Ideenwettbewerb

antonius Quartier: Von der Anstalt über den Campus zum Stadtquartier

V. l.: Günter Habig (Geschäftsführer antonius : gemeinsam leben gGmbH), Daniel Schreiner (Stadtbaurat Fulda), Jana Zander, Annika Walsch, Rainer Sippel (Vorstand Bürgerstiftung antonius : gemeinsam Mensch), Tessa Schneider, Laura Vonhoegen (RWTH Aachen), Lilian Mehlem, Patrick Tetzlaff (Architekturbüro Sichau & Walter), Linda Peled, Canan Çelik (RWTH Aachen), Lisa Cordes, Prof. Dipl.-Ing. Christa Reicher (Lehrstuhl für Städtebau und Entwerfen und Institut für Städtebau und europäische Urbanistik, RWTH Aachen).
Fotos: antonius

03.08.2023 / FULDA - "Wie soll sich das antonius Quartier als ein wichtiger Teil der Stadt Fulda weiterentwickeln?": So lautete die Frage, auf die sieben Studentinnen der RWTH Aachen in ihren Bachelorarbeiten Antworten gesucht haben. Am Montag, 17. Juli 2023, präsentierten sie ihre Entwürfe einem interessierten Publikum.



"Heute geht es um die Zukunft, heute geht es um die nächsten 10, 20, 30 Jahre", erklärte Rainer Sippel, Vorstand der Bürgerstiftung antonius : gemeinsam Mensch, bei seiner Begrüßung der rund 30 interessierten Zuhörer, die im Frühförderzentrum Zitronenfalter zusammengekommen waren, darunter neben Mitarbeitern, Freunden und Nachbarn von antonius auch Fuldas Stadtbaurat Daniel Schreiner. Sippel skizzierte den mittlerweile über 120-jährigen Weg, in dem sich antonius von der Anstalt zum offenen Campus gewandelt habe, und gab das Ziel aus, eines Tages zum Stadtquartier zu werden, denn "wir wollen kein Sondergebiet mehr sein, sondern Teil der Stadt Fulda und der Bürgergesellschaft". Um das zu erreichen, befindet sich antonius in einem steten Prozess, in dem das Hauptgelände in Fulda, das sogenannte antonius Quartier, stadtplanerisch weiterentwickelt wird. Die Arbeiten der Studentinnen, so Sippel, würden dafür wertvolle Impulse liefern.


Vielfältige Idee

Zentraler Aspekt aller Konzepte war es, das antonius Quartier noch weiter für die Fuldaer Bürgerschaft zu öffnen. Zoe Döngens schlug in ihrer Arbeit "Gemeinsam gestalten: Kreatives und inklusives Leben bei antonius" beispielsweise vor, einen Kreativbereich mit Ateliers, Werkstätten und Ausstellungsräumen zu errichten, der dann von Kreativen aus der Region und darüber hinaus bespielt werden könnte. Andere Ideen setzten auf die Ansiedlung von Gewerbe und Start-Ups oder die Einrichtung halb-öffentlicher Räume wie Sportanlagen, die dann nicht nur von antonius, sondern auch von Vereinen genutzt werden könnten. Besonders wichtig war den Studentinnen, das Gelände stärker an das östlich gelegene Münsterfeld anzubinden, um die schon bestehende, gute Nachbarschaft zu stärken.

Da Wohnangebote für Menschen mit Behinderungen eine der wichtigsten Dienste von antonius sind, behandelten alle Arbeiten auch dieses Thema. So setzte Lisa Cordes in ihrer Arbeit "Das Wohlfühlquartier" auf Tiny Houses. In einer Siedlung dieser komplett eigenständigen Häuser mit kleiner Wohnfläche könnte selbstständiges Wohnen für Menschen mit Behinderungen realisiert werden, zugleich könnten die Einheiten aber auch zusammengeschlossen werden, um Gemeinschaft zu ermöglichen.



Großen Raum nahm das Thema Mobilität ein, ist sie doch Grundvoraussetzung für den Austausch zwischen antonius und der Region, und für eine selbstständige Lebensführung der Menschen mit Behinderungen, die bei antonius leben und arbeiten.

Viele der Vorschläge diskutierten deswegen eine vielfältige Mobilität, die neben Pkw auf Fahrräder, ÖPNV und Bewegung zu Fuß setzt. In ihrem Konzept "Das 360°-Quartier" schlug Linda Peled vor, den Busverkehr nicht nur über die Haimbacher Straße, sondern um das Gelände von antonius herumzuführen und drei Bushaltestellen an der St.-Vinzenz-Straße und An St. Kathrin einzurichten. Auch ausgefallene Ideen waren erlaubt. Großes Interesse erregte etwa Peleds Überlegung, eine Brücke von antonius über die Maberzeller Straße und bis in die Fulda-Auen zu konstruieren, um die Innenstadt besser per Fuß und Rad erreichen zu können.

Vor allem auf eine Autofreiheit des Hauptgeländes wurde viel Wert gelegt, um die Wohn- und Aufenthaltsqualität zu erhöhen. Als Lösung schwebte etwa Tessa Schneider in ihrer Arbeit "Work-Life-Balance" ein sogenannter Mobility Hub vor, ein zentraler Ort am Rande des Geländes für den stehenden Verkehr, der Parkplätze, E-Ladestation, Fahrradstellplätze, ÖPNV-Anschluss und andere Verkehrselemente miteinander verbindet, und von dem aus der Rest von antonius dann per Fuß oder Fahrrad erschlossen werden kann.

Der Weg der Öffnung

Die Präsentation der Studentinnen war ein kleiner Baustein einer größeren Entwicklung, die antonius seit einigen Jahren umtreibt und die nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird. Schon seit Längerem verabschiedet sich die Organisation von der Vorstellung einer Behinderteneinrichtung als eigenem, in sich geschlossenem Kosmos und entwickelt sich zu einem Stadtquartier weiter, das der gesamten Fuldaer Bürgerschaft offensteht.



So ist vor bereits 25 Jahren beispielsweise das Frühförderzentrum Zitronenfalter entstanden, dessen Leistungen der gesamten Region zugutekommen. Der antonius Laden und das antonius Café laden zum Einkaufen und Verweilen ein, Veranstaltungen wie Märkte schaffen Begegnungen. Viel Mühe wird darin investiert, Menschen mit Behinderungen Stellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verschaffen, und auch der Bereich Wohnen wird immer weiter umgestaltet, sodass bei antonius längst nicht mehr nur Menschen mit Behinderungen leben.

Diese Öffnung ist ein lebendiges Beispiel praktischer Inklusion, löst sie doch Trennendes zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen auf und erschafft so Mehrwert für alle. Deswegen will antonius den eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen und seinen Charakter als Einrichtung immer weiter verlieren.

Die Arbeiten der Studentinnen zeigten mit ihren vielfältigen Ideen, auf welch große Potenziale hierbei zurückgegriffen werden kann. Das Hauptgelände von antonius kann ein Lernort sein, ein Ort des Glaubens, des Wohnens, ein Ort von Kultur, Sport und Freizeit – und das nicht nur für die Menschen von antonius, sondern für die ganze Region Fulda.

Zwischen Theorie und Praxis

Dass die Ideen der Studentinnen bei der Zuhörerschaft auf offene Ohren stießen, zeigten die zahlreichen Rückfragen nach jedem der Kurzvorträge, die von Professorin Christa Reicher von der RWTH Aachen moderiert wurden. Besonders tat sich hier Stadtbaurat Daniel Schreiner hervor, der mit Eva Bödeker, der Leiterin des Stadtplanungsamtes, gekommen war und bei einzelnen Beiträgen fachkundig und zuweilen auch kritisch nachhakte. Die abschließende Diskussion bewegte sich dann im Spannungsfeld zwischen planerischen Visionen und praktischer Umsetzbarkeit. "Jetzt muss man abschichten", resümierte Schreiner die Ideen der Studentinnen. antonius müsse sich überlegen, wie es sich sein Quartier vorstelle, während die Stadt Fulda dann begleitend dabei sei und schaue, was für die Allgemeinheit getan werden könne. Besonders lobte Schreiner dabei die drei Arbeiten, die versucht hatten, das bestehende Erschließungssystem rund um das Gelände von antonius beizubehalten.

Sebastian Bönisch aus dem Führungsteam von antonius versicherte den Studentinnen, dass ihre Ideen im weiteren Prozess diskutiert würden. "Seid euch gewiss, dass das nichts ist, das nur auf dem Papier steht und dann in Ablage P landet", so Bönisch.

Zum Abschluss der Veranstaltung verabschiedete Günter Habig, ebenfalls Mitglied im Führungsteam von antonius und zuständig für alle Baumaßnahmen bei antonius, die Studentinnen mit lobenden Worten. "Ich glaube, ihr habt verstanden, wie antonius tickt", so Habig, ehe er den Vortragenden kleine Präsente überreichte und sie einlud, im kommenden Jahr noch einmal vorbeizukommen, um darüber zu sprechen, welche Ideen weiter verfolgt wurden. (pm) +++

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