Konzertreihe im Radom

Von Elektrokampf zu Technikreflexion: Frank Tischer entgrenzt Raum und Zeit

Tischer in seinem Element
Fotos: Marius Auth

30.05.2023 / GERSFELD (RHÖN) - Das Radom ist kugelförmiges Überbleibsel des Kalten Krieges in der Rhön - und seit 2011 Konzertsaal von Frank Tischer. Der hat der Glasfaserhülle inzwischen eine ganze Konzertreihe auf den runden Leib geschrieben, dessen akustische Eigenschaften sein musikalisches Schaffen nachhaltig beeinflusst haben.



Die Vorbehalte gegenüber der Unterhaltungsmusik der Nachkriegszeit speisten sich aus teils wunderlichen Quellen: Stereophonie und Magnettonband seien zweckentfremdete Heerestechnik, kritisierte der bekannte Medientheoretiker Friedrich Kittler. Was heute dem Musikfreund den Raumeindruck vermittelt, leitete im Zweiten Weltkrieg die Bomberpiloten zum Ziel, das warm klingende Tonmedium wurde zur Entschlüsselung alliierter Codes herangezogen. In der Hinsicht hat Frank Tischer den Jackpot gezogen:

Die Radarkuppel auf der Wasserkuppe, die letzte von einstmals fünf, diente von 1945 bis 2004 Briten, Amerikanern und schließlich der deutschen Luftwaffe dazu, den Luftraum bis zu den Alpen zu überwachen. Vom Eisenacher Haus auf dem Ellenbogen gegenüber tat die Stasi bis zur Wende selbiges, dazu elektronische Kampfführung gegen den Klassenfeind. Genutzt wurde dafür ein Grundprinzip, das bereits 1904 entdeckt wurde: Elektrische Wellen werden von Metallflächen reflektiert und können dann von einem Empfänger im Raum verortet werden. Oszillator, Verstärker, Modulator und Filter machen ein Radargerät zusammen mit den großen Antennen aus.


Meditative Grundstimmung

Als Robert Moog in den 1960er-Jahren den Grundstein für die analoge Klangsynthese mit seinen heute legendären Synthesizern legte, bediente er sich ähnlicher Prinzipien: Ein durch einen Oszillator erzeugter Ton wird nach Wunsch gefiltert, verstärkt und moduliert. Die beliebige elektronische Veränderung von Klangfarbe und Klangverlauf eröffnet neue Möglichkeiten und wird zum Stilmittel, zusammen mit stakkatohaftem Arpeggieren und Sequenzieren einfacher Tonfolgen: Wiederholung und Variation eingängiger Motive schaffen eine meditative Grundstimmung, den Sound von Kult-Bands wie "Kraftwerk" und "Tangerine Dream" - und Inspiration für Generationen von Hobbyisten, sich regelrechte Synthesizer-Burgen im Hobbykeller aufzubauen.



Bei Musiker Frank Tischer war es das Album "Timewind" des "Tangerine Dream"-Schlagzeugers Klaus Schulze von 1975, das er als Teenager zum ersten Mal hörte: "Die langen meditativen Stücke, strukturiert wie in der klassischen indischen Musik - das war Zeitlosigkeit." Die Klangschrauberei lag dem Fuldaer in den Genen: "Ich hing schon als Vorpubertärer am Kassetten-Radiorekorder meiner Schwester, wenn 'Pop nach 8' kam. Zum Entsetzen meiner Eltern habe ich auch das Klavier auseinandergebaut, um zu sehen, wie es funktioniert und ob man nicht noch andere Klänge da herausholen kann." Trotzdem entschied sich Tischer für eine klassische Klavierausbildung und eine Bandkarriere im Bluesrock- und Jazzbereich.

Eine Woche im Radom eingeschlossen

2004 kauft die Stadt Gersfeld das militärische Gelände, 2007 wird das Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Und Tischer gefragt, ob er nicht das Radom antesten will - als Konzertsaal. "Ich habe mich eine ganze Woche eingeschlossen - die Örtlichkeit als solche atmet ja schon Geschichte, aber akustisch ist das etwas ganz Anderes: Durch die sphärische Glasfaserhülle gibt es ein sechzehnfaches Echo, mit beinahe zwei Sekunden Verzögerung - ein Effekt, der das immersive Erleben für die Zuhörer noch verstärkt. Aber ich musste ausprobieren, welche Frequenzen und Tempi damit überhaupt funktionieren."



Seit 2011 finden regelmäßig "Galaxos"-Konzerte Tischers im Radom statt - "keine Kirche, kein Gasometer und keine Höhle kommt bei der Akustik mit - aber die Musik muss genau auf die Bedingungen angepasst sein, sonst gibt es Chaos." Schon das "Kugelauditorium" von Nachkriegsavantgardist Karlheinz Stockhausen für die Weltausstellung 1970 in Osaka bediente sich des sphärischen Resonanzraums, zusätzlicher 12-Kanal-Klang führt im Kaltkrieg-Relikt zur völligen Entgrenzung der Musik: Die Kompositionen scheinen frei zu schweben, Fragmente von Funkverkehr und Fluglärm im akustischen Feld erden die sphärischen Klänge dagegen wieder in der historischen Bedeutung des Radoms, das durch Tischer eine Transformation vom Außenraumreflektor zum Innenraumreflektor erfahren hat. (mau) +++

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