Realität des Terrors wieder gegenwärtig

Gedenken an Reichspogromnacht: "Immer erinnern, was hier geschehen ist"

Bei der Gedenkfeier am Platz der ehemaligen Synagoge
Alle Fotos: Martin Engel

10.11.2023 / FULDA - Die Gedenkfeier für die Opfer der Reichspogromnacht von 1938 am Platz der ehemaligen Synagoge "Am Stockhaus" bekam in diesem Jahr durch den Krieg in Nahost besondere Aktualität: Die schreckliche Realität des Terrors habe das "Nie wieder!" überholt, der Abgrund von damals sich wieder aufgetan.



Menschen wurden ausgelöscht aufgrund ihres So-Seins als Söhne oder Töchter einer jüdischen Mutter, damals wie heute, erinnerte der Fuldaer Bischof Dr. Michael Gerber. Am 7. Oktober 2023, beim Terrorangriff der Hamas auf Israel, habe sich die furchtbare Dynamik des NS-Regimes wiederholt. Christen seien in doppelter Verantwortung: als Bürger des Staats, in dem das Unsägliche geschehen sei - und als Anhänger einer Religion, die oft genug mitschuldig am Antisemitismus und seinen Folgen gewesen sei. Wer auf das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza aufmerksam mache, müsse eine klare Verbindung zu den Verbrechen der Hamas herstellen, so Gerber.


Dunkles Kapitel in Stadtgeschichte nicht ignorieren

Auch in Deutschland würden die Hamas-Morde bejubelt, Häuser mit Davidsternen beschmiert und Molotowcocktails auf eine Berliner Synagoge geworfen - für Juden sei das Vertrauen zerstört, dass es irgendwo einen sicheren Zufluichtsort gibt, erklärte Wolfgang Hengstler, erster Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Fulda. Angesichts der aktuellen Ereignisse an die Gräueltaten vor 85 Jahren, als eine der traditionsreichsten jüdischen Gemeinden Deutschlands, die Fulda mehrere Jahrhunderte geprägt hat, in kurzer Zeit ausgelöscht wurde, zu erinnern werde immer bedeutsamer, weil nur noch wenige Zeitzeugen übrig seien, mahnte Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld: "In Fulda leben heute beinahe 71.000 Menschen mit 145 Nationalitäten, der überwiegende Teil hat keine Wurzeln über mehrere Generationen in Fulda. Wir müssen immer wieder daran erinnern, was hier geschehen ist!"



Man dürfe dieses dunkle Kapitel der Stadt nicht ignorieren, eine klare Haltung und Positionierung leite sich aus dem Erinnern ab. Die Würde des Menschen, Freiheit und Gleichheit - dies seien Werte des Grundgesetzes, als konkrete Antwort auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus. Diese Werte gelte es nicht nur zu achten, man müsse sich für sie einsetzen, so Wingenfeld.

"Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen!"

"Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen", zitierte Marvin Lange, stellvertretender Dekan des Kirchenkreises Fulda der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck, Martin Bonhoeffer. Zwar würden die Barbarenhorden, die Kinder köpfen, auch beklatscht werden - Gebildete dagegen versteckten sich hinter "Israelkritik". Antisemitismus sei eine Seuche, die seit Mose Zeiten um sich greife - Lange empfahl "zivilisierte Verachtung" als Bewältigungsstrategie, Intolerante dürfe man nicht tolerieren. Imam Ijaz Ahmed Janjua von der Fuldaer Ahmadiyya-Gemeinde verurteilte den Terrorangriff der Hamas aufs Schärfste - jedes unschuldige Leben sei gleich viel wert, auch in der aktuellen Situation sei friedlicher Dialog unerlässlich.



Etliche Mitglieder seiner Gemeinde hätten sich gesorgt, ob sie angesichts der angespannten Situation im Nahen Osten überhaupt zur Gedenkfeier erscheinen sollen, erklärte Roman Melamed, Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde in Fulda. "Der Holocaust, das waren Geschichten meiner Großeltern. Seit dem 7. Oktober ist das Leben anders, die Ereignisse verbinden uns mit der Vergangenheit in Trauer." (mau) +++

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