War der Täter vermindert schuldfähig?
Prozess wegen Messerstecherei im Schlossgarten wird neu aufgerollt
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01.09.2023 / FULDA -
Eine fast tödliche Messerattacke beschäftigt ab Donnerstag erneut das Landgericht Fulda: Zwei Jahre Haft auf Bewährung nach Jugendstrafrecht lautete das erstinstanzliche Urteil im Februar 2022, nachdem ein 19-Jähriger aus Künzell im September 2021 einen 18-Jährigen im Fuldaer Schlosspark niedergestochen und beinahe tödlich verletzt hatte. Gegen das Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, der Bundesgerichtshof hat das Urteil daraufhin aufgehoben. Das Verfahren steht deshalb zur erneuten Verhandlung vor der 1. Großen Jugendkammer an.
Obwohl der psychiatrische Sachverständige damals zwar zunächst eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten wegen dessen Alkoholkonsums und 2,3 Promille Blutalkohol angenommen hatte, hatte er das nach Abschluss der Beweisaufnahme in seinem Gutachten explizit verneint und ihn stattdessen als voll schuldfähig eingestuft. Zeugen hatten ausgesagt, dass dem 19-Jährigen nicht oder kaum anzumerken gewesen sei, dass er alkoholisiert war. Er habe weder gelallt noch geschwankt. Sein Verhalten nach der Tat sei orientiert und gezielt gewesen. So habe er die Polizei bewusst irregeleitet, indem er angab, sein Messer unten am Bach weggeworfen zu haben, während er es tatsächlich hinter eine Mauer geworfen hatte. Auch hatte er ein anderes Messerfabrikat der Tatwaffe angegeben, weil er wusste, dass der Besitz eines Butterflymessers verboten war. Aus diesen Gründen hatte die Staatsanwältin auf eine Haftstrafe von drei Jahren plädiert. Diesem Antrag war das Gericht aber nicht gefolgt, sondern hatte ihn zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
Der junge Mann schilderte vor Gericht offen und ausführlich, wie sich sein Leben heute von dem zur Tatzeit unterscheidet. Schon während der viermonatigen der Untersuchungshaft habe er entzogen und Suchtberatung und Therapie in Anspruch genommen. Die JVA attestiert ihm, sich dort aufmerksam und motiviert am Unterricht beteiligt zu haben und in seiner Wohngruppe bei Konflikten zu einer sachlichen Lösung beigetragen zu haben. Seither nehme er keine Drogen mehr und trinke nur noch selten Alkohol, sagte er aus. Mittlerweile hat er sein Fachabitur mit Note 2,3 bestanden und möchte im Herbst sein Studium Soziale Arbeit aufnehmen. Die 6.000 Euro, die seine Eltern dem Opfer gezahlt haben, will er ihnen zurückzahlen. Er hat eine neue Beziehung und will bald mit seiner Freundin zusammenziehen. Auch nach seiner Entlassung aus der U-Haft habe er therapeutische Hilfe in Anspruch genommen.
Vier Zeugen sagten anschließend noch einmal zur Tat aus, darunter auch das damalige Opfer. Ob sich die Frage erhellen lässt, wie sehr seine Steuerungsfähigkeit damals durch den Alkoholkonsum beeinträchtigt war, wird sich in den nächsten Verhandlungstagen mit weiteren Zeugenaussagen zeigen. Der Prozess wird am Freitag um 9:30 Uhr fortgesetzt. (ci)+++