Festspiel-Premiere "Jesus Christ Superstar"

Im Angesicht des Kreuzes: Ergreifende (Leidens)-Szenen voller Dramatik

Eine packende Inszenierung: "Jesus Christ Superstar" feierte am Samstagabend Premiere in Bad Hersfeld. Im Vordergrund Andreas Bongard als Jesus.
Fotos: Carina Jirsch

03.07.2023 / BAD HERSFELD - Was gut ist, sollte (irgendwann) wiederkommen: Gemäß diesem Grundsatz, und weil die Rufe immer vernehmbarer wurden, hatten sich die Verantwortlichen der diesjährigen Bad Hersfelder Festspiele dazu entschlossen, das 1971 entstandene Rockmusical "Jesus Christ Superstar" von Andrew Lloyd Webber wieder ins Programm zu nehmen. 



Eine vortreffliche Entscheidung, wie die begeisterten Reaktionen auf die Premiere am Samstagabend bewiesen. Dies liegt freilich auch an den Liedern, von denen es dank ihres Texters Tim Rice und des Komponisten Lloyd Webber einige zu veritablen Hits der Pop- und Rockgeschichte geschafft haben. Beispielhaft sei "I don't know how to love him" genannt. 

Zur Erinnerung: Das Stück war bereits in 2002 und - wegen des überwältigenden Erfolges beim Publikum - auch 2003 in der Stiftsruine gezeigt worden. In den Hauptrollen damals: Yngve Gasoy-Romdal (Jesus) und Anna Montanaro (Maria Magdalena).  


Für die diesjährige Inszenierung, nicht in der englischen Originalversion, sondern in deutscher Übersetzung (Anja Hauptmann), zeichnet Stefan Huber verantwortlich. Dieser kann sich nicht nur auf die exzellente musikalische Begleitung durch das Orchester der Bad Hersfelder Festspiele unter Christoph Wohlleben stützen, sondern auf ein insgesamt herausragendes Ensemble. Dieses vermag die Atmosphäre von anfänglicher Aufbruchstimmung, tragischer Zerrissenheit, Häme und Trauer, mit der "Jesus Christ Superstar" die letzten Tage der Passionsgeschichte schildert, packend und mitreißend zu vermitteln. 

Schicksalhaftes Ende im Regen

Was unter eher ungünstigen Bedingungen geschieht, denn kurz vor Beginn hatte es geregnet, so dass der Boden zunächst trocken gewischt werden musste. Dann aber hielt sich das Nass zurück, bis es parallel zum dramatischen Finale leider wieder heftig zu schütten begann. Dem eindringlichen Spiel tat dies freilich keinen Abbruch, zumal das alles überwältigende Bühnenbild (Okarina Peter und Timo Dentler) seinen Teil dazu beitrug, dass diese zutiefst intensiv-intimen Momente in Erinnerung bleiben werden. Davon später mehr.   

Zu Beginn der zweieinhalbstündigen Aufführung wird dem Publikum ein wenig das Gefühl vermittelt, im Musical "Hair" zu sitzen, das drei Jahre vor "Jesus Christ Superstar" entstanden war. Da wirbeln langmähnige und kunterbunt gekleidete Gestalten ausgelassen über die Bühne, tanzen und singen fröhlich vor sich hin - einem Hippie-Happening nicht unähnlich. In diese schrillen Momente aber mischen sich bereits die ersten Anzeichen des am Horizont aufziehenden Unheils.

Dieses drückt sich vornehmlich aus in der Figur des Judas, der gemeinhin als Verräter Jesu erachtet wird und DIE Unperson schlechthin ist. Sein Handeln ist die Klammer, die das Stück hält. Tim Al-Windawe gibt diese ambivalente Persönlichkeit sehr ausdrucksstark, seine am Ende nachvollziehbare Verzweiflung über das eigene Tun erschreckt und fasziniert gleichermaßen. 

Inszenierung lebt von Gegensätzen

Von der erwähnten hippiesken Atmosphäre des Anfangs wird im zweiten Teil des Abends kein Schimmer mehr sein; parallel dazu steigert sich das Ensemble immer mehr in eine beklemmend und zugleich grandiose Darbietung, die ihren ersten Höhepunkt findet in einer mehrminütigen Klage, wenn Jesus in den Gärten von "Gethsemane" sich in sein Schicksal fügt und seinen nahen Tod akzeptiert. Andreas Bongard versteht es in gerade dieser Szene, dem Publikum das nahe Grauen und die Furcht davor erschreckend brutal zu vermitteln. Er schreit seine Todesfurcht schrill heraus, um dann diese Töne des Leidens unvermittelt abzubrechen. Bongard gibt seinen Jesus als leidenschaftliche Persönlichkeit, die auch gewalttätig zu werden vermag, wenn es gilt, die fliegenden Händler aus dem Tempel zu werfen. 

Die "Gethsemane"-Episode aber ist zweifelsohne ein Fixpunkt dieser Inszenierung, die überhaupt von Gegensätzen lebt: Auf der einen Seite die brutale Verzweiflung und das ohnmächtige Sich-Fügen, auf der anderen Seite durchaus komödiantische Szenen wie eine schrill-exaltierte Darbietung von Herodes und seinem Hofstaat. Da steppt dann im besten Wortsinne "der Bär", brechen sich zugleich Verderbnis und Lüsternheit Bahn. Eine tolle Slapstick-Einlage.

Neben den beiden genannten Darstellern Andreas Bongard und Tim Al-Windawe sind es besonders Sidonie Smith als Maria Magdalena, Frank Winkels als Pontius Pilatus und Matthias Graf als Kaiphas, die aus dem durchweg sehr harmonisch agierenden Ensemble hervorstechen und ihrerseits Akzente setzen. Das Zusammenspiel funktioniert prächtig, die Stimmgewalt tut ihr Übriges. Auch wenn man sich gewünscht hätte, und dies als kleine Einschränkung, Maria Magdalena würde etwas weniger unterkühlt agieren.

Wie bereits erwähnt, belohnte das Publikum die zweieinhalbstündige Aufführung (inklusive Pause) mit überwältigendem Applaus, der neben der (musikalischen) Darstellungskunst besonders auch dem ausgefeilten Bühnenbild galt. Denn ein überdimensionales Kreuz bietet die perfekte Plattform für Spiel und Choreografie (Melissa King). 

Die beiden Bühnenbildner Timo Dentler und Okarina Peter, auch kreativ tätig in puncto Kostüme, hatten im Vorfeld betont: "Das Musical in einer Kirche wie der Stiftsruine zu spielen, hat uns dazu verleitet, den Ort in seiner ursprünglichen Funktion einzubeziehen. So kam es zu dem zehn Meter langen und sechs Meter breiten Kreuz, das als Bühne, aber zum Beispiel auch als Tisch für die Abendmahl-Szene verwendet wird."  Der Kreuzsteg ist auf einer fahrbaren Konstruktion gebaut, sodass das Ensemble ihn im Spiel bewegen kann.

Die Deutung der Figur des Titelhelden war laut Okarina Peter auch für die Kostüme die Hauptinspiration: So sind Jesu' Anhänger in T-Shirts mit Heiligenbildern gekleidet, und elf der zwölf Apostel haben individuelle Ausschnitte des Abendmahls von Leonardo da Vinci auf ihren bedruckten Oberteilen. Judas dagegen trägt von Beginn an das Bild des Kusses, durch den er Jesus verrät, auf seinem Gewand. Herodes' Mantel wiederum zeigt das Gemälde "Die Kindermorde" von Rubens.

Fazit: Alle Mitwirkenden bescheren dem Publikum einen überwältigenden Theaterabend, der in Erinnerung bleiben wird. Und der  - einmal mehr - zum Nachdenken darüber anregt, wie schnell Volkes Begeisterung umzuschlagen vermag, von "Hosianna" in "Kreuzige ihn!" (Bertram Lenz) +++

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