Heftige Schieflage der Gemeindefinanzen
Über Jahre keine genehmigten Haushalte: Kommune darf nicht investieren
Fotos: Moritz Rös
17.11.2023 / KIRCHHEIM -
Es läuft nicht rund in der Gemeinde Kirchheim. Vor allem im Bereich der Gemeindefinanzen liegt vieles im Argen. Aus diesem Grund hatte Martin Bornschier (SPD), der Vorsitzende der Gemeindevertretung, zu einer Bürgerversammlung eingeladen, die aufgrund des großen Interesses verlegt werden musste. Bürgermeister Axel Schmidt (CDU) und die neue Kämmerin Tanja Brand informierten über die finanzielle Schieflage, mögliche Ursachen und Lösungsmöglichkeiten.
Investitionsstau durch vorläufige Haushaltsführung
"Wir wollen heute schauen, wie die aktuelle Lage aussieht und welchen Weg wir einschlagen wollen", sagte Bornschier zur Begrüßung. Bürgermeister Schmidt stellte in seiner Präsentation die Situation der Gemeinde vor. "Ich steige mit einem Schock ein, nämlich allem, was in den vergangenen Jahren nicht gemacht wurde", so Schmidt. Dazu zählen unter anderem die Neubauten von Kindergarten und Feuerwehrhaus, neue Stellen, Geschwindigkeitsmessanlagen, Investitionen ins Wasser- und Abwassernetz sowie Verschönerungsarbeiten. Schmidt nannte weitere Punkte, die er unter "Investitionsstau" subsumierte, beispielsweise bei Kläranlagen, Friedhöfen und an weiteren Stellen. "Alles, was Geld kostet und nicht zwingend nötig ist, wurde nicht gemacht", so Schmidt.Gemeindewerke als Wurzel des Übels
In Kirchheim gibt es neben der Gemeinde die Gemeindewerke, sozusagen eine "Tochterfirma" der Gemeinde. Sie wurde laut Schmidt wie ein eigenständiges Unternehmen gehandhabt. "Beides gehört untrennbar zusammen." Ein Großteil aller kommunalen Gelder seien über die Gemeindewerke gelaufen, in deren Zuständigkeit Wasser, Abwasser, später auch das Schwimmbad, Immobilien sowie Energie und der Wildpark fielen. "Das Dilemma der letzten Jahre ist, dass die Gemeindewerke zuletzt für das Jahr 2015 einen geprüften Jahresabschluss vorliegen haben", sagte Schmidt. Für eine Haushaltsgenehmigung seien aber die Jahresabschlüsse der Gemeinde und der Gemeindewerke notwendig."Organisationsversagen" des Amtsvorgängers
Der zuständige Mitarbeiter war jedoch nicht nur für die Gemeindewerke tätig, sondern zudem auch noch Leiter der Buchhaltung der Gemeinde sowie der Gemeindewerke und hatte zwischenzeitlich auch noch das Bauamt und das Hauptamt in leitender Funktion übernommen. "Diese ganzen Aufgaben kann ein Mensch alleine nicht leisten", konstatierte Schmidt. Dem vorherigen Bürgermeister Manfred Koch warf er deswegen "Organisationsversagen" vor. Der betreffende Mitarbeiter ist zum 31. Dezember 2022 von seinem Amt als Betriebsleiter zurückgetreten und mittlerweile freigestellt."Wir dürfen kein Geld ausgeben"
Die Konsequenz einer vorläufigen Haushaltsführung ist, so Schmidt: "Wir können und dürfen kein Geld ausgeben." Er führte auf, welche Investitionen in den vergangenen Jahren auf der Strecke geblieben sind. Und diese Liste ist lang: Kindertagesstätte, Straßenbau, Machbarkeitsstudien, Sanierungen und die Errichtung von Fotovoltaikanlagen sind nur einige der Punkte, die in Kirchheim nicht umgesetzt werden konnten. "Viele Maßnahmen wurden nicht ausgeführt, das Geld - rund 3,09 Millionen Euro - hingegen trotzdem ausgegeben", so der Bürgermeister. Auch Zuschüsse seien für bestimmte Maßnahmen geflossen - die nicht in Angriff genommen wurden. "Die Zuschüsse wurden für andere Dinge ausgegeben", sagte Schmidt. Er hoffe, dass im Zuge der Aufarbeitung diese Gelder nicht zurückgezahlt werden müssten.Ein weiteres Problem der undurchsichtigen Finanzlage schilderte Schmidt auch: "Wir wissen nicht, welche Zahlen uns aus den letzten Jahren vorliegen. Wir können nicht sagen, ob die Steuern und Gebühren in der Gemeinde aktuell stimmen." Doch mit dem Offenlegen der Problematik sei eine "Initialzündung" gesetzt. "Ab 2024 werden wir eine einheitliche Buchführung haben. Wir haben auch externe Experten mit ins Boot geholt", sagte Schmidt. Jetzt müssten die Jahresabschlüsse der Gemeindewerke nachgeholt und geprüft werden. "Erst dann ist ein genehmigter Haushalt in Sicht".
Unmut aus der Zuhörerschaft
In der anschließenden Fragerunde äußerten einige Bürgerinnen und Bürger ihren Unmut über die aktuelle Situation. Von "Realitätsverlust" und "ein Fall für die Staatsanwaltschaft" reichten die Äußerungen aus dem Publikum. "Wir haben keine Rücklagen", musste Schmidt auf eine entsprechende Frage aus dem Plenum antworten. "Wir wissen nicht, ob wir einen Überschuss oder einen Fehlbetrag haben", ergänzte Tanja Brand. "Ich schließe aber aus, dass in den vergangenen Jahren jemand in die eigene Tasche gewirtschaftet hat", konstatierte der Bürgermeister."Es ist alles gewusst worden. Aber man hat einfach so weitergemacht", so Brand auf die Frage, wo die Kontrollstellen in den vergangenen Jahren waren. "Es hätte in der Verwaltung gehandelt werden müssen." Sie verwies darauf, dass es in einer Kommune nicht nur einen Bürgermeister, sondern auch die Gemeindevertretung gebe.