Mehr Familien sollen an ihr Geld kommen

Bundesregierung beschließt Kindergrundsicherung

Das Bundeskabinett will die geplante Kindergrundsicherung auf den Weg bringen.
Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpac

27.09.2023 / BERLIN - Neben der Bürgergeld-Einführung gehört sie zu den großen sozialpolitischen Vorhaben der Ampel: Nun gibt die Bundesregierung den Startschuss für die Gesetzgebung - nach langem, zähem Streit.



Die Bundesregierung hat die hart umkämpfte Kindergrundsicherung beschlossen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen.

Künftig sollen bisherige Leistungen wie Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder und Kinderzuschlag gebündelt werden. Durch mehr Übersichtlichkeit und eine zentrale Plattform sollen auch Familien erreicht werden, die bisher aus Unkenntnis oder wegen bürokratischer Hürden ihnen zustehendes Geld nicht abrufen. Der Gesetzentwurf muss nun noch Bundestag und Bundesrat passieren.

«Es wird zukünftig endlich bessere, schnellere und direktere Leistungen für alle Familien geben», sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) im Anschluss an den Kabinettsbeschluss. Die Kindergrundsicherung schaffe «einen Systemwechsel - weg von der Holschuld von Bürgerinnen und Bürgern hin zu einer Bringschuld des Staates». Schließlich würden Familien künftig direkt vom Familienservice über mögliche Ansprüche informiert, und die Berechnung und Auszahlung der Leistungen werden einfacher.

Das Vorhaben hatte in den vergangenen Wochen immer wieder für Knatsch in der Ampel-Koalition gesorgt. Insbesondere Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) stritten sich über die Finanzierung - Ende August einigten sich beide schließlich. Im Jahr der Einführung 2025 werden von der Ampel nun zunächst rund 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten veranschlagt.

Aus Regierungskreisen hatte es zudem geheißen, dass bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen der Kindergrundsicherung die Kosten in den Folgejahren auf bis zu sechs Milliarden Euro ansteigen könnten.

Mehr Familien sollen an ihr Geld kommen. 

«Die Unterstützung von Familien wird einfacher, gerechter und zugänglicher», sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann der Deutschen Presse-Agentur. Sie erhielten mit der Kindergrundsicherung endlich die Leistung, die ihnen zustehe. «Gerade Familien mit geringem Einkommen beantragen häufig aus Unkenntnis Unterstützung nicht.»

So erreicht etwa der heutige Kinderzuschlag in Höhe von maximal 250 Euro im Monat nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums etwa jedes dritte anspruchsberechtigte Kind nicht. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) spricht im Zusammenhang mit der Kindergrundsicherung daher auch vom «Einstieg in die Bekämpfung strukturell verfestigter Kinderarmut».

Garantiebetrag plus X

Konkret ist folgendes geplant: Ein sogenannter Garantiebetrag wird für alle Kinder ausgezahlt. Er löst das heutige Kindergeld (aktuell 250 Euro pro Monat) ab. Kinder, die erwachsen sind, aber noch studieren oder in der Ausbildung sind, sollen diesen Garantiebetrag direkt bekommen - anders als das Kindergeld heute, das in der Regel an die Eltern geht. Zu diesem Garantiebetrag hinzu kommt je nach Bedürftigkeit ein Zusatzbeitrag, nach Alter gestaffelt und je nach Einkommenssituation der Eltern. Je weniger sie verdienen, desto höher soll er ausfallen.

Als zentrale Anlaufstellen zuständig sein sollen die heutigen Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit (BA), die schon für das Kindergeld zuständig sind. Sie sollen künftig «Familienservice» heißen und Eltern künftig auch aktiv auf Leistungen hinweisen, die ihnen zustehen. Die Beantragung soll vollständig online möglich sein.

Paus will die Pläne nach der Kabinettssitzung in Berlin vorstellen (1300). Sie und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten lange und hart über die Finanzierung gestritten.

Paus optimistisch bei Kindergrundsicherung ab 2025

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) geht bei der Kindergrundsicherung von einem Start «im Verlauf» des Jahres 2025 aus. «Bleibt es bei der geplanten Verabschiedung zu Beginn des kommenden Jahres, können wir im Verlauf des Jahres 2025 mit der stufenweisen Einführung beginnen», sagte die für Familiensachen zuständige BA-Vorständin Vanessa Ahuja am Mittwoch vor einem erwarteten Beschluss des Bundeskabinetts in Berlin. Die Zeit sei nötig, um etwa die dafür notwendigen, komplexen IT-Lösungen zu programmieren.

«Die BA ist darin geübt, komplexe Gesetzesvorhaben umzusetzen. Wir können diese große Aufgabe stemmen, brauchen dafür aber ab dem Zeitpunkt der Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat eine ausreichende Vorlaufzeit», sagte Ahuja. Sie sicherte zu, die weiteren Schritte bis zur Verabschiedung im Bundestag und im Bundesrat mit voller Kraft begleiten zu wollen.

Bundesfamilienministerin Paus zeigt sich optimistischer und will einen Start zum 1. Januar 2025 gewährleisten. Der Gesetzentwurf, der am Mittwoch im Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden soll und dann noch im Bundestag und im Bundesrat behandelt werden muss, sieht vor, dass ab 2025 verschiedene staatliche Leistungen für Kinder gebündelt werden.

Grüne wollen mehr Geld ausgeben, FDP dagegen

Den Grünen war und ist neben einer Zusammenlegung von Leistungen besonders wichtig, dass diese auch erhöht werden. Die FDP ist eher in Sorge um die Staatsfinanzen und immer höhere Ausgaben und verweist darauf, dass bereits deutliche Anhebungen beim Bürgergeld und Kindergeld in Kraft sind. Paus hatte zuerst 12 Milliarden Euro im Jahr für die Kindergrundsicherung gefordert, Lindner hatte 2 Milliarden Euro veranschlagt.

Geeinigt hat man sich nun laut Gesetzentwurf auf folgenden Finanzrahmen: Für das Startjahr 2025 werden wegen der Kindergrundsicherung Mehrausgaben von etwa 2,4 Milliarden Euro eingeplant. Bei steigender Inanspruchnahme durch die geplante bessere Übersichtlichkeit könnten die jährlichen Mehrkosten auf bis zu 6 Milliarden Euro im Jahr 2028 anwachsen.

Wie beim Bürgergeld wird es regelmäßige automatische Anpassungen nach oben entsprechend der Preisentwicklung im Land geben. Daher sind die Mehrausgaben und die genaue Höhe der Kindergrundsicherung heute noch nicht genau zu beziffern. Paus hatte im August Summen zwischen 530 Euro (für Kinder bis sechs Jahren) bis 636 Euro (für die ältesten Kinder) genannt. Das waren aber nur Schätzwerte. Die genauen Beträge hängen von der Preisentwicklung bis zur Einführung der Leistung ab und vom Einzelfall, je nach Einkommenssituation der Familie.

Mützenich: Rechtliche Prüfung von Kindergrundsicherung zu spät

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, kritisierte, dass die Bundesregierung die Kindergrundsicherung vor dem Kabinettsbeschluss keiner vollständigen rechtlichen Prüfung unterzogen hat.

Er begrüße, dass das Kabinett den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht habe, sagte er laut einer Mitteilung. Bedauerlicherweise sei jedoch die rechtliche Prüfung noch nicht abgeschlossen. Der Bundestag könne erwarten, dass das geschehe, bevor das Gesetz ins Parlament gehe. Das sei wichtig, da die Kindergrundsicherung verschiedene Leistungen, die bisher in anderen Gesetzen geregelt waren, bündele.

Dem Vernehmen nach konnte die Prüfung wegen der Kurzfristigkeit - über das Gesetz war bis zuletzt intensiv verhandelt worden - noch nicht abgeschlossen werden. Sie soll nun aber wohl während des parlamentarischen Verfahrens erfolgen.

Mützenich lehnt das ab. «Ich habe bereits vor Wochen angekündigt, dass ich Gesetzentwürfe, die das Bundeskabinett oder Teile von ihm unter Vorbehalt stellt, nicht im parlamentarischen Bereich akzeptieren werde. Deswegen wird die SPD-Fraktion bis zum Abschluss dieser Prüfung keine parlamentarischen Beratungen beginnen», sagte er. «Wir erwarten, dass die Voraussetzungen dafür von Seiten der Bundesregierung rasch geschaffen werden.»

Verbände sind unzufrieden

Wohlfahrts- und Kinderschutzverbände zeigten sich unzufrieden mit den Gesetzesplänen. Sie hätten sich deutlich mehr Geld gewünscht. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): «Die sogenannte Kindergrundsicherung der Ampel ist schon vor ihrem Beginn an ihrem wichtigsten Ziel, der Bekämpfung von Kinderarmut, gescheitert». Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte der dpa, mit der «Schmalspurvariante der Kindergrundsicherung» werde es nicht gelingen, Kinderarmut ausreichend zu reduzieren.

Bis zur geplanten Einführung 2025 sind noch einige Hürden zu nehmen. Das Vorhaben ist komplex: Die Zusammenlegung der verschiedenen Leistungen zieht Änderungen in unterschiedlichen Bereichen der Verwaltung, Sozial- und Steuergesetzgebung nach sich. Die BA hatte in einer Stellungnahme eine Einführung Anfang 2025 zuletzt als «unrealistisch eingeschätzt».

Nach dem Kabinett müssen Bundestag und Bundesrat zudem erst noch zustimmen. Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, äußerte in den Funke-Zeitungen die Befürchtung, dass die Kindergrundsicherung im weiteren Verfahren in Bundestag und Bundesrat «zusammengestrichen» wird. (dpa) +++

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