Widerliche Chats im "Itiotentreff"

Gegen Vogelsberger Polizist wird noch wegen NSU.2.0-Drohschreiben ermittelt

Eine Demonstrantin hält das Plakat aus Anlass einer Sitzung des Landtags-Innenausschusses zur Affäre um rechtsextreme Drohschreiben.
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13.10.2023 / REGION VB - War der aus dem Vogelsberg stammende Polizist Johannes S. an der Serie von Morddrohungen gegen eine Frankfurter Rechtsanwältin maßgeblich beteiligt, die mit NSU 2.0 unterzeichnet waren? Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte zwar beteuert: "Hessische Polizistinnen und Polizisten waren zu keinem Zeitpunkt Absender oder Tatbeteiligte der NSU-2.0-Drohmails-Serie". Doch spätestens, seit Jan Böhmermann letzte Woche im "ZDF Magazin Royale" über Einzelheiten des Falls und widerliche Details aus dem Chatverlauf der achtköpfigen Gruppe namens "Itiotentreff" berichtet hatte, gibt es an dieser Aussage erhebliche Zweifel. 



Über den Inhalt des Chats hatte ein Ermittler später gesagt: "Das ist so widerwärtig, da dreht sich einem der Magen um.” Zwar wurde der arbeitslose Berliner Informatiker Alexander M. im November letzten Jahres als alleiniger Urheber der Drohschreiben vom Frankfurter Landgericht zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, aber es bleiben eine Reihe von ungeklärten Fragen und belastenden Indizien gegen den seit 2018 bei vollen Bezügen vom Dienst freigestellten Johannes S., der zur Tatzeit beim 1. Frankfurter Polizeirevier beschäftigt war. Von dort aus waren die Daten von Rechtsanwältin Başay-Yıldız am 2. August 2018 abgefragt und weitergegeben worden. Anschließend hatten Politiker, Anwältinnen, Medienschaffende und Personen des öffentlichen Lebens Beleidigungen und Todesdrohungen erhalten. Dabei wurden private Daten wie Namen von Angehörigen und Adressen verwendet, die nicht öffentlich zugänglich waren. Die waren vorher nachweislich von Computern auf Polizeirevieren in Frankfurt, Wiesbaden und Berlin abgerufen worden. In Frankfurt war zum fraglichen Zeitpunkt die Polizistin Miriam D. eingeloggt, doch deren Passwort war offenbar auch für andere Beamtinnen und Beamte zugänglich gewesen. Die Beamtin gehörte wie ihr Dienstgruppenkollege Johannes S. zur besagten Chatgruppe "Itiotentreff", in der nationalsozialistische, rassistische und frauenfeindliche Nachrichten verschickt wurden.

Obwohl der Fall ja mit der Verurteilung von Alexander M. als "Einzeltäter" vermeintlich abgeschlossen war, ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft doch aktuell noch gegen Johannes S. wegen des Tatverdachts der Bedrohung. Das habe die Staatsanwaltschaft gegenüber dem ZDF Magazin Royale nach mehrfacher Nachfrage und unter Androhung rechtlicher Schritte eingeräumt, hatte Jan Böhmermann berichtet. Zu den zahlreichen Verdachtsmomenten gegen den Polizisten gehört ein gefälschtes Alibi und die Tatsache, dass er am Tag der illegalen Datenabfrage sein Diensthandy ungewöhnlich oft benutzt und dann viele seiner Chatverläufe gelöscht hatte. Und obwohl der angebliche Einzeltäter Alexander M. im Gefängnis sitzt, werden weiter Drohschreiben verschickt, die mit NSU 2.0 signiert sind. 

Basay-Yildiz und ihre Anwältin hatten stets darauf hingewiesen, dass starke Indizien dafür sprächen, dass Johannes S. zumindest zu Beginn der Drohserie der Täter gewesen sei und nicht der verurteilte Alexander M., der für alle Taten verurteilt wurde. Laut Frankfurter Rundschau kritisierten sie, dass sowohl der Innenminister als auch der Oberstaatsanwalt darauf aus gewesen seien, vor allem das Ansehen der Polizei zu schützen. (ci)+++

Ebenfalls bedroht vom Absender \"NSU 2.0\": Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU).
Foto: O|N-Archiv /HMdIS
Plakat an der Fassade des ehemaligen Gefängnisses. Die Frankfurter Rechtsanwältin und ihre Familie waren von unbekannten Tätern bedroht worden, die privaten Adressdaten waren von einem Polizeicomputer abgerufen worden.
picture alliance/dpa | Boris Roessler

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