Die Zeiten haben sich geändert
"Kriegsfähig": Ein Angst machender und dennoch zutreffender Begriff
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01.11.2023 / KOMMENTAR -
Als Kind der (ganz frühen) 60er Jahre habe ich noch einen Hauch dessen mitbekommen, was man damals "Nachkriegszeit" nannte. Mitunter erzählten meine beiden Großväter von ihren Fronteinsätzen in Russland oder in Frankreich, aber nie tiefer gehend. So, als wollten sie die schrecklichen Erinnerungen hinter sich lassen. Und Bunker, sofern sie zugänglich gewesen sind, waren für uns Jugendliche damals ideale Abenteuerspielplätze. - All' die Jahrzehnte schien es so, als lebten wir in einer friedvollen, geborgenen Welt. Was eine Utopie gewesen ist. Denn der Krieg in der Ukraine und seit Kurzem das unheilvolle Geschehen in Nahost haben uns brutal herausgerissen.
Nichts drückt die gegenwärtige Situation besser aus als der Appell von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der vor einigen Tagen gefordert hatte, Deutschland müsse "kriegsfähig" werden. Welch eine Angst machende und doch wachrüttelnde und der Realität angelehnte Formulierung!
In den 70er und 80er Jahren gab es bei der Bundeswehr den sogenannten "Nato-Alarm", den aber niemand so recht ernst nahm. Das Zeitalter der nuklearen Abschreckung ging nicht zuletzt dank Michail Gorbatschows "Perestroika" und "Glasnost" langsam zu Ende, und im Sommer 2011 wurde die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt. Welch' ein fataler Entschluss, wie man im Nachhinein konstatieren muss.
Alleine der Überfall Putins auf die Ukraine hat dafür gesorgt, dass wir brutal unserer Naivität beraubt worden sind. Wer hatte sich vorstellen mögen, dass 78 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf europäischem Boden – und in unserer unmittelbaren Nachbarschaft (!) – wieder Bomben fallen und Panzer rollen würden? Die Wenigsten von uns haben damit gerechnet, dass es 2022 mitten in Europa dazu kommen könnte, dass Menschen ihre Heimat würden verlassen müssen.
Die Realität nicht verdrängen
Der Ukraine-Krieg, diese viel zitierte "Zeitenwende", und gleich bedeutend der Nahost-Konflikt mit all' seinen Schrecknissen zwingen uns dazu, unsere Haltung zu "Krieg und Frieden" und auch zur Bundeswehr neu zu überdenken. Die Augen davor zu verschließen, hieße, die Realität zu verdrängen. Insofern ist Bundesverteidigungsminister Pistorius zuzustimmen, der am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk erklärt hatte, wir müssten "in der Lage sein, Krieg, einen Abwehrkrieg, einen Verteidigungskrieg führen zu können, damit wir es am Ende nicht müssen." Man könne sich nicht auf eine Gefahr einstellen, die man nicht wahrnehme und die man nicht annehme.Für den Heimatschutz
Auch in unserer Region sind im Übrigen erste Schritte in dieser Richtung spürbar: So ist die Stadt Fulda eine Partnerschaft mit der Reserve der Bundeswehr mit dem Ziel des Aufbaus eines Heimatschutzregimentes eingegangen. Und auch OB Dr. Heiko Wingenfeld ist zuzustimmen, wenn er betont, dass uns die aktuellen Ereignisse eines Besseren belehren, wenn wir die Hoffnung gehabt hatten, in einem friedlichen Europa, ja einer friedlichen Welt zu leben.Fazit: Es scheint, als sei die von berührender Naivität geprägte Epoche des "Make Love, Not War" endgültig vorbei. (Bertram Lenz) +++
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