Festspiel-Premiere "Jesus Christ Superstar"
Im Angesicht des Kreuzes: Ergreifende (Leidens)-Szenen voller Dramatik
Fotos: Carina Jirsch
03.07.2023 / BAD HERSFELD -
Was gut ist, sollte (irgendwann) wiederkommen: Gemäß diesem Grundsatz, und weil die Rufe immer vernehmbarer wurden, hatten sich die Verantwortlichen der diesjährigen Bad Hersfelder Festspiele dazu entschlossen, das 1971 entstandene Rockmusical "Jesus Christ Superstar" von Andrew Lloyd Webber wieder ins Programm zu nehmen.
Eine vortreffliche Entscheidung, wie die begeisterten Reaktionen auf die Premiere am Samstagabend bewiesen. Dies liegt freilich auch an den Liedern, von denen es dank ihres Texters Tim Rice und des Komponisten Lloyd Webber einige zu veritablen Hits der Pop- und Rockgeschichte geschafft haben. Beispielhaft sei "I don't know how to love him" genannt.
Für die diesjährige Inszenierung, nicht in der englischen Originalversion, sondern in deutscher Übersetzung (Anja Hauptmann), zeichnet Stefan Huber verantwortlich. Dieser kann sich nicht nur auf die exzellente musikalische Begleitung durch das Orchester der Bad Hersfelder Festspiele unter Christoph Wohlleben stützen, sondern auf ein insgesamt herausragendes Ensemble. Dieses vermag die Atmosphäre von anfänglicher Aufbruchstimmung, tragischer Zerrissenheit, Häme und Trauer, mit der "Jesus Christ Superstar" die letzten Tage der Passionsgeschichte schildert, packend und mitreißend zu vermitteln.
Schicksalhaftes Ende im Regen
Was unter eher ungünstigen Bedingungen geschieht, denn kurz vor Beginn hatte es geregnet, so dass der Boden zunächst trocken gewischt werden musste. Dann aber hielt sich das Nass zurück, bis es parallel zum dramatischen Finale leider wieder heftig zu schütten begann. Dem eindringlichen Spiel tat dies freilich keinen Abbruch, zumal das alles überwältigende Bühnenbild (Okarina Peter und Timo Dentler) seinen Teil dazu beitrug, dass diese zutiefst intensiv-intimen Momente in Erinnerung bleiben werden. Davon später mehr.Inszenierung lebt von Gegensätzen
Von der erwähnten hippiesken Atmosphäre des Anfangs wird im zweiten Teil des Abends kein Schimmer mehr sein; parallel dazu steigert sich das Ensemble immer mehr in eine beklemmend und zugleich grandiose Darbietung, die ihren ersten Höhepunkt findet in einer mehrminütigen Klage, wenn Jesus in den Gärten von "Gethsemane" sich in sein Schicksal fügt und seinen nahen Tod akzeptiert. Andreas Bongard versteht es in gerade dieser Szene, dem Publikum das nahe Grauen und die Furcht davor erschreckend brutal zu vermitteln. Er schreit seine Todesfurcht schrill heraus, um dann diese Töne des Leidens unvermittelt abzubrechen. Bongard gibt seinen Jesus als leidenschaftliche Persönlichkeit, die auch gewalttätig zu werden vermag, wenn es gilt, die fliegenden Händler aus dem Tempel zu werfen.Wie bereits erwähnt, belohnte das Publikum die zweieinhalbstündige Aufführung (inklusive Pause) mit überwältigendem Applaus, der neben der (musikalischen) Darstellungskunst besonders auch dem ausgefeilten Bühnenbild galt. Denn ein überdimensionales Kreuz bietet die perfekte Plattform für Spiel und Choreografie (Melissa King).
Die Deutung der Figur des Titelhelden war laut Okarina Peter auch für die Kostüme die Hauptinspiration: So sind Jesu' Anhänger in T-Shirts mit Heiligenbildern gekleidet, und elf der zwölf Apostel haben individuelle Ausschnitte des Abendmahls von Leonardo da Vinci auf ihren bedruckten Oberteilen. Judas dagegen trägt von Beginn an das Bild des Kusses, durch den er Jesus verrät, auf seinem Gewand. Herodes' Mantel wiederum zeigt das Gemälde "Die Kindermorde" von Rubens.
Fazit: Alle Mitwirkenden bescheren dem Publikum einen überwältigenden Theaterabend, der in Erinnerung bleiben wird. Und der - einmal mehr - zum Nachdenken darüber anregt, wie schnell Volkes Begeisterung umzuschlagen vermag, von "Hosianna" in "Kreuzige ihn!" (Bertram Lenz) +++
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