Diskussion zum Ukraine-Krieg
Verhärtete Fronten und kein Königsweg in Sicht
Fotos: Christopher Göbel
07.05.2023 / BAD HERSFELD -
Der Krieg in der Ukraine spaltet. Er spaltet die Gesellschaft, er spaltet Menschen - und er spaltet auch die evangelische Kirche. Selbst wenn man die Formulierung "russischer Angriffskrieg" benutzt, äußert man damit bereits eine Meinung und weist eine Schuld zu. Welcher Weg ist der richtige? Sich mit Waffen zu verteidigen oder nach biblischem Jesus-Wort auch die andere Wange hinzuhalten? Unter anderem dieser Frage versuchten der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth, Dr. Robert Brandau, Lehrbeauftragter der Universität Kassel, und Moderator Holk Freytag am Freitagabend in der Bad Hersfelder Martinskirche nachzugehen.
"Diese Debatte zerreißt die Kirche fast"
Auch in der evangelischen Kirche gebe es verschiedene Standpunkte, so Robert Brandau, der die Einführung ins Thema übernommen hatte. Auf der einen Seite diejenigen, die für eine Verteidigung der Ukraine mit Waffengewalt einträten, auf der anderen Seite die "radikalen Pazifisten". "Diese Debatte zerreißt unsere Kirche fast", so Brandau. Er nannte sich selbst einen "alten Friedenskämpfer", der sich aber seit den offen in Europa schwelenden Kriegen wie in Jugoslawien oder aktuell in der Ukraine die Frage stellen müsse: "Wie gehe ich damit um?" Die beiden gegensätzlichen Meinungen sind laut Brandau: "Wenn ich bedroht werde, muss ich mich verteidigen" und "Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein".Gewissenskonflikt bei Roth?
Eine Frage aus dem Plenum lautete, ob Roth keinen Gewissenskonflikt bei seiner Haltung sehe. "Man muss aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen", sagte Roth, der selbst Zivildienstleistender war. "Ich finde es gut, dass wir in Deutschland über diesen Krieg streiten. In Russland kommt man dafür ins Gefängnis." Auch innerhalb seiner Partei werde gestritten.Ein Zuhörer aus dem Publikum ging auf Atomwaffen ein: "Man darf keine Atomwaffen einsetzen und man darf nicht damit drohen", so Dr. Wolfgang Thon, bekennender Friedensaktivist. "Atomwaffen sind die Lebensversicherung von Diktaturen", entgegnete Roth. Und auch Brandau sagte: "Man darf Atomwaffen nicht nur einem Teufel überlassen.
ZWISCHENRUF von Christopher Göbel
Eines ist mir klar: Die Fronten sind verhärtet. Nicht nur die zwischen Russland und der Ukraine. Auch zwischen denjenigen, die Waffen als Verteidigungsmittel befürworten und den rigorosen Pazifisten. Das zeigt sich nicht nur auf höheren politischen Ebenen, sondern auch bei solchen "kleinen" Diskussionen wie am Freitagabend in der Martinskirche.Einig dürften sich aber alle Seiten sein, dass ein Blutvergießen ein Ende finden müsse. Nur wie das geschehen könnte, weiß auch niemand genau. Die unwahrscheinlichste Variante dürfte sein, dass Putin seine Truppen abzieht und einen großen Fehler eingesteht. Was also kann die Politik (und auch die Kirche) tun, um ein Ende des Krieges zu erreichen? Ich denke, die Antwort darauf kann im Moment nur lauten: "Man weiß es nicht." Es wird keinen Königsweg geben.
Ja natürlich, auch ich bin Kriegsdienstverweigerer und eher pazifistisch eingestellt. Und in einem Krieg, der beinahe vor der Haustür stattfindet, fühle ich mich hilflos, weil ich nicht weiß, was richtig und was falsch ist. Ich weiß auch nicht, was ich als kleines Menschlein tun könnte. Es ist so eine Art innerer Zwiespalt, ob ich der einen oder der anderen Meinung recht geben soll. Wäre ein Kriegsende wirklich nur mit Waffengewalt zu erreichen? Oder gibt es "friedlichere" Möglichkeiten? Ich weiß es definitiv nicht.
Viele, vor allem junge Menschen, sorgen sich um ihre Zukunft und auch um die Zukunft der Welt. Nach Coronapandemie und Energiekrise nun auch noch Krieg auf europäischem Boden. Dass niemand - weder Politik noch Kirche noch irgendjemand anderer - Lösungen für die Probleme der Welt bieten kann, muss verunsichern.
"Uns eint die Sehnsucht nach Frieden", sagte Pröpstin Sabine Kropf-Brandau am Freitagabend in der Martinskirche. Ja, diese Sehnsucht eint einen großen Teil von uns. Aber auch Putin und Selenskyj? Auch Biden und Scholz? Auch die Diktatoren dieser Erde? Darauf gebe ich eine klare Antwort: "Nein!" Wenn die gesamte Menschheit die Sehnsucht nach Frieden vereinen würde, hätte es seit Anbeginn der Menschheit keine Kriege gegeben. Dass Kriege zumeist in den Köpfen weniger Menschen geplant werden, aber im Laufe der Geschichte Millionen andere darunter leiden mussten, ist das eigentliche Dilemma.
"Dona nobis pacem", also "Gib uns Frieden" ist eine fromme Bitte. Mich beruhigt dennoch ein wenig, dass es der größte Teil der Menschheit ist, der sich Frieden und Freiheit wünscht. Und doch sterben Tag für Tag Menschen wegen militärischer Auseinandersetzungen. In meiner Kindheit hat mich das Lied "Wozu sind Kriege da?" von Udo Lindenberg bewegt und auch geprägt. Und doch muss ich mit ansehen, dass es den Weltfrieden nicht gibt und auch niemals geben wird. Aber so lange es den Wunsch und die Sehnsucht nach Frieden gibt, gibt es auch Hoffnung. (Christopher Göbel) +++