Die Herrin der Requisiten
Doris Engel wacht über alles, was auf der Festspielbühne zum Einsatz kommt
Doris Engel, die Leiterin der Bad Hersfelder Festspiel-Requisite, mit "Lear"-Torten und "Gespenst"-Rüstungen.
Fotos: Christopher Göbel
29.07.2023 / BAD HERSFELD -
Eigentlich ist Doris Engel gelernte Tischlerin und studierte Theaterwissenschaftlerin, aber seit 2016 ist sie die Chefin der Requisiten-Abteilung bei den Bad Hersfelder Festspielen. Ihr "Reich" liegt in direkter Nachbarschaft der Stiftsruine. Dort herrscht eine Art geordnetes Chaos. Zwischen Schwertern, Schaumstoff-Torten und Gießkannen mit Jesus-Konterfei behält Engel den Überblick über alles, was bei den Produktionen auf der Festspielbühne benötigt wird.
"Requisiten sind sehr wichtig für die Atmosphäre eines Theaterstückes", sagt die Wahl-Berlinerin, die ursprünglich aus München stammt. Sie und ihr Team sind für alles zuständig, was auf der Bühne zum Einsatz kommt, wenn es nicht direkt zu Bühnenbild oder Kostüm gehört. "Beim 'Club der toten Dichter' ist alles sehr kleinteilig. Bei 'König Lear' ist es weniger und bei 'Das kleine Gespenst' war es unendlich viel", erzählt Doris Engel.
Doch woher kommen Brillen, Pokale oder die Torte, die auf offener Bühne massakriert wird? "Wir haben inzwischen einen großen Fundus aufgebaut", so Engel. Vieles kauft sie ein, früher auf Flohmärkten, heute auch über das Internet. "Oft hilft es bei Preisverhandlungen, wenn man sagt, dass es fürs Theater ist", sagt sie schmunzelnd. Manche Ausstattungsstücke werden bei anderen Theatern ausgeliehen, beispielsweise die Ritter-Rüstungen aus "Das kleine Gespenst". Aber das Leihen hat seine Tücken: "Wir arbeiten unter freiem Himmel. Da kann nicht garantiert werden, dass alles einwandfrei zurückgegeben werden kann."
Und manchmal spielen auch äußere Umstände eine Rolle, die Engel das Leben etwas schwerer machen: Die mit Apostel-Gesichtern bedruckten Shirts für "Jesus Christ Superstar" beispielsweise kommen aus China und lagen wochenlang beim Zoll. Im Idealfall stimmt Engel bereits vor Beginn der Probenzeit im späten Frühjahr mit den Regisseuren ab, welche Requisiten für ein Theaterstück gebraucht werden. Je mehr bereits bei den Proben vorhanden ist, desto einfacher ist die Arbeit für die Schauspieler.
Wie sie die Requisiten dann gestaltet, liegt oft in ihrer kreativen Verantwortung. "Ich möchte gerne Antworten aus erster Hand haben, was benötigt wird", sagt sie. Doch mit Herstellung und Gestaltung ist es nicht getan, denn die Requisiten müssen bei jeder Aufführung zur genau richtigen Zeit am richtigen Ort sein. "Wir sind bei jeder Aufführung zu zweit dabei, um für alles zu sorgen", sagt Engel. Das sei bei manchen Stücken einfacher, bei Musicals wie "Goethe!" hätte vieles "auf den Punkt" bereitliegen müssen. Bei diesem Musical sei auch eine hohe Reparaturrate zu verzeichnen gewesen, denn bei der Schnelligkeit von Szenenwechseln und Umzügen würden manche Requisiten hinter der Bühne "einfach irgendwo hingeworfen". Die Bücher, die zu Vögeln wurden, habe sie sehr oft instandsetzen müssen, erinnert sie sich. Von der Torte in "König Lear" gibt es drei Exemplare, denn sie wird vom Tisch gekickt und muss dementsprechend immer wieder repariert werden.
Manchmal verschwinden Dinge auch einfach. "Bei einer Probe haben wir tatsächlich den großen Kühlschrank vom 'Club der toten Dichter' nicht mehr gefunden", sagt sie lachend. Der Bühnenmeister sowie mehrere Mitarbeiter von Bühnentechnik und Requisite seien eine ganze Weile auf der Suche gewesen. "Schließlich haben wir ihn auf der Seitenbühne entdeckt. Er war total eingebaut mit anderen Bühnenbild-Teilen." Was sie sehr oft suchen müsse: Bühnen-Besen. "Die verschwinden fast immer. Manche benutzen sie auch einfach als Besen und stellen ihn dann in irgendeine Ecke", so die Requisiten-Chefin.
Manche Requisiten werden auch während der Stücke gegessen oder getrunken. Beispielsweise die große Geburtstagstorte, die König Lear unter seinen Töchtern verteilt. "Das Grundgerüst besteht aus Schaumstoff und Styropor. Für den essbaren Teil kreiere ich für jede Aufführung eine Torte aus Milchbrötchen, Quark und Schlagsahne, damit sie wirklich genießbar ist", erzählt Doris Engel. Und wenn Mister Keating einen edlen Tropfen zu sich nimmt, dann ist es weniger Whisky als vielmehr Eistee oder gefärbtes Wasser.
"Mit Realismus kommt man nicht weit"
Für die Bad Hersfelder Festspiele hat Engel eine Vielzahl von Requisiten hergestellt. "Bei Dieter Wedel hat die Ausstattung der Film-Einspieler viel Spaß gemacht", erinnert sie sich. Und auch das Boot in "Shakespeare in Love" zu gestalten, sei eine große Freude gewesen. "Es ist wichtig, dass die Requisiten auf der Bühne echt wirken. Mit Realismus kommt man meist nicht weit", erzählt die erfahrene Requisiten-Chefin.
Manche Requisiten werden immer wieder benutzt. Brillen, Portemonnaies oder Geschirr hat sie im Fundus, Schwerter ebenso und ein "toter Hahn" baumelt an der Decke ihrer Werkstatt. "Vieles haben wir, aber für manche Produktionen fragen wir auch öffentlich nach, ob uns etwas zur Verfügung gestellt werden kann", so Engel. Eine Beinprothese, echte Federbetten für "Anatevka"oder zahlreiche alte Koffer für "Emil und die Detektive" hätten durch Such-Aufrufe ihren Weg auf die Theaterbühne gefunden.
Der Job von Doris Engel und ihrem in diesem Jahr vierköpfigen Team sei "manchmal sehr anstrengend". Aber: "Es macht mir sehr, sehr viel Spaß", so Engel. Und so ist sie im inzwischen achten Jahr bei den Bad Hersfelder Festspielen. "Eigentlich arbeiten wir den ganzen Sommer unter freiem Himmel", so Engel. Denn wer an den Parkplätzen neben der Stiftsruine vorbeigeht, kann manchmal einen Blick in die Requisite erhaschen, und sieht, dass ein Großteil von Doris Engels Werkstatt offen und nur von einem Wellblechdach gegen das Wetter geschützt ist.
Requisiten-Flohmarkt Ende August
Manchmal müsse man sich auch von Requisiten trennen. Im Jahr 2020, als wegen der Coronapandemie keine "richtigen" Festspiele stattfinden konnten, gab es in der Krypta der Stiftsruine einen Basar, bei dem nicht mehr benötigte Festspiel-Requisiten zum Kauf angeboten wurden. Und auch in diesem Jahr ist geplant, innerhalb des Flohmarkt-Sonntags am letzten Festspiel-Wochenende (27. August) einige der Requisiten zu verkaufen.
Bis dahin kümmern sich Doris Engel und ihr Team weiterhin mit großem Engagement darum, dass die Schauspieler auf der Bühne alles haben, was sie für die jeweiligen Szenen brauchen. Und bis zum 26. August wird sie dann ihre 26. "Lear"-Torte gebacken haben. (Christopher Göbel) +++