Konzertreihe im Radom
Von Elektrokampf zu Technikreflexion: Frank Tischer entgrenzt Raum und Zeit
Fotos: Marius Auth
30.05.2023 / GERSFELD (RHÖN) -
Das Radom ist kugelförmiges Überbleibsel des Kalten Krieges in der Rhön - und seit 2011 Konzertsaal von Frank Tischer. Der hat der Glasfaserhülle inzwischen eine ganze Konzertreihe auf den runden Leib geschrieben, dessen akustische Eigenschaften sein musikalisches Schaffen nachhaltig beeinflusst haben.
Meditative Grundstimmung
Als Robert Moog in den 1960er-Jahren den Grundstein für die analoge Klangsynthese mit seinen heute legendären Synthesizern legte, bediente er sich ähnlicher Prinzipien: Ein durch einen Oszillator erzeugter Ton wird nach Wunsch gefiltert, verstärkt und moduliert. Die beliebige elektronische Veränderung von Klangfarbe und Klangverlauf eröffnet neue Möglichkeiten und wird zum Stilmittel, zusammen mit stakkatohaftem Arpeggieren und Sequenzieren einfacher Tonfolgen: Wiederholung und Variation eingängiger Motive schaffen eine meditative Grundstimmung, den Sound von Kult-Bands wie "Kraftwerk" und "Tangerine Dream" - und Inspiration für Generationen von Hobbyisten, sich regelrechte Synthesizer-Burgen im Hobbykeller aufzubauen.Eine Woche im Radom eingeschlossen
2004 kauft die Stadt Gersfeld das militärische Gelände, 2007 wird das Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Und Tischer gefragt, ob er nicht das Radom antesten will - als Konzertsaal. "Ich habe mich eine ganze Woche eingeschlossen - die Örtlichkeit als solche atmet ja schon Geschichte, aber akustisch ist das etwas ganz Anderes: Durch die sphärische Glasfaserhülle gibt es ein sechzehnfaches Echo, mit beinahe zwei Sekunden Verzögerung - ein Effekt, der das immersive Erleben für die Zuhörer noch verstärkt. Aber ich musste ausprobieren, welche Frequenzen und Tempi damit überhaupt funktionieren."Seit 2011 finden regelmäßig "Galaxos"-Konzerte Tischers im Radom statt - "keine Kirche, kein Gasometer und keine Höhle kommt bei der Akustik mit - aber die Musik muss genau auf die Bedingungen angepasst sein, sonst gibt es Chaos." Schon das "Kugelauditorium" von Nachkriegsavantgardist Karlheinz Stockhausen für die Weltausstellung 1970 in Osaka bediente sich des sphärischen Resonanzraums, zusätzlicher 12-Kanal-Klang führt im Kaltkrieg-Relikt zur völligen Entgrenzung der Musik: Die Kompositionen scheinen frei zu schweben, Fragmente von Funkverkehr und Fluglärm im akustischen Feld erden die sphärischen Klänge dagegen wieder in der historischen Bedeutung des Radoms, das durch Tischer eine Transformation vom Außenraumreflektor zum Innenraumreflektor erfahren hat. (mau) +++