Jüdische Geschichte
Tagebuch einer besonderen Woche: Sei das Licht (3)
Fotos: Jutta Hamberger
08.09.2023 / FULDA -
Viele Termine und Exkursionen hält diese Woche für alle bereit. Manches vorgeplant und organisiert, anderes spontan und weil es auf einmal möglich ist. Die Tage sind prall gefüllt und eigentlich immer zu kurz für alles, was man tun möchte.
Aber das, was besonders wichtig ist, kristallisiert sich allmählich doch heraus. Auf Einladung der Stadt treffen sich hier Menschen, die sich sonst nie begegnet werden. Auf ganz wunderbare Weise tun sich immer wieder Verbindungen zwischen diesen Menschen auf. Und man müsste viel mehr Zeit haben, um miteinander zu sprechen. Das Bedürfnis nach Verbindung ist groß, in die Vergangenheit genauso wie in die Zukunft.
Am runden Tisch auf der Esplanade
Kaddish für die Großmutter
"Wenn Du Lump heißt, kann Dein Leben nur eine Richtung einschlagen", sagt mir irgendwann an diesem Abend Regina Carmel. Wir lachen gemeinsam und auch ich finde, dieser Name verpflichtet. Regina und Jordana haben eine ganz besondere Aufgabe am nächsten Tag. Sie wollen einen neuen Grabstein für ihre Groß- bzw. Urgroßmutter aufstellen. Das ist eine zutiefst intime Zeremonie, an der außer der Familie und Roman Melamed niemand sonst teilnehmen wird. Nicht nur intim, sondern gewiss auch erschütternd und aufwühlend. Ich frage mich: Was geschah mit dem alten Stein? Wurde er zerstört, kam er weg? Ja – auchletzteres ist immer eine Möglichkeit, Frau Hohmann hatte am Abend berichtet, dass der älteste Grabstein am Weyherser Friedhof verschwunden sei. Wer tut so etwas? Und was bitte macht man mit einem Grabstein?
Von einem echten Data-Head
Auf nach Point Alpha
Vom Team Winfriedschule sind heute Laura und Johannes dabei, die ich bei früheren Veranstaltungen bereits getroffen habe. Für die beiden gilt wie für die ganze Gruppe, die während dieser Woche unterstützt und begleitet: Supernett, superhilfreich, superkommunikativ. Es ist eine Freude, die beiden an Bord zu haben.Die tödlichste aller Grenzen
Am Modell im blauen Haus erklärt Arthur diese tödlichste aller Grenzen, die kaum zu überwinden war. "Wenn Sie in Filmen sehen, dass es jemand geschafft hat, machen Sie sich bitte klar, dass es sich dabei immer um Ausnahmen handelt", schärft er uns ein. Ich sehe das ungläubige Staunen in den Gesichtern – so hat man sich das hier nicht vorgestellt.
Vorstoß durch das Fulda Gap
Wer in Fulda aufgewachsen ist, ist mit diesem Begriff vertraut. So bezeichneten die US-Streitkräfte das Gebiet bei Fulda und an der innerdeutschen Grenze – sie gingen davon aus, dass hier das Einfalltor bei einem russischen Angriff sein würde. Die Armeen des Warschauer Pakts hätten bei Fulda durchbrechen und dann innerhalb weniger Tage bis ins Rhein-Main-Gebiet vorstoßen können. Im Bus hatte ich erklärt, Point Alpha sei weniger für das bemerkenswert, was hier stattgefunden hätte als für das, was hier verhindert wurde. Die Vorstellung, hier hätten Panzerschlachten stattgefunden und das Schicksal der Nation hätte von deren Ausgang abgehangen, ist noch heute gespenstisch. "Wie in der Ukraine", höre ich jemand leise sagen. Ja, genauso. Die russische Verteidigungsdoktrin damals wie heute heißt Krieg. Das US-Camp, in dem normalerweise 40 Soldaten stationiert waren, beeindruckt sichtlich. Unter den Gästen sind einige, die militärische Erfahrungen haben – da werden Fahrzeuge wiedererkannt, Katriel Fachler erklärt mir, "in so einem war ich auch unterwegs, ich mag die Dinger nicht!"Point Alphas zwei Gesichter werden deutlich an diesem sonnigen Spätsommertag: hier die Verteidiger von Demokratie, Frieden und Freiheit, dort ein unmenschliches System, in dem keiner etwas galt und jeder Widerspruch sofort bestraft wurde. Wir können glücklich sein, dass Point Alpha heute eine Gedenkstätte und kein Observation Point mehr ist. (Jutta Hamberger) +++