"Ländlicher Raum ist nicht Berlin"

Auf dem Weg zum klimaneutralen Mittelstand: Klimadiesel bei RHV eingeführt

Von links: Spediteur Butterweck, RHV-Geschäftsführer Kirchner, Landtagsabgeordneter Müller
Fotos: Marius Auth

02.06.2023 / EICHENZELL - Die Tankstelle der Raiffeisen Handels- und Vermittlungsgesellschaft im Industriepark Rhön liegt an einer Verkehrsschnittstelle - tausende von Lastkraftwagen aus dem ganzen Bundesgebiet füllen hier ihre Tanks,  ab heute auch mit klimafreundlichem Diesel. Der ist allerdings 20 Cent teurer als normaler Diesel - um die Klimaneutralität dem Mittelstand schmackhaft zu machen, braucht es Anreize vom Staat.



In Eichenzell befindet sich die Zentrale des Handelsunternehmens: 17 Tankstellen, dazu vier Bio-LNG-Tankstellen im Umkreis von 250 Kilometern werden inzwischen betrieben. 60 Mitarbeiter erwirtschaften einen Jahresumsatz von 220 Millionen Euro. Die übergeordnete Raiffeisen Waren GmbH macht drei Milliarden Umsatz im Jahr, Geschäftsführer Mario Soose ist ebenso zur Klimadiesel-Premiere gekommen wie Spediteur Arwed Butterweck, Niederlassungsleiter der L.I.T. Cargo GmbH in Baunatal. Trotz des freudigen Ereignisses - der Klimadiesel ist bis zu 90 Prozent klimaneutral, weder Fahrzeuge noch Tankstellen müssen umgerüstet werden - ist die Stimmung verhalten:

"Damit der Klimadiesel gewerblich eine echte Chance hat, müsste die CO2-Einsparung über die Maut angerechnet werden, außerdem dürfte er nicht als Mineralölprodukt besteuert werden. Wir wollen mit der Einführung vor allem zeigen, dass Klimaschutz für den Mittelstand funktioniert - für die Rentabilität ist der Gesetzgeber verantwortlich", erklärt Reinhard Kirchner, Geschäftsführer vor Ort. Der "KlimaDiesel 90" verursacht bis zu 90 Prozent weniger CO2-Neuemissionen, ist 100 Prozent erdölfrei, weist die selben guten Verbrauchswerte auf wie konventioneller Diesel - Klimaschutz an der Zapfsäule.

Investition abhängig von staatlicher Förderung

Deswegen will auch Thomas Lang, Geschäftsführer der RhönEnergie Fulda Verkehrsbetriebe, sich die Einführung des "grünen Diesels" bei RHV nicht entgehen lassen: Mehr als 200 Linienbusse fahren für die RhönEnergie, darunter sieben Elektrobusse. "Die gesetzlichen Vorgaben und der Trend gehen in Richtung Dekarbonisierung. Die Investitionen sind abhängig von der staatlichen Förderung - deswegen ist Elektromobilität momentan attraktiver."



1.400 Lastkraftwagen fahren für die L.I.T. Cargo GmbH im niedersächsischen Brake. Klimaneutral wollten alle, aber möglichst nichts dafür zahlen, erklärt Butterweck, Niederlassungsleiter in Baunatal: "Vor allem die Werke versuchen, die Verantwortung auf die Spediteure abzuschieben, die sollen die Angelegenheit für sich regeln. Und in Brüssel wird derweil schon Euro 7 ausgeheckt. Wir brauchen dringend Planungssicherheit für die Branche, sonst tappen wir im Dunkeln." Teuer angeschaffte Flüssigerdgas-Lkw würden einfach stehengelassen, wenn die LNG-Preise am Markt nach oben gehen.

Neben Eichenzells Bürgermeister Johannes Rothmund sind auch die Landtagsabgeordneten Thomas Hering (CDU) und Sebastian Müller (CDU) an der RHV-Tankstelle erschienen. Müller warnt davor, die Energiewende auf Kosten der Autarkie umzusetzen: "Die Abhängigkeit vom Ausland ist ein großes Risiko, wie sich beim Thema Düngemittel gezeigt hat. Das ist ähnlich wie bei den Gaslieferungen aus Russland. Wir dürfen uns nicht mit Scheuklappen auf den Weg begeben." Das Heizen mit Holz spiele gerade im ländlichen Raum weiter eine große Rolle.


"Ländlicher Raum ist nicht Berlin"

Die Berücksichtigung der regionalen Rahmenbedingungen und des Mittelstandes dürfe nicht aus den Augen verloren werden, kritisiert Soose, Geschäftsführer der Raiffeisen Waren GmbH: "Die Welt im ländlichen Raum ist anders als die in Berlin, das scheint die jetzige Regierung zu vergessen. Bei Heizöl kann ich mit dem Tankwagen direkt beim Unternehmen vorfahren, eine Pelletlieferung ist ähnlich flexibel. Bei Gas ist die Lieferung schon leitungsabhängig."

Verlässliche Rahmenbedingungen fürs produzierende Gewerbe seien unerlässlich, mahnt Eichenzells Bürgermeister Rothmund: "Sonst droht uns eine Abwanderungswelle." Allein im Industriepark Rhön mit inzwischen 70 Betrieben sind mehr als 3.000 Beschäftige tätig. (mau) +++

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