Strategie Mobilität 2035
Geht es ohne Auto im ländlichen Raum? - Hessen und die Verkehrswende
Ein wenig Klischee - aber die Busanbindung ist im ländlichen Raum unterschiedlich ausgebaut
Fotos: Hans-Hubertus Braune
02.10.2023 / REGION -
Klimawandel, Energiewende und Mobilität sind miteinander eng verknüpft. Die Möglichkeiten der Fortbewegung sind in den vergangenen Jahren deutlich umfangreicher geworden. Der Blick auf die Lebensqualität wächst, vollgestopfte Städte sind out, der ländliche Raum boomt.
Doch der Spagat zwischen Bequemlichkeit und dem Wechsel vom Auto zu einer alternativen Fortbewegung ist schwierig. Grundvoraussetzung ist, dass es adäquate Alternativen gibt. Geht es nach dem Wirtschaftsministerium, dann soll Hessen Vorreiter in Sachen Verkehrswende werden. Die "Hessenstrategie Mobilität 2035" soll den Weg dazu aufzeigen.
Am Mittwoch traf sich die Branche bei einem Mobilitätskongress in Marburg. "Die Frage, wie und womit wir uns fortbewegen, ist eng verknüpft mit der Frage, wie wir leben und wie unsere Städte und Dörfer künftig aussehen sollen", sagte Wirtschfats- und Verkehrsminister Tarek Al Wazir (Bündnis 90/Die Grünen) am Mittwoch bei der Eröffnung des Hessischen Mobilitätskongresses. "Wir wollen die Verkehrswende hin zu einem klimaschonenden, komfortablen und bezahlbaren Verkehrssystem, das alle Verkehrsmittel kombiniert, das Wahlfreiheit bietet und niemandem vorschreibt, wie er oder sie ans Ziel kommt. Das setzen wir in Hessen Stück für Stück um."
Die Umsetzung ist bislang holprig
Die Umsetzung ist allerdings bislang holprig. Und die Frage, inwiefern die ländlichen Gegenden außerhalb der Ballungszentren ernsthaft berücksichtigt werden sollen? Nach wie vor gibt es zumindest außerhalb der vergleichsweise kleineren Städte in unserer Region kaum eine Alternative zum Auto. Radschnellwege sind schön - beispielsweise zwischen Frankfurt am Main und den Schlaf- und Wohnorten im direkten Speckgürtel der Metropole - deren Umsetzung dauert und ist zwischen zwei Dörfern auf dem Land auch nicht zwingend notwendig. Zumal sich schon einiges getan hat, aber vorwiegend aus touristischem Interesse. Laut der Hessenstrategie gibt es in Hessen ein Radverkehrsnetz von 23.000 Kilometern.
Die Busverbindungen sind auf den Hauptlinien recht ordentlich. Wir wollen genauer hinschauen und fragen unsere Leserinnen und Leser, wie es vor ihrer Haustüre aussieht. Was läuft schon recht gut, wo gibt es Verbesserungsvorschläge?
Als Beispiel dient nachfolgende Situation in meiner Region: Zwischen Schlitz (Vogelsbergkreis) und Bad Hersfeld (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) verläuft unter anderem der Fulda-Radweg R 1. An schönen Tagen ist hier mächtig Betrieb. Die Strecke ist größtenteils gut ausgebaut, super ausgeschildert und unterwegs gibt es Unterstellmöglichkeiten und sogar die eine oder andere private Versorgungsstation.
Doch ein Blick auf die Busverbindungen zeigt, wie weit die optimale Verkehrswende entfernt ist. Von Niederaula aus komme ich von früh morgens bis spät abends zumindest stündlich ins elf Kilometer entfernte Bad Hersfeld und von dort mit der Bahn nach Fulda. Erst kürzlich ausprobiert: Fahrzeit Niederaula-Fulda gut eine Stunde, der Bus hatte zwei Minuten Verspätung, der Zug war pünktlich. Kosten ohne Ermäßigung: stolze 14,45 Euro. Gut, das Deutschland-Ticket ist eine sinnvolle Alternative bei öfterem Gebrauch des Nahverkehrs.
Zweieinhalb Stunden Busfahrt für sechs Kilometer
Wenn ich aber mit dem Bus nach Unter-Wegfurth und dann weiter nach Schlitz möchte, dann kann ich auch gleich eine Vogelsberg-Rundreise buchen. Über Alsfeld und Lauterbach, dauert mindestens zweieinhalb Stunden (über Grebenau-Lauterbach) inklusive zwei - bis dreimal umsteigen. Und das bei knapp sechs Kilometern Entfernung bis zur ersten Haltestelle in Unter-Wegfurth, dem ersten Dorf nach der Landkreisgrenze zwischen Hersfeld-Rotenburg und dem Vogelsbergkreis. In dieser Zeit komme ich mit einmal umsteigen in Alsfeld mit der X-Buslinie auch ins rund 100 Kilometer entfernte Marburg.
"Die Mobilität von Menschen und Gütern ist eine der Grundvoraussetzungen wirtschaftlicher Dynamik, sozialer Teilhabe und individueller Freiheit. Wir wollen diese Mobilität sichern - schnell und klimafreundlich, für alle und auf Dauer. Mit einem digital vernetzten Verkehrssystem, das jede und jeden jederzeit schnell und umweltfreundlich ans Ziel bringt", heißt es in der Hessenstrategie. Der Weg dorthin ist aber noch weit - wie das kleine Beispiel zeigt.
Gute Ansätze reichen nicht aus, um die Menschen ernsthaft mitzunehmen. Eine interessante Studie der Universität Kassel im Fachbereich Architektur Stadt- und Landschaftsplanung (ASL) zeigt mit dem Projekt "Neue Mobilität und Mobilitäts-Hubs im ländlichen Raum" weitere Möglichkeiten auf. Der Rathausplatz in Niederaula ist da bereits auf einem guten Weg. Dort vernetzen sich mehrere Buslinien. Mit der Verbindung der Linie 470 zwischen Schwalmstadt und Bad Hersfeld wird eine mögliche Ausweitung des Busverkehrs angestrebt. Zudem gibt es am Rathaus Parkmöglichkeiten und zwei Elektroladestationen für Autos. Ein Ansatz.
Carsharing, E-Bike-Ladestationen, überdachte Fahrradstellplätze und schnelles Internet und W-Lan an allen Haltestellen und Treffpunkten: Das Spektrum der Wünsche und Möglichkeiten ist groß und allein von den Kommunen sicher nicht zu stemmen. Den Pluspunkt an moderner Infrastruktur werden die Speckgürtel-Kommunen ausspielen. Der ländliche Raum wird darauf achten müssen, nicht wieder aufs Abstellgleis zu landen.
Schreiben Sie uns
Haben Sie Vorschläge und Beispiele für eine aus Ihrer Sicht sinnvolle Verkehrswende? Was läuft schon gut und was muss sich ändern, damit es was wird? Schreiben Sie uns Ihre sachliche Meinung an redaktion@osthessen-news.de . (Hans-Hubertus Braune) +++