Die Erhebung der Befunde dauert weiterhin an. Die Anzahl der Polizeibeamte, die im Krankenhaus versorgt werden mussten, erhöhte sich im Laufe der Nacht auf insgesamt acht.

Bislang liegen keine polizeilichen Erkenntnisse über verletzte unbeteiligte Stadionbesucher - insbesondere auch nicht zu Kindern - vor. Diese werden daher dringend gebeten, sich bei der Polizei zu melden. Zeugen, die Video- oder Fotoaufnahmen der Angriffe gefertigt haben, werden weiterhin gebeten, diese unter https://he.hinweisportal.de/Fussball hochzuladen oder sich ebenfalls bei der Polizei (069 - 755 51299) zu melden", erklärt die Polizei Frankfurt ihre Sichtweise.

Doch was sagen die Fans zu den Vorkommnissen am Samstagabend. Der "13. Mann", die Fanhilfe aus der Eintracht Frankfurt-Fanszene, erklärte in einer Stellungnahme zu den Vorkommnissen:

Seit Monaten gibt es Konfliktpotenzial

"Auch in Frankfurt gibt es seit Monaten einen schwelenden Konflikt. An diesem Samstag wollte die Frankfurter Polizei unter ihrem brandneuen Einsatzleiter dann wohl ein Exempel statuieren. Uns war schon vor dem Spieltag bekannt, dass ein Großeinsatz geplant ist und Polizeikräfte beispielsweise gar aus dem Urlaub zurückgerufen wurden. Jeder im Stadionumfeld konnte beobachten, dass für ein Spiel um 18:30 Uhr ungewöhnlich früh ungewöhnlich viele Einsatzkräfte vor Ort waren, obwohl das Spiel nicht als Risikospiel eingestuft war. Unter den mehreren Hundertschaften war auch Verstärkung aus anderen Bundesländern."

Die Fanszene kritisiert zudem: "Am gesamten Spieltag kam es zu keinerlei Auseinandersetzungen zwischen den Fangruppen, weder vor noch nach dem Spiel. Auch die von der Polizei Frankfurt über Twitter/X um 18:06 Uhr verbreitete gesuchte Eskalation rivalisierender Fangruppen hat schlichtweg nicht stattgefunden. Vielmehr kam es vor Block 40 zu einer versuchten Festnahme durch eine zivil gekleidete Person, mutmaßlich, weil keine korrekte Eintrittskarte vorlag. Wenige Sekunden später stand bereits die Polizei inklusive Videoüberwachungsmaßnahmen parat und betrat massiv den Bereich vor Block 40. Die Einheiten müssen also für diesen Einsatz bereits parat gestanden haben."

Mindestens 70 Verletzte, sieben schwerverletzte Fans

Zum Abschluss der Erklärung heißt es von der Eintracht-Fanhilfe, "13. Mann": "Anschließend kam es zu einer mindestens 30-minütigen Konfrontation, bei der die Polizei immer wieder unter Schlagstock- und Reizstoffeinsatz vorrückte, ohne jede Rücksicht auf Verluste auch unter normalen Fans, Frauen und Kindern. Die genaue Zahl der Verletzten ist für uns noch nicht absehbar, schon jetzt wissen wir von mindestens 70 verletzten Fans, davon sieben Schwerverletzte. Teilweise waren Fans bewusstlos und stürzten die Treppen hinunter, die Rettungskräfte kamen mit dem Abtransport zeitweise nicht mehr nach. In den Blockeingängen und den Blöcken selbst mussten verletzte Fans von anderen Fans die ganze erste Halbzeit über versorgt werden. Durch das in die Blöcke hineinwehende Reizgas wurden Fans sogar während des Spiels über Tore zum Stadioninnenraum evakuiert."

Wenn Sie vor Ort gewesen sind und Zeuge der Auseinandersetzung im Umfeld des Bundesliga-Spiels gewesen sind, können Sie sich gerne an uns wenden, unter: redaktion@osthessen-news.de (Kevin Kunze)+++

Heftige Auseinandersetzungen gab es am Samstagabend.
Fotos (2): 5vision.media
Die Polizei war im Großeinsatz vor Ort

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