Glosse zur Großwildjagd

Als wär's ein Sommermärchen: Die Löwin, die (wohl) ein Wildschwein war

Polizisten im Bereich der südlichen Landesgrenze von Berlin. Auf Löwenjagd.
Foto: Fabian Sommer/dpa

21.07.2023 / BERLIN - Zunächst die Fakten: Etwa 30 Stunden lang ist in Berlin und Brandenburg nach einer Löwin gesucht worden, hunderte Polizisten waren beteiligt. Nun hat sich die vermeintliche Löwin wohl als Wildschwein entpuppt.  Es gebe keine Gefährdungslage mehr, sagte der Bürgermeister der brandenburgischen Gemeinde Kleinmachnow, Michael Grubert (SPD), bei einer Pressekonferenz.



Die Polizei bestätigte diese Einschätzung. Sämtliche Suchmaßnahmen hätten keine Hinweise ergeben. Auch eine Analyse des weithin bekannten Videos habe gezeigt, dass darauf wohl keine Löwin zu sehen sei - sondern wahrscheinlich ein Wildschwein. "Nach allem menschlichen Ermessen gehen wir davon aus, dass es keine Löwin ist", sagte Grubert.

Bereits zuvor hatten sich die Zweifel an der Löwen-Theorie gehäuft. Mehrere Experten hatten ihre Skepsis geäußert, etwa der Berliner Wildtierexperte Derk Ehlert. Er sagte dem RBB-Inforadio laut dpa, dass er auf dem Video lediglich zwei Wildschweine von links nach rechts laufen sehe.

Dazu eine Glosse von O|N-Redakteur Bertram Lenz:

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Nichts könnte die Situation besser skizzieren als dieses Sprichwort. Denn: Was hat man sich nicht alles vorzustellen gewagt bei den ersten Meldungen, wonach eine Löwin durch Berlin streife und dabei sogar gesehen worden sei, wie sie ein Wildschwein (!) erlegte. Dessen Überreste im Übrigen nie gefunden werden konnten. Weil es sie anscheinend gar nicht gab. Ebenso, wie sich das ominöse Video als Fake entpuppen dürfte, was im Zeitalter von Fake News und Künstlicher Intelligenz (KI) ja auch nichts Neues wäre. 

Gleichwohl wurden bei den ersten Meldungen recht schnell Kindheitserinnerungen wach an die Fernsehsendung "Daktari", in der ein schielender Löwe - Clarence - eine der Hauptrollen spielte. Und vor dem inneren Auge liefen Bilder ab, wie Jeeps, besetzt mit bis an die Zähne bewaffneten Großwildjägern, ähnlich einer Safari durch die Berliner Savanne jagten, um das Tier zu erlegen. Beziehungsweise zu betäuben. 

Nun hat sich die Löwin also - reichlich profan - wohl als Wildschwein entpuppt. Und, was fällt einem dazu sogleich ein? "Der Winter, der ein Sommer war", beispielsweise. Oder: "Der Berg kreißte - und gebar ein Schwein". Oder, oder, oder ...

Fakt ist, und das macht die ganze Angelegenheit trotz des immensen Aufwandes und der hohen Kosten irgendwie skurril, dass ein solches Geschehen eigentlich in keiner anderen Stadt hätte spielen können als in ... Berlin! Denn die Bundeshauptstadt ist seit Jahren voll von hanebüchenen Meldungen, sodass diese tierische Geschichte perfekt passt.

Nehmen wir nur das Debakel um die Wahl zum Abgeordnetenhaus, die wiederholt werden musste. Vieles in Berlin ist Stückwerk und wird durch vermeintlich großstädtisches Auftreten zu überdecken versucht, wie das Schlagzeilen trächtige Hin und Her um die "alte Dame" Hertha BSC und ihren inzwischen gescheiterten Großinvestor. Mittlerweile ist der Verein aus dem siebten Himmel auf dem steinigen Boden der Tatsachen gelandet und  - abgestiegen. Genauso ergeht es eigentlich der ganzen Stadt: Hochtrabende Pläne, die sich im Endeffekt als Luftnummern entpuppen. Um hier im Bild zu bleiben, genügen die drei Buchstaben BER.

Fazit: Das Löwen-Wildschwein als erster Beitrag zum "Sommerloch", ähnlich dem Ungeheuer von Loch Ness oder "Schnappi". Letzteres war zwar ein Krokodil, avancierte aber auch schnell zum Hit. (Bertram Lenz) +++

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